Samstagskolumne Peter König, 3. September 2011

11. September 2001 – 11. September 2011: 10 Jahre offener Kulturkrieg?
In wenigen Tagen gilt es ein  Ereignis zu erinnern, das sich zum 10. Male jährt, das an Leid und Verzweiflung kaum zu überbieten ist und das ein Novum in der medialen Welt darstellt, der gezielte Flugzeugabsturz auf die „Twin-Towers“, dem  World- Trade-Center, einst gelegen im Bankenviertel von New York, im südlichen Teil Manhattans.
An diesem 11. September 2001, etwa zwischen 9 und 10 Uhr Ortszeit, haben al Qaida-Terroristen   die beiden Zwillingstürme mit Verkehrsflugzeugen angegriffen, die sie vorher in einer konzertierten Aktion nach dem Start in Boston gekapert hatten. Nachdem sie auf dramatische Weise die Führung dieser beider Flugzeuge übernommen hatten, flogen sie in einem Abstand von etwa einer Stunde nacheinander in die imposanten Hochhäuser.
Ich selbst habe öfters auf der Aussichtsplattform eines der Gebäude gestanden.  Welch`   gigantischer Ausblick auf die Weltmetropole New York, doch auch, welche Distanz zu „Level Zero“, dem festen Boden, dessen Nähe man eigentlich nicht vermisst, wenn man Wolkenkratzer besteigt, und wenn keine Bedrohung aus der Luft in einem Bruchteil von Sekunden Bedingungen entstehen lässt, die in einem tödlichen Inferno enden.
Jedoch weshalb haben sich diese „islamischen Gotteskrieger“, wie sie sich selbst bezeichnen, gerade das World- Trade- Center und nicht etwa die Freiheitsstatue, nur geringe Distanz entfernt im Hudson River gelegen, als Zielobjekt ihres Hasses ausgesucht?
Es mag unterschiedliche Gründe technischer Natur dafür geben, gewiss ist aber, dass die Symbolkraft dieser alles überragenden Gebäude der wahre Grund dieser Attacke, Amerikaner sprechen von einem Kriegsüberfall auf ihr Land, darstellt. Kein Gebäude in der westlichen Welt hat so den Kapitalismus, so die wirtschaftliche Überlegenheit des Westens, speziell der Amerikaner, symbolisiert wie das World-Trade-Center.
Dieses zu vernichten, dabei abertausende  von unschuldigen Menschen mit in den Tod zu reißen, ungeachtet des eigenen Lebens, war Ziel dieser einzigartigen terroristischen Aktion. Welch` ein perfider Plan!
Ziel all dieser Aktionen von Osama bin Laden  und seiner Mudschahidin  sollte die wirtschaftliche Schwächung der westlichen Wirtschaftsordnung sein. Durch lang anhaltenden Terrorismus und die damit verbundenen Komplikationen des wirtschaftlichen Kreislaufes, sollte  letztendlich der Schutz dieses Gefüges so unendliche Kosten verursachen, dass die Wirtschaft jegliche Rentabilität verliert und langsam ausblutet.
Terroristische Ereignisse, die diesem Ziel dienen sollten, haben wir zu Genüge beklagen müssen, etwa in Madrid, auf Bali oder in Tunesien, um nur einige Terroraktionen zu nennen. Wir in Deutschland hatten dabei bislang sehr viel Glück, denn Versuche, auch bei uns durch tödliche Bombenanschläge die Gesellschaft zu destabilisieren, hat es ebenfalls gegeben. Die Bomben sind Gott sei Dank nicht explodiert, oder die Aktivitäten dieser „Irren“ wurden frühzeitig entdeckt und man konnte sie aus dem Verkehr ziehen. Ob das beim nächsten Mal auch so sein wird, ist allerdings fraglich.
Zurück zum 11. September 2001. Ich erinnere mich noch genau, es war nach 9 Uhr, als ich auf dem Weg in mein Büro, im Autoradio durch die Sondermeldung geschockt wurde, ein Flugzeug sei in einen Turm des World Trade Center geflogen, man wisse noch nichts Genaues, weitere Meldungen würden unmittelbar folgen.
Im Büro angekommen, schaltete ich sofort den Fernseher ein, um mich durch CNN zu informieren. Beim ersten Bild  überkam mich Eiseskälte, aber auch eine Ungläubigkeit, ja ich zweifelte sogar an der Realität dieser Bilder, die aus einem Hubschrauber kommen sollten, der in gebührendem Abstand über Süd- Manhattan kreiste.
Eines der Gebäude war getroffen, etwa in Dreiviertelhöhe. Schwarze Rauchsäulen stiegen aus einem Loch, das einer klaffenden Wunde ähnelte. Die Stockwerke ober- und unterhalb dieser Öffnung schienen intakt zu sein. Der zweite Turm war unbeschädigt. Ich saß völlig erstarrt vor den Fernsehbildern. Erinnerungen schossen mir durch den Kopf, wie ich immer einmal wieder, wenn ich in New York war, bei schönem Wetter mich hoch auf die Außenplattform katapultieren ließ. Die Aufzüge waren mit die schnellsten, weltweit.
Oben auf dem Dach von New York konnte man die riesigen Ausmaße von Manhattan, einst als Siedlung von Indianern gegründet und danach von den ersten weißen Siedlern als Handelsstützpunkt ausgebaut, mit bloßem Auge erkennen, links Hudson- rechts East River und den Stadtteil Queens. Jenseits des Hudson-Rivers weiter nördlich, beginnt das grüne Connecticut, Natur pur, im Gegensatz zur Betonwüste Manhattans. Irgendwie fühlte man sich entrückt, hier oben an diesem windigen Platz.
Aber diese Bilder jetzt, das gibt es nicht, muss wohl doch  etwas aus der Küche Hollywoods sein. Die Aufnahmen, die jetzt auch von Kamerateams zu Füßen der „Tower“ gemacht wurden, begannen allmählich das Ausmaß der Geschehnisse zu dokumentieren. Feuerwehrzüge fuhren ununterbrochen auf die Plattform zwischen den beiden Türmen, Menschen strömten aus dem Gebäude, das Schicksal vieler Unschuldiger nahm seinen Lauf. Doch das Inferno sollte sich noch steigern, zunächst indem auch der zweite Turm von einem Flugzeug getroffen wurde, ich habe es live im Fernsehen verfolgt, irgendwie benommen und doch unmittelbar visuell dabei.
Dann immer mehr Bilder aus unterschiedlichen Perspektiven rund um die verwundeten Türme.   Die Menschen, die versuchten, aus den Stockwerken oberhalb der Einschlagstellen mit weißen Tüchern durch die schmalen Öffnungen der Fenster winkend, in ihrer höchsten Not auf sich aufmerksam zu machen, und die armen Geschöpfe, die letztendlich  keinen Ausweg mehr aus dieser Apokalypse sehen konnten und den Freitod wählten, indem sie in die Tiefe sprangen. Es müssen Hunderte gewesen sein.
Ich sah es und war sinnentleert, unfähig mich von dem Bildschirm zu entfernen. Bei dem Gedanken mich in die Lage dieser Verlorenen zu versetzen, überkam mich das kalte Grausen. Dabei war das vernichtende Ende noch gar nicht eingetreten. Das kam nach wenigen Stunden, als ein Turm nach dem anderen plötzlich in sich zusammensackte, und dieser riesige Trümmerhaufen von einem überdimensionalen Staubkokon eingehüllt wurde. Die Menschen flüchteten in alle Richtungen, weg von der Stelle des Desasters, und wurden doch von der Staubwalze eingeholt. Das Schicksal hatte zugeschlagen, die Terroristen hatten ihre Ziele erreicht.
Von diesem Zeitpunkt an war die Welt eine andere geworden. Das scheinbar unbesiegbare Amerika war im Mark getroffen, zutiefst verunsichert und traumatisiert. Eine Illusion war zerplatzt, die Illusion nämlich, dass nach dem Untergang der Sowjetunion und damit verbunden die Vorstellung, dass Amerika als einzig verbliebene Supermacht, das alleinige Sagen auf diesem Globus haben würde, diese Vereinigten Staaten unantastbar sind. Man wurde eines Besseren belehrt, auf eine grausame, barbarische Weise.
Danach rief George W. Bush den Krieg gegen den Terrorismus aus. Er marschierte in Afghanistan und im Irak ein und errichtete Gefangenenlager  wie  Abu ghraib und Guantanamo. Er verschrieb sich dem Kampf gegen das „Böse“.
Doch was ist  das „Böse“?  Wie und warum entsteht das Böse?  Ist es die reine Mordlust, die die jungen Menschen in die Arme von al Qaida treibt?
Nicht nur junge Männer aus rückständigen arabischen Staaten mit existierenden Feudalgesellschaften, wie z.B. Pakistan, Afghanistan  oder Jemen, wo gut ausgebildete junge Menschen den Verheißungen der Islamisten folgen und in den "Heiligen Krieg" ziehen, sondern auch in westlichen Gesellschaften glauben "Berufene",  bei der Beendigung der Unterdrückung arabischer Staaten durch die westlich dekadente Gesellschaft, mithelfen zu müssen. Die Motive all dieser Glaubensbrüder sind wohl sehr unterschiedlich und oftmals nicht ergründbar.
Fakt aber ist, dass das Wohlstandsgefälle auf unserer Erde gewaltig ist und immer mehr zunimmt. Zwar entstehen in einigen Ländern neue Mittelschichten, wo noch vor wenigen Jahrzehnten, wie in China z.B. durch den Maoismus die pure Gleichmacherei herrschte, die staatliche Planwirtschaft eine individuelle  wirtschaftliche Entwicklung nicht möglich war. Entsprechend in Indien oder Brasilien, wo die Menschen keine Aufstiegschancen hatten, da der Reichtum für einige Wenige vorbehalten war.
In diesen Ländern entwickeln sich die tragenden Säulen einer freien Volkswirtschaft und damit auch die politische Gewichtung innerhalb der Völkergemeinschaft. Nicht umsonst begehrt Indien und Brasilien neben Deutschland  einen ständigen Sitz im UN- Sicherheitsrat. Diese Staaten sind jedoch Ausnahmen im Kreise der Vereinten Nationen. 
Den allermeisten Staaten, besonders in Afrika, Mittel- und Südamerika, geht es schlecht. Dort bereichern sich einige wenige Blutsauger maßlos, denn oftmals sind diese Staaten reich an Bodenschätzen. Bei einer fairen Verteilung der Ressourcen, hätten auch diese Länder ein großes Entwicklungspotential. Aber wie immer ist es die Gier Einzelner, die die Möglichkeit des Aufstiegs aller unterbindet.
Wobei wir jetzt endgültig bei der Ursache alles Bösen sind,  bei der Gier nach Geld und Reichtum.  Beileibe bin ich nicht derjenige, der nicht weiß, das Geld eine wichtige Triebfeder für den Aufbau  von Wohlstand und Sicherheit des einzelnen Menschen ist. Ich weiß aber auch, dass das Individuum das Geld beherrschen muss und  nicht umgekehrt das Geld das Individuum.  Ist erst einmal die falsche Abhängigkeit vorhanden, dann nimmt das Böse seinen Lauf. Leider musste ich in meiner eigenen Familie genau diesen seelenlosen Zustand erleben. Doch wie in einer Familie entwickelt sich auch das Böse innerhalb der Staaten untereinander.
Über Jahrtausende haben sich Völker überfallen, bekriegt und annektiert. Schon in der menschlichen Ur-Epoche als die Entwicklung  vom Homo erectus zum Homo sapiens, also vom reinen Sammler zum Mensch, der dank seiner weiterentwickelten geistigen Fähigkeit in der Lage war, Werkzeuge zu entwickeln und damit seine Lebensbedingungen zu verbessern, ging es darum, die eigenen Voraussetzungen auf Kosten von anderen  zu maximieren.
Zuerst war es notwendig die Ernährungssituation dauerhaft zu sichern, mit der Folge, dass dadurch die Zahl der eigenen Stammesmitglieder sprunghaft anstieg, man hatte für mehr Nachkömmlinge gesicherte Nahrungsquellen. Durch die Jahrtausende wiederholte sich dieses Spiel ständig und es ging nicht mehr nur um den reinen Existenzkampf. Die Gier hatte Einzug gehalten. Der Neid führte dazu, dem anderen etwas wegzunehmen, wenn man es vermeintlich selbst nicht hatte.
Noch heute oder vielleicht gerade heute leben die Industriestaaten auf Kosten der unterentwickelten Länder, denn sie kassieren ihre Rohstoffe, um damit ihren eigenen Lebensstandard zu verbessern oder zu erhalten. Interessant ist dabei  die aktuelle Entwicklung zweier Staaten des Nahen Ostens, nämlich Libyens  und Syriens. Beide wurden angemahnt, die Grundrechte der Menschen in diesen Ländern einzuhalten, d.h. sie nicht umzubringen, weil sie ihre Despoten loswerden wollen, um demokratische Strukturen einzufordern. In Libyen hat man schnell eine militärische Lösung gefunden,  allerdings nicht allein um Gaddafi  loszuwerden, nein, man wollte sich auch die enormen Öl- und Gasvorkommen sichern. Syrien besitzt kaum solche Bodenschätze, deshalb ist das Engagement zur Demokratisierung eher halbherzig.
Zum Schluss möchte ich noch eine Möglichkeit erörtern, die zwar jetzt wie eine reine Utopie klingt, um die wir aber letztendlich schon aus Vernunftsgründen nicht herumkommen. Die Staatengemeinschaft muss es schaffen, eine globale Regierungsform zu entwickeln. Ansätze dazu gibt es ja durch die UNO mit ihren Unterorganisationen. Erst wenn dieses rechtlich bindend geschafft ist, haben alle Menschen auf diesem Planeten eine faire Chance zu existieren.
Keine Kriege um Ressourcen, keine Verteilungskämpfe, keine Despoten, die blutrünstig  aus reiner Verschwendungssucht die Existenz von Millionen von Menschen gefährden, und kein Verlust durch sinnlose Zerstörung.  Welche Effekte werden dadurch freigesetzt, zum Wohle des Einzelnen und zum Wohle aller.
Dann wird es auch keinen Kampf der Kulturen mehr geben. Der 11.September 2001  wird nur noch eine mahnende Erinnerung an das „Böse“ sein, eine immerwährende Aufforderung an die Menschheit, positiv und fair miteinander umzugehen.   Der Blick von der Aussichtsplattform  der neu erbauten Türme auf  "Ground Zero" wird nicht belastet sein durch die Frage: Wird es jemals wieder zu solch einer menschlichen Tragödie kommen? Nein, wir werden  nur noch diese aufregende, pulsierende, niemals schlafende Stadt wahrnehmen, mit den engen Straßenschluchten, dem verwirrenden Verkehrsgewühl und der sommerlichen Hitze. All diesem kann man aber leicht entfliehen, mit einem kurzen Sprung über den Hudson und man ist in Connecticut, wo das andere Amerika beginnt.  

Peter J. König



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