Samstagskolumne Peter J. König 01.03.2014

Stehen wir am Vorabend des Dritten Weltkrieges oder wird die Vernunft doch noch siegen?

Es war nur ein kurzes Glücksgefühl, das die Menschen in Kiew auf dem Majdan und in der Westukraine erleben durften. Kaum waren die wehrlosen Opfer der Scharfschützen des Innenministeriums auf dem Unabhängigkeitsplatz in ihren offenen Särgen durch eine vieltausendfache Menge von Trauernden hindurch getragen worden, da trifft das Land eine noch weit größere Bedrohung, dessen Ausmaß aktuell nicht übersehen werden kann. 

Jederzeit ist es möglich, dass Putin einen Krieg gegen die Ukraine führt, militärisch, seine Propagandaoffensive hatte ja bereits unmittelbar nach dem Verschwinden Janukowitschs begonnen. Unter dem Vorwand die russischstämmige Bevölkerung vor rechtsradikalem Terror schützen zu müssen, der von der neuen Übergangsregierung systematisch auf der Krim und in der Ostukraine betrieben würde, hat er Soldaten, gepanzerte Fahrzeuge und Hubschrauber aus Russland zu den russischen Stützpunkten der Schwarzmeerflotte auf die Krim-Halbinsel verlegen lassen. Dass diese Taktik der Russen nicht neu ist, wenn es darum geht, ehemalige Sowjet-Republiken, die nach dem Zerfall der Sowjet-Union sich an den Westen binden wollten, daran zu hindern, wurde zuletzt an der Besetzung Georgiens demonstriert und sollte als Abschreckung für alle russischen Nachbarn dienen. Georgien war im Begriff der Nato beizutreten, doch nach gezielten Provokationen an dort lebenden Russen, von wem auch immer, sind russische Truppen in Georgien eingedrungen und haben die prowestliche Regierung entmachtet, ein Beitritt zur Nato war dadurch vom Tisch.

In der Geschichte der Sowjet-Union hat es auch früher solche Aktionen mit immer dem gleichen Vorwand gegeben, die Liste der Beispiele ist lang. Dazu gehören auch die Einmärsche in der sowjetisch-besetzten Zone in Ostdeutschland, in Ungarn und in der Tschechoslowakei. Immer galt es vermeintlich Russen oder russisch-stämmige Bürger zu schützen, tatsächlich aber sollte die russische Einfluss- Sphäre gesichert werden. So ist dies auch jetzt wieder in der Ukraine der Fall. 

Solange Janukowitsch als Statthalter von Putins Gnaden in Kiew die russischen Interessen durchsetzen konnte, gab es keine größeren Störungen unter der ukrainischen Bevölkerung. Die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim war langfristig durch den Vertrag über die Marinestützpunkte abgesichert und diese Präsenz hat den Bevölkerungsanteil der Russen auf der Krim ständig erhöht. Dass dieser strategische Punkt auch nur ansatzweise gefährdet sein könnte, damit hat man in Moskau überhaupt nicht gerechnet. Wie wichtig die russischen Basen auf der Krim für die geopolitische Strategie Russlands wirklich sind, wird erst klar, wenn man weiß, dass von hier aus nicht nur das gesamte Mittelmeer überwacht, sondern auch der ganze Südatlantik mit Kriegsschiffen befahren wird. 

Die russische Marinebasis in Syrien wäre ohne den Rückhalt von der Krim gar nicht denkbar. Wie man sieht ist die Ukraine mit der Halbinsel Krim für die gesamte weltumspannende Militärstrategie der Russen von nahezu elementarer Bedeutung. Dies ist auch der Grund, warum Putin mit allen möglichen Mitteln versuchen wird, das Abtriften der Ukraine nach Westen zu verhindern. Dabei sind ihm fast alle Mittel Recht, wie man in den letzten Stunden erleben durfte. Gegen den Stationierungsvertag hat er seine Truppen aus den Militärstützpunkten unmittelbar gegenüber ukrainische Kasernen auffahren lassen, sodass beide Kampfeinheiten sich Aug in Aug gegenüberstehen, die Ukrainer hinter den Kasernentoren und die Russen davor. 

Derweil haben militärische Einheiten, ohne mit militärischen Hoheitszeichen versehen zu sein, die Gebäude der Regionalregierung der Krim umstellt, die gewählten Parlamentarier vertrieben und Position auf den umliegenden Straßen bezogen. Selbsternannte russische Freiheitskämpfer, die sich gegen die faschistischen Elemente aus Kiew zur Wehr zu setzen erklären, haben die Befehlsgewalt über die ukrainischen Truppen für sich in Anspruch genommen, ohne jedoch damit die Soldaten auf ihre Seiten ziehen zu können. Außerdem haben sie Putin um Hilfe gebeten, mit Truppen ihnen gegen die Faschisten vom Majdan, so wie sie sich ausdrückten, beizustehen, damit sie weiterhin ihre ethnische Identität in der Ukraine leben können. 

Russisch soll weiterhin neben Ukrainisch Amtssprache bleiben, entgegen der Gesetzesvorlage, die im ukrainischen Parlament eingebracht worden ist, wobei die Abschaffung des Russischen als zweite offizielle Sprache beschlossen werden sollte. Zum Schluss wurde gar die Abspaltung der Ostukraine mitsamt der Krim gefordert, diese Gebiete sollten insgesamt an Russland angegliedert werden. Putins Antwort hat nicht lange auf sich warten lassen. Vom Parlament hat er sich die Vollmacht geben lassen, sofort in die Ukraine einzumarschieren, wenn dort Russen attackiert werden sollten. Alles wie gehabt, alles nach althergebrachtem Muster. 

Seither wartet der Präsident auf entsprechende Vorfälle auf der Krim, auf das Zeichen loszuschlagen. Derweil erklärt der russische Ministerpräsident Medwedew, dass eine Befreiung der gesamten Ukraine durchaus eine Option ist. Dabei würde es sich nicht mehr nur um die Abspaltung der östlichen Teile der Ukraine handeln, sondern dies wäre im völkerrechtlichen Sinne eine Okkupation, die sofort die UN auf den Plan bringen müsste. Die ukrainische Übergangsregierung hat unmittelbar auf die russischen Provokationen die USA, die europäischen Staaten und die Nato um Beistand gebeten, damit ihre Unabhängigkeit gewährleistet ist. Obama und Außenminister Kerry haben Russland mit unverhohlener Schärfe vor weiteren Schritten gewarnt und die russische Administration aufgefordert, die Souveränität der Ukraine zu akzeptieren und die militärischen Einheiten in die Kasernen zurück zu beordern. Innerhalb weniger Stunden war der "Kalte Krieg" wieder zurückgekehrt, zumindest in sprachlicher Form. Wie es momentan weitergehen wird, weiß zunächst niemand. 

Die Fronten sind verhärtet, die Lage ist zum Zerreißen gespannt und jederzeit kann ein kleiner Funke, sprich eine unbesonnene Aktion von beiden Seiten des militärischen Gegenübers zum Ausbruch größerer Kriegshandlungen führen. Damit wäre der Krieg zwischen der Ukraine und Russland in vollem Gang, mit unübersehbaren Folgen für ganz Europa und vielleicht darüber hinaus. In der Ukraine ist seit einigen Stunden die Mobilmachung ausgerufen worden, was auch nicht unbedingt zur Deeskalation beiträgt. Wer sich mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts etwas auskennt, der sieht ganz deutlich die Parallelen zu der Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg 1914. 

Auch hier hat es Interessenkonflikte zwischen den damaligen Großmächten gegeben und allein das Attentat auf Erzherzog Ferdinand von Österreich in Sarajewo hat dazu geführt, dass ganz Europa in den Ersten Weltkrieg gestürzt worden ist, mit den bekannten schlimmen Folgen. Fakt ist, dass in dem jetzigen Konflikt sich erneut große machtpolitische Interessen gegenüberstehen. Die Lage Russlands wurde soeben hinreichend beleuchtet. Auf westlicher Seite stehen die USA und die EU. Putin will einen eurasischen Wirtschaftsverbund aufbauen, als Gegengewicht zu der gerade angestrebten Freihandelszone der Amerikaner und Europäer. Dabei spielt die Ukraine für ihn die wichtigste Rolle nach Westen überhaupt. Sie jetzt zu verlieren, würde dieses Projekt massiv schwächen, wenn nicht sogar scheitern lassen, denn andere Nachbarstaaten weiter östlich könnten auf ähnliche Ideen kommen und ihre wirtschaftlichen Chancen auch nach westlichem Vorbild suchen. 

Wenn man dies alles in Betracht zieht, wird klar, dass die Lage momentan mehr als schwierig ist, unabhängig von der direkten militärischen Konfrontation. Das oberste Gebot heißt nun besonnen zu bleiben, mit viel Geschick und Diplomatie zunächst die Chance für Gespräche zwischen Putin und der westlichen Allianz zu suchen, ohne dabei die einzelnen Interessen innerhalb der Ukraine zu vernachlässigen. Es muss doch möglich sein,  im 21. Jahrhundert einen vernünftigen Interessensausgleich in Europa zustande zu bringen, wobei alle Seiten berücksichtigt werden. Bei der heutigen Vernetzung der globalen Welt scheint es doch völlig absurd, Probleme mit den Mitteln des 19. und 20. Jahrhunderts anzugehen. 

Krieg, die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln sollte als Dogma ausgedient haben und durch Vernunft und Weitblick ersetzt worden sein. Ob dies in Europa mittlerweile so ist, werden uns die kommenden Ereignisse zeigen, es ist allen Beteiligten nur zu wünschen. 

Peter J. König