Samstagskolumne Peter J. König: 13.9.2014

Da steh ich nun, ich armer Tor und bin so klug, als wie zuvor“ ???

Nicht ganz, denn um nicht vollständig im Bewusstsein dieser Goethe’schen weisen Feststellung aus seinem Faust zu enden, war es angebracht, erst nach dem Ausgang der vorgestrigen Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen sich mit dem Ergebnis zu befassen, um es in dieser Kolumne zu analysieren.

Dabei gab es zumindest in Brandenburg keine besonderen Überraschungen, sieht man einmal davon ab, dass die "Linke“ einen herben Stimmenverlust hinnehmen musste und nunmehr nur die drittstärkste Kraft im Landtag in Potsdam ist. Die SPD stellt weiterhin den Ministerpräsident, die CDU liegt nun an zweiter Stelle in der Wählergunst, und die populistischen Sprüche der AfD haben in allen Lagern der Parteien Wirkung gezeigt und überall Stimmen eingesammelt, um auf Anhieb über 12% zu erreichen. Dabei haben sie nichts ausgelassen, was ihnen erfolgreich schien. Für Rechtsaußen waren sie sich nicht zu schade, die Parolen der NPD abzukupfern, und wie diese "die Methoden der ausländischen Schmarotzer" zu geiseln. 

Für die Genossen auf der anderen Seite des Spektrums wurden die Errungenschaften der DDR verherrlicht, inklusive der "wirksamen polizeilichen Maßnahmen" dieses ehemaligen Überwachungsstaates, zuzüglich eines Nostalgiebonus. Dem bornierten, selbstgefälligen Mittelstand gab man das Versprechen, nun endlich für die Sicherung und Verbesserung des Wohlstandes zu sorgen, indem man nicht unnütz das Geld in der EU verpulvert und sowohl Armutszuwanderung aus den EU-Staaten, als auch Flüchtlingsbewegungen innerhalb Europas durch neue Grenzkontrollen strikt zu überwachen. Alles dieses hat deutlich Wirkung gezeigt, sowohl in Brandenburg als auch in Thüringen, wo diese Partei ebenfalls zweistellig abschnitt. 

Was dieses für unsere Parteienlandschaft bedeutet, aber was noch viel wichtiger ist, welche Wirkung dies auf die Menschen hier in Deutschland, aber auch im benachbarten Europa, ja sogar in der ganzen Welt hat, darüber wird später noch zu reden sein. Der Vollständigkeit halber noch diese Information, die auf den Wahlplakaten der F.D.P.in Brandenburg, dank deren schwarzen Humors plakatiert worden ist: "Die F.D.P. braucht keine Sau". Und dies hat der Wähler dort auch dann tatsächlich wörtlich genommen, mit dem Ergebnis, kaum 2% für diese politischen Spaßvögel. Dümmer geht nimmer, die Verantwortlichen sollten es besser im Comedy-Bereich versuchen. 

In Thüringen sind die Menschen, aber auch die politischen Beobachter selbst nach dem amtlichen Endergebnis "so klug, als wie zuvor", zumindest was die nächste Regierungsbildung anbetrifft. Herausragendes Merkmal der Wahl dort ist der Absturz der SPD, die nunmehr im Bereich der AfD bei 10 bis 12% liegt und dieses in Thüringen, wo einst vor fast 140 Jahren diese älteste deutsche Partei gegründet worden ist. Wahrlich ein Desaster, da die SPD nach 1990 bei den Landtagswahlen schon an die 30% erreicht hatte. 

Tatsächlich aber war der Absturz voraus zu sehen. Die Spitzenkandidatin farblos und ohne politisches Charisma, dazu gab es keine klare Entscheidung, welcher Parteienkonstellation man den Vorzug geben würde, weiterhin eine Koalition mit der CDU einzugehen, oder vielleicht zusammen mit den Grünen und der Linken, Bodo Ramelow zum ersten linken Ministerpräsident nach dem Fall der Mauer zu machen. Das war für viele ehemalige SPD-Wähler in Thüringen dann doch zu viel. Profitiert hat davon die CDU, aber mehr noch die AfD. Die Linke hat leicht zugelegt, die F.D.P. hat es auch hier zerbröselt, die Grünen haben es nach anfänglichem Zittern noch mit etwa 6% ganz ordentlich geschafft, die CDU unter der Ministerpräsidentin Lieberknecht durfte moderate Zuwächse verbuchen, was ihnen aber auf Anhieb nicht besonders genützt hat. 

Einen sicheren Koalitionspartner haben die Schwarzen bisher nicht, denn die SPD schielt als Königsmacher weiterhin nach beiden Seiten, wobei die Kuriosität darin besteht, dass sowohl eine CDU/SPD-Regierung ebenso nur eine hauchdünne Mehrheit von einem Sitz über der qualifizierten Mehrheit hätte, wie eine Koalition aus Linken, SPD und Grünen, aber mit dem Novum eines Ministerpräsidenten aus der Partei "Die Linke", 25 Jahre nach dem Untergang der DDR und als Nachfolgepartei der SED. Für die Genossen und die alten Kader wäre es die "Wiederauferstehung aus den politischen Ruinen", für das Land Thüringen und seinem bisher erreichtem Wachstum ein unkontrollierbarer Tiefschlag. "So steh ich nun, ich armer Tor und bin so klug, als wie zuvor".

Kommen wir zurück auf die zuvor angesprochene Reaktion auf den Ausgang der beiden Wahlen, wobei durchaus noch die Wahl in Sachsen mit hinzu gezogen werden kann. Eindeutig ist ein gemeinsamer Trend feststellbar, der sich lohnt, aufgearbeitet zu werden, weil er Auskunft über die Veränderung unserer Parteienlandschaft gibt. Ging man bisher von klaren Politikfelder aus, die die Parteien für sich in Anspruch genommen haben, so ist nach der Ära Kohl, auch im Zuge der deutschen Wiedervereinigung eine Bewegung zustande gekommen, die die Publizistin Professor Dr. Gertrud Höhler in ihrem Buch über Angela Merkel, bezüglich ihres Politikstils und ihrer Positionierung von der CDU klar erkannt und deutlich voraus gesagt hat. Frau Höhler hat exemplarisch dargestellt, wie und warum Angela Merkel die CDU aus ihrer angestammten Mitte-Rechts-Position immer weiter nach links gerückt hat, und dies hat auch etwas mit ihrer Sozialisation in der DDR zu tun, während die alte linke Arbeiterpartei SPD mangels Arbeiter und für eine schicke Sozialdemokratie immer weiter zur Mitte gerückt ist. 

Jede dieser beiden damals noch großen Volksparteien glaubte in der Mitte und jeweils gegenüber auf der anderen Seite dem politischen Mitbewerber so viel Stimmen abzufischen, damit es für eine eigene Mehrheit reicht, also ein Koalitionspartner nicht mehr von Nöten ist. Beide Großen rangelten um die Mitte, mit der Folge, dass sie nicht nur ihre eigene Identität verloren haben, sondern auch noch Platz für neue Parteien auf ihren jeweiligen Außenflügeln frei gaben, da diese Positionen mehr oder weniger bewusst aufgegeben worden sind. Im Osten hat die SED nach der Wende sich dies sofort zu Eigen gemacht, diesen Freiraum politisch mit ihrer Nachfolgeorganisation "Die Linke" besetzt, um speziell auf kommunaler Ebene neu Fuß zu fassen. 

Bekanntlich ist in der Regel das politische Gedächtnis kurz, besonders dann wenn Verheißungen gefordert und nicht geliefert werden müssen. Damit hat Gysi und Co. es bis zur stärksten Oppositionskraft im Bundestag geschafft, weiterer Aufstieg offen. Der erste Ministerpräsident der Linken in einem deutschen Bundeslandes wäre da ein Quantensprung und das mit Hilfe der SPD, die bisher eine Koalition mit den Linken kategorisch abgelehnt hat. Es ist zu vermuten, dass man auch in Berlin beginnt umzudenken, wenn nach der nächsten Bundestagswahl eine Mehrheit von SPD, Linken und Grünen zustande kommen würde. 

Mit der AfD hat sich rechts von der CDU ein Sammelbecken von Wählern gefunden, die mit dem Linksruck von Angela Merkel und ihrer Europapolitik nicht mehr einverstanden sind. Hier ist Raum freigegeben worden, der früher von den rechten Hardlinern in der CDU fest besetzt war und das entsprechende Klientel so mitgenommen wurde. Seehofer in München weiß genau, worum es dabei geht. Deshalb folgt er auch konsequent der Strauß´chen Formel: "Rechts von der CSU darf es keine parlamentsfähige Partei geben". Doch Frau Merkel hat in ihrer Partei diese Stimmen verstummen lassen, ihnen den Boden entzogen und damit bewirkt, dass viele die CDU verlassen haben, um die AfD zu gründen, so auch ihr Vorsitzender Lucke, ein verbeamteter Professor aus Hamburg. 

Es ist zu vermuten, dass die Kanzlerin selbst überrascht ist über die Dynamik dieser Rechtsbewegung, denn dies kann sie nicht gewollt haben, wo dies doch zwangsläufig nur zur Schwächung der eigenen CDU-Position beiträgt. Dass es zu einem möglichen Links-Rot- Grünen-Bündnis in Thüringen kommen könnte, hat maßgeblich auch damit zu tun, dass die CDU wichtige Stimmen an die AfD verloren hat und natürlich auch mit der erschreckend geringen Wahlbeteiligung von unter 50%. Auch scheint die Stimmung in der SPD von der Meinung geprägt zu sein, dass man sich unter einer linken Regierungsbildung besser neu profilieren kann. Wenn man sich da aber nicht massiv täuscht!

Doch welche mittel- und langfristigen Folgen können diese Veränderungen unserer Parteienlandschaft nach sich ziehen? 

Zu vermuten ist, dass die Parteien in der Mitte, also CDU und SPD auf Dauer zugunsten der Linken und der AfD an den äußeren Rändern an Zuspruch verlieren werden. Diese Gruppierungen werden stärker, mit der Folge, dass auch die Auseinandersetzungen untereinander heftiger werden. Des Weiteren gibt es aus der Erfahrung der Weimarer Republik die Erkenntnis, dass bei den Parteien an den extremen Außenrändern erneut Absplitterungen stattfinden, die Mitte weiter geschwächt wird und Regierungsbildungen immer schwieriger werden, da die Machtblöcke zugunsten kleiner Parteien schrumpfen, mit der Folge einer Vielzahl von zerstrittener Parteien im Parlament, die sich gegenseitig behindern. Dies war früher während der Weimarer Republik so und ist heute in Italien nicht anders. Welche Gefahren eine solche politische Gemengelage in sich birgt, zeigen früher der Aufstieg der NSDAP und heute der Machtaufstieg von Berlusconi zum Ministerpräsident Italiens und seinen verheerenden Folgen für Italien und Europa. 

Über die politischen Auswirkungen von Weimar genügt es nur ein Wort zu verlieren: Adolf Hitler. Mögen viele Leser dieser Kolumne jetzt der Meinung sein: der Verfasser dieser Zeilen spinnt sich jetzt aber ganz schön was zu Recht. Mag sein, aber auch in den 1920iger Jahren hat nichts darauf schließen lassen, dass 10 Jahre später eine Diktatur Deutschland unterworfen hatte. Auslöser waren die anhaltenden schlechten, wirtschaftlichen Bedingungen nach dem Ersten Weltkrieg und ein politisches und wirtschaftliches Establishment, das nur den Eigeninteressen nachgegangen ist. Dies ist auch heute wieder verstärkt der Fall, siehe AfD und deren europäischer Sonderweg. Noch verdanken wir der wirtschaftlichen Kraft unseres Landes, dass Radikalität bisher nur Randerscheinungen sind, wobei man nicht vergessen sollte, die Hinwendung von jungen Muslimen zur Terrororganisation IS hat nichts mit ihrem Glauben, aber viel mit ihrer sozialen Situation zu tun. Was müssen wir aber erwarten, wenn erneut Krisen wie 2008 die Banken- und Finanzkrise in einem noch weit größeren Maß unser Land treffen sollte, die Wirtschaft massiv einbricht, die Arbeitslosigkeit extrem steigt? Wie sieht es dann mit den radikalen Strömungen aus?

Eine zufriedenstellende Antwort ist hier nicht möglich, doch eins hat uns die Geschichte immer wieder gelehrt. Stabile Verhältnisse aus der politischen Mitte waren bisher immer noch das beste Mittel Krisen und Niedergänge zu überwinden. Dies wird auch in Zukunft so bleiben und diese Erkenntnis sollte das Bewusstsein eines jeden mündigen Bürgers leiten.

 Peter J. König

Samstagskolumne Peter J. König 06.09.2014

"Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied!"  (Goethe, Faust I, Szene in Auerbachs Keller). 

Was hat sich in den letzten vierzehn Tagen innen- und außenpolitisch getan? Gibt es Fortschritte in den Friedensbemühungen der Staatengemeinschaft bezüglich der vielen Krisen weltweit? 

Die Antwort fällt ernüchternd aus und zeigt nur im Ansatz hier und dort kleine Hoffnungsschimmer, von denen man nicht weiß, ob sie morgen schon wieder verglimmt sind. Aber der Reihe nach: Die Wahl in Sachsen hat, kaum merklich, eine Veränderung der deutschen Parteienlandschaft nach sich gezogen. Hier in Dresden im Sächsischen Landtag wurde das "Sterbeglöckchen" für die noch bei der letzten Wahl so erfolgreiche F.D.P. geläutet. Wurde man nach der letzten Wahl mit über 10% von der CDU noch zu einer Koalition gebeten, reichten jetzt die 3% nicht einmal mehr dazu, bei den Wahlanalysen in der ARD und im ZDF eine eigene Rubrik abzubilden. Die F.D.P., die einstmals als das "Zünglein an der Waage" in vielen Koalitionen mitregiert hat, ist bedeutungslos geworden und wurde nur noch, zusammen mit einigen Splitterparteien unter dem Begriff "die Anderen" erfasst. Damit ist eine Ära der "Alten Bundesrepublik" zu Ende gegangen, Die F.D.P. ist an keiner Regierung mehr beteiligt, weder im Bund noch in den Ländern. Lediglich in einigen wenigen Landesparlamenten sind sie vertreten, so in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen. Ob diese Partei jemals wieder überhaupt eine Bedeutung in unserer Parteienlandschaft erlangen wird, scheint mehr als fraglich. 

Westerwelle und Co. hat es in wenigen Jahren geschafft, "die" liberale Kraft in Deutschland zu einem Interessenshaufen mit Bedienungsmentalität verkommen zu lassen. Die Quittung haben die Wähler bei den letzten Wahlen den Liberalen mit dem Stimmzettel verpasst, wobei die Abstimmung in Sachsen das Ende markiert hat. Schon sind Bestrebungen im Gange das liberale Ideengut in einer neuen Partei in Hamburg zu etablieren. Es ist nur zu hoffen, dass hier die alten Grundwerte des Liberalismus wieder maßgeblich vertreten werden, denn diese sind noch immer für unser Gemeinwesen von essenzieller Bedeutung. 

Als die Partei der Stunde hat sich in Sachsen die AfD (Alternative für Deutschland) etabliert, mit über 10% Stimmenanteil und es damit zu ihrem ersten Einzug in ein deutsches Landes-Parlament geschafft. Zuvor war es der AfD schon gelungen ins Europäische Parlament in Straßburg einzuziehen. Bei beiden Wahlen konnten sie maßgeblich auf die Klientel der F.D.P. zurückgreifen. Wer nun glaubt, die AfD sei eine bessere F.D.P. liegt damit aber völlig daneben. Die AfD ist im Parteienspektrum rechts von der CDU/CSU angesiedelt und hat auch kein Problem bei den Nationalisten (NPD, Republikaner oder sonstige Neo-Nazis) "fischen zu gehen". 

Mit fragwürdigen Konzepten gegen ein vereintes Europa und besonders gegen die gemeinsame Währung, den Euro, wollen sie Glauben machen, Deutschland würde sich als das Land der Glückseligen entwickeln, wenn man die Länder speziell in Südeuropa los werden würde. Dies ist ökonomisch falsch und was noch viel schlimmer ist, politischer Unsinn, ja geradezu gefährlich. Wie bereits vielfach erklärt, profitiert unser Land am meisten von der EU, da die meisten Exporte in diese Länder fließen. Unser wirtschaftliches Wachstum hängt maßgeblich davon ab, dass unsere Produkte zollfrei und ohne Währungsdifferenzen in die EURO-Länder verkauft werden können, da somit ein riesiger Binnenmarkt entstanden ist.

Politisch ist die EU ein absoluter Glücksfall, besonders dann, wenn man an die Kriege der letzten hundert Jahre denkt, jetzt wo sich der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum hundertsten Male jährt, während der Angriff von Hitler-Deutschland auf Polen am 1. Sept 1939, also genau vor 75 Jahren stattfand und der Zweite Weltkrieg, der schlimmste Krieg aller Zeiten begann. Dies nur zu Erinnerung, wenn die AfD von einem neuen Alleingang der Deutschen faselt. Leider ist zu befürchten, dass bei den nächsten anstehenden Wahlen in Thüringen und Brandenburg in vierzehn Tagen die Taktik dieser "neuen, deutschen Protestler" noch nicht durchschaut worden ist und die AfD auch hier mit einem zweistelligen Ergebnis in die Parlamente einzieht. 

In Thüringen kommt hinzu, dass es möglicherweise einen Ministerpräsident der Partei "die Linke" geben könnte, der Nachfolgepartei der SED (Staatspartei der DDR). Irgendwie erinnert dies alles schon ein bisschen an späte Weimarer Verhältnisse, eine Polarisierung am linken und rechten Rand, mit einer relativ schwachen Mitte. Hier ist Vorsicht geboten, denn es schadet nichts aus der Geschichte zu lernen. Deshalb ist es so wichtig, dass Deutschland fest in Europa integriert ist, zumal nur ein starkes gemeinsames Europa wirklich eine Chance hat, weltweit sich entscheidend zu behaupten. Über die Interna lassen sich allerdings dann noch streiten, zumindest was die Krümmung einer europäischen Gurke oder sonstige Durchführungsbestimmungen angeht. Aber schon bei der gemeinsamen Außenpolitik oder im militärischen Bereich darf es keine Unstimmigkeiten mehr geben, wie so oft in den letzten Jahren. Hier muss an einem Strang gezogen werden, soll die Stimme Europas das nötige Gewicht bekommen.

Europäische Geschlossenheit ist auch besonders dort wichtig, wo es darum geht, den aktuellen Krisen in der Welt zu begegnen. In unmittelbarer Nachbarschaft, quasi vor unserer Haustüre findet der Krieg im Osten und Südosten der Ukraine statt, der zwar als Bürgerkrieg deklariert wird, wo pro-russische Separatisten sich mörderische Kämpfe mit ukrainischem Militär und Freiwilligenverbänden liefern, um angeblich die russisch-stämmige Bevölkerung zu schützen. Momentan findet eine Feuerpause statt, die auch weitestgehend eingehalten wird und die dem Blutvergießen ein Ende setzen soll. Dies hört sich erst einmal positiv an, doch bei näherem Hinsehen kommen doch berechtigte Zweifel, ob dies auf Dauer so einfach möglich ist.

Zur Erläuterung bedarf es einiger erklärender Fakten. Schon zur Mitte des letzten Jahres, als noch kein Mensch an die Abspaltung der Krim von der Ukraine und die Einverleibung an Russland gedacht hat, wurde in einer geheimen Rede des neuernannten russischen Oberkommandierenden Generals davon gesprochen, dass Russland sich einer neuen Kriegsstrategie zuwenden wird, die die USA angeblich schon sehr erfolgreich durchgeführt hat, nämlich mit einer Guerilla-Taktik funktionierende Staaten binnen kürzester Zeit zu destabilisieren, um durch Aufstände politisch genehme Führungen zu etablieren. 

Unmittelbar danach hat Russland mit den Vorbereitungen, sowohl militärisch als auch geheimdienstlich begonnen, in der Ost-Ukraine zu intervenieren. Militär wurde auf russischer Seite der Grenze zusammengezogen, angeblich zu Manövern. Hier wurden Freiwillige russischer Abstammung ausgebildet, darunter auch paramilitärische Einheiten aus Tschetschenien. Diese sickerten im Laufe des letzten Winters in der Ost-Ukraine und auf der Krim ein, um dort regionale Putschs zu starten, die die Vorherrschaft und später die Abtrennung von der Ukraine bringen sollten. Die Krim war schnell annektiert, ein vorrangiges Ziel der Russen durch die Schwarzmeerflotte. Aber auch das Don-Bass-Gebiet ist im Visier von Putin, denn hier befindet sich die ukrainische Schwerindustrie, auch wichtige Waffenfabriken, die militärisches Gerät für die russische Armee liefern. 

Gerade jetzt, wo die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland drohen immer massiver zu werden, sind diese Waffenschmieden für die Armee von elementarer Bedeutung. Sollte die Ukraine aber, wie es die Mehrheit der Bevölkerung wünscht, der EU oder gar der NATO beitreten, wäre dies ein unersetzbarer Verlust bei der Beschaffung von militärischem Gerät, zumal Russland Hochtechnologie eh aus dem Westen oder aus China und Japan bezieht. Deshalb braucht Putin die Ost-Ukraine oder zumindest den uneingeschränkten Einfluss mehr denn je. Die Waffenruhe geht deshalb einher mit der deutlichen Forderung der Separatisten über die Abspaltung des Gebietes im Osten und Südosten der Ukraine zu verhandeln, um so sich die Schwerindustrie zu sichern, aber auch um durch einen breiten Korridor einen Landzugang auf die Krim zu erhalten. 

Dies würde bedeuten, dass das ukrainische Staatsgebilde in seiner jetzigen Form keinen Bestand mehr haben würde. Auch wäre der westliche Rumpfteil ohne den Osten zukünftig wirtschaftlich kaum lebensfähig. Tatsächlich bestünde die Gefahr, dass weitere Teile in der Westukraine sich abspalten könnten, entsprechend ihrer ethnischen Zugehörigkeit, wie etwa zu Polen oder aber auch zu den anderen angrenzenden Völkern. Damit wäre der Staat Ukraine nicht mehr existent. Jetzt könnte man meinen, dass dies doch viel besser sei, wenn die ethnischen Bevölkerungsteile in einem gemeinsamen Staat besser aufgehoben sind? 

Tatsächlich würde aber ein solches Beispiel verheerende Folgen für Europa haben. Das gesamte Staatengebilde in Europa würde gefährlich instabil werden. Grenzen würden sich verschieben, neue Staaten würden entstehen und bei gemischten Bevölkerungen wäre ständig mit Bürgerkriegen zu rechnen. Europa würde zurück ins Mittelalter fallen und dies zu einem Zeitpunkt, wo mit China, Indien und Brasilien neue, starke Machtblöcke am entstehen sind. Für Russland käme dies einer Einladung gleich, geopolitisch neue Machtsphären zu entfalten, um genau dieses zu verwirklichen, was Putin den Amerikanern und den Europäern vorwirft, nämlich die Ausdehnung der EU und der Nato bis an die unmittelbaren Grenzen seines Landes, nur umgekehrt. Letztendlich sollen alle Aktionen in der Ukraine nur dazu dienen, sich aus der Umklammerung durch den Westen zu befreien, so die offizielle Lesart der russischen Politik. Aber selbst wenn solche Ängste tatsächlich in Russland vorhanden sein sollten und dies nicht nur reine Propaganda ist, so berechtigt dies noch lange nicht den Bruch des Völkerrechts durch die Annexion der Krim. Überhaupt sind solche Konflikte nicht militärisch zu lösen, das sollte auch Herrn Putin klar sein, bei all seinen Träumen von einem wiedererstarkten Russland nach sowjetischem Vorbild.

Bestimmt macht es mehr Sinn, schon allein der geschundenen Menschen wegen, sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen, die berechtigten Interessen aller beteiligten Staaten zu respektieren, um so eine einvernehmlich, friedliche Lösung im östlichen Europa zu ermöglichen. Putin braucht dabei gewiss keine Angst zu haben, dass die Nato Russland überfällt. Beunruhigen könnte ihn vielleicht aber der Umstand, dass dann der Demokratisierungsprozess in Russland allmählich wieder Fahrt aufnimmt, die angrenzenden Staaten die Angst vor Russland langsam abbauen und die wirtschaftliche Entwicklung im europäisch-russischen Raum völlig neue Dynamik bekommt. Ob Zar Putin dann allerdings noch so herrschen kann wie bisher, muss wohl entschieden verneint werden. 

Peter J. König