Haben wirklich alle Parteien die innere Logik von Politik verstanden?
Nachdem die Würfel gefallen, sprich der Souverän seine Stimme abgegeben hat, beginnt nun die Zeit der Sondierung. Doch zunächst macht es Sinn, sich das Ergebnis der Bundestagswahl 2013 anzuschauen und die Gründe zu hinterfragen, wieso es so gekommen ist und nicht anders, und zwar bei allen Parteien, bei denen man bei dieser Wahl eine gewisse Gewichtung angenommen hat.
Angela Merkel, und ich sage bewusst nicht die CDU, hat nur knapp die absolute Mehrheit verpasst, um ein Haar hätte sie die Alleinherrschaft errungen. So ganz stimmt dies natürlich nicht, denn die "Schwestern" aus Bayern, erstaunlich was Seehofer in seinem politischen Leben alles verkörpern muss, haben kräftig mit dazu beigetragen, dass dieser strahlende Sieg, der vielleicht gar nicht so strahlend ist, wie wir später noch feststellen werden, zustande gekommen ist. In Bayern lag der Stimmenanteil bei der Bundestagswahl am letzten Sonntag noch höher, als eine Woche zuvor, als Seehofer wieder die Alleinherrschaft seiner CSU nach den Landtagswahlen genüsslich zelebrieren konnte. Ergo, ginge es allein nach den bayrischen Wählern, hätte die Kanzlerin eine erdrückende Dominanz im Bundestag erreicht. Aber bekanntlich ist Bayern nur ein Teil der Republik, woanders ticken die Uhren anders und nichts war es mit der absoluten Mehrheit. Aber auch für dieses Ergebnis schien man gut gerüstet, denn da gibt es ja noch die Mehrheitsbeschafferin, die ja noch immer bei allen Bundestagswahlen die 5% Hürde übersprungen hat, um dann Vasallen-treu die nötigen Stimmen zu organisieren, zumal bei der letzten Bundestagswahl satte 14% ihnen zugefallen waren. Falls jetzt Irritationen aufkommen sollten, hier ist die Rede von der F.D.P. und ihrer glorreichen Vergangenheit, ein Märchen aus uralten Zeiten, wenn man so will.
Nach einer desaströsen Regierungsbeteiligung unter der Führung von Westerwelle und Fipsi Rösler, in der es noch nicht einmal gelungen war, das einzige Wahlversprechen, das die Gelben bei der letzten Wahl abgegeben hatten, nämlich Steuersenkung durch zu setzen, folgte ein Wahlkampf, für den ein Politik-interessierter Beobachter nur noch Verachtung empfinden konnte. Entsprechend war das Ergebnis, knappe 4,8% und damit kein Wiedereinzug in das Parlament, aber auch keine Mehrheitsbeschafferin für Angela Merkel.
Was ist nur aus der F.D.P. geworden, die sich einst auf die Fahnen geschrieben hatte, die freiheitlichen bürgerlichen Grundrechte zu verteidigen, Liberalität für jedermann zu gewährleisten und die Rechte des Einzelnen gegenüber einem übermächtigen Staat hoch zu halten. Übriggeblieben ist ein Haufen "Karriere-geiler Smartys", die unter dem Frühstücksclown und Selbstdarsteller Westerwelle sich selbst auf eine windige Klientelpolitik reduziert haben und das Gesetz über reduzierte Mehrwehrsteuer im Hotelbereich, nach einer Millionenspende eines Hotelkonzerns, als großen politischen Erfolg gefeiert hat. Über Westerwelles Entourage bei seinen Reisen als Außenminister wunderte sich auch so mancher Eingeweihte, handelte es sich es doch des Öfteren dabei um Personen, die mit dem Außenminister befreundet, vor Ort private Geschäftsbeziehungen anbahnen wollten, wobei die Nähe zum Minister nur förderlich sein konnte. Westerwelles Lebenspartner war da keine Ausnahme.
Als sei dieses Alles nicht schon genug, gab der Wahlkampf den Pseudoliberalen dann den Rest. Los ging es mit dem Spitzenkandidat Rainer Brüderle. Dieser mag ja durchaus seine Meriten im politischen Betrieb erworben haben, als Frontmann bei einer Bundestagswahl war er aber untauglich. Nicht jeder Landwirtschaftsminister aus Rheinland-Pfalz taugt auch zugleich als bundesweites Zugpferd. Als es dann aufgrund der Demoskopie sich heraus kristallisierte, dass es problematisch mit dem Wiedereinzug werden könnte, stellten sich Rösler, aber besonders Brüderle jammerlappig und widerlich anbiedernd vor das Wahlvolk und versuchten als Wurmfortsatz einer zukünftigen Koalition mit den Schwarzen auf Stimmenfang zu gehen. Dies bedeutete das endgültige Aus.
Selbst alte F.D.P.ler, als auch wohlwollende CDU-Wähler, die bei früheren Wahlen mit einer Zweitstimmenkampagne die Gelben schon manchmal vor dem Absturz bewahrt hatten, wollten nicht mehr. Außerdem hätte dies nach der Wahlrechtsänderung auch nicht mehr funktioniert, da Überhangmandate mittlerweile für alle anderen Parteien ausgeglichen werden, damit das Wahlergebnis nicht verzerrt wird. Auf anderen Beistand konnte die F.D.P. nicht hoffen, der Volksmund hatte seine Meinung schon vor der Wahl deutlich kundgetan, das vernichtende Votum lautete: überflüssig. Dem ist zuzustimmen, aber auch gleichzeitig zu widersprechen. Eine F.D.P. in dieser abgewirtschafteten Form braucht unser Land wirklich nicht mehr. Steuerfragen, ob Erhöhungen oder Senkungen werden von allen Parteien im Bundestag vertreten.
Wozu bedarf es da noch eines Westerwelles, Röslers, Bahrs, Niebels, Dörings oder Brüderles? Eine liberale F.D.P. alten Zuschnitts, bevor sie dem Neoliberalismus mit dem einzigen Inhalt des Marktradikalismus nachgehechelt ist, benötigt unser Land, wie schon seit zweihundert Jahren sehr wohl. Immer noch müssen die bürgerlichen Grundrechte gestärkt werden, immer noch gilt es die Übermacht des Staates gegenüber dem Einzelnen zu beschränken und immer noch gilt es individuelle Freiheiten zu gewährleisten und zwar auf allen Feldern der Gesellschaft, in der Wirtschaft, in der Politik und nicht zuletzt in unserem Gemeinwohl.
Klientelpolitik alleine hat da abgewirtschaftet, der Bürger in seiner Gesamtheit muss zurück in den Focus dieser Partei rücken, ansonsten vermisst sie niemand mehr und die führenden Protagonisten der vergangenen letzten Jahre sowieso nicht. Man gestatte einen letzten Satz zu diesem Thema in die Zukunft: Der letzte Hoffnungsträger der Gelben ist Christian Lindner. Er wird den Vorsitz übernehmen und er wird nur eine Chance haben, wenn er sich der alten, soeben skizzierten Werte erinnert und sie vehement programmatisch vertritt. Zu einer neuen Glaubwürdigkeit gehört aber auch, die Führung mit Personen zu besetzen, die zweifelsfrei diese Werte verkörpern. Für Karrieristen, Selbstdarsteller und Egoisten kann kein Platz mehr sein, sonst folgt das, was der allgemeine Tenor der Bevölkerung schon seit langem widerspiegelt: dauerhaft überflüssig.
Doch zurück zur Kanzlerin und ihrem grandiosen Sieg. Was macht sie nun mit ihrem Erfolg, befreit durch Volkes Wille von ihrem Wurmfortsatz mit dem sich so vortrefflich uneingeschränkt regieren ließ? Zwei Optionen scheinen möglich, aber sowohl SPD als auch die Grünen haben, jedenfalls noch nicht öffentlich, hier geschrien. Nur versteckt geben sie Bewerbungen ab, schon wegen ihrer eigenen Wähler. Deshalb können beide Parteien angeblich sich eigentlich nicht vorstellen in eine Koalition mit der CDU einzutreten, zu groß sind die programmatischen Unterschiede, ein Politikwechsel wurde ja von beiden gefordert. Man will sich nicht noch einmal unter Merkel verheizen lassen, so die Roten, man spielt nicht die Ausputzerin und Mehrheitsbeschafferin, so die Grünen und trotzdem wird sich schon einmal hübsch gemacht, um vielleicht doch ins gemeinsame Bett zu steigen, aber nur wenn die eigenen Inhalte sich durchsetzen lassen, was so viel heißen soll, die jeweilige Braut bestimmt die Spielregeln in der Hochzeitsnacht.
Dies verspricht spannend zu werden.
Übrigens klingen die aktuellen Statements von beiden Umworbenen eher wie das Pfeifen im Wald, selbstbewusstes politisches Taktieren sieht anders aus. Beide haben ihre Wahlziele nicht erreicht, wobei die Grünen auf Grund ihrer und Trittins maßloser Selbstüberschätzung ein Teil Ihrer Stammwählerschaft eingebüßt hat. Anstatt konsequent ihre Kernthemen wie Ökologie und Bildung verstärkt zu vermitteln, haben sie in abstoßender Oberlehrer-Manier versucht Volkspartei zu spielen. Mit Steuererhöhungen ihre Stammwählerschaft wie Lehrer und gehobenen Mittelstand zu rupfen, war keine gute Idee, auch nicht die Themenfelder von SPD oder gar den Linken zu besetzen. Der Schreiber dieser Zeilen hat bereits in einer früheren Kolumne bei der Besprechung des Wahlprogramms der Grünen darauf hingewiesen, dass sich die Folgen am Wahlabend an den Zahlen ablesen lassen werden. Genauso ist es gekommen, ein zweistelliges früheres Ergebnis ist mit 8% weit verfehlt worden, mit der Folge, dass die gesamte Parteispitze zurück getreten ist. Unzweifelhaft erhöhen sich so die Chancen eventuell doch mit den Schwarzen sich einig zu werden, denn nach der Dominanz des linken Flügels mit Trittin und Künast, deren Handschrift deutlich im Wahlprogramm abzulesen war, wird der Einfluss der"Realos" einst von Joschka Fischer geführt, erheblich stärker.
Es bleibt abzuwarten, was sich letztlich durchsetzt, der Wille an die Macht oder das Schicksal mit der Linken eine schwache Opposition zu bilden. Auf jeden Fall wird dann genügend Zeit und Gelegenheit bleiben, noch einmal über die innere Logik von Politik nach zu denken. In der Demokratie kann Politik nicht verordnet werden. Man muss den Wähler von seinen Ideen überzeugen, nachdem man festgestellt hat, für welche Klientel man eigentlich Politik machen möchte. Dies ist den Grünen zählbar misslungen.
Kommen wir zu der wahrscheinlichsten und vielleicht momentan besten Lösung einer Regierungsbildung nach heutigem Stand, der großen Koalition. Zwar geht zumindest an der Basis der SPD die große Angst um, unter Merkel ein zweites Mal am Ende wieder als gerupftes Huhn die Arena zu verlassen, doch in einer jetzigen großen Koalition ist nicht unbedingt davon auszugehen. Die SPD-Granden jedenfalls wollen kein Risiko eingehen und binden die Basis durch entsprechende Zustimmung mit ein. Dabei ist das Risiko für die SPD als Juniorpartner weitaus geringer als beim letzten Mal. Dafür sprechen einige grundsätzlich veränderte Bedingungen, ganz im Gegenteil, wenn die SPD klug und umsichtig, ohne innere Parteiquerelen handelt, hat sie sogar die Chance 2017 bei der nächsten Wahl eine Regierung unter ihrer Führung zu stellen. Gründe dafür gibt es mehrere. Nicht nur das Mutti Merkels Kräfte aufgebraucht sind, mittlerweile werden die Defizite Ihres Regierungshandelns deutlich sichtbar. Schon jetzt wird klar, dass das alte Spiel von vorne losgeht. Steuererhöhungen vehement ausgeschlossen, wird hinter den Kulissen schon wieder laut darüber nachgedacht, übrigens auch ein Zeichen in welche Richtung die Avancen zu einer Regierungsbildung gehen. Merkels alter Führungsstil setzt sich nahtlos fort, Wahlversprechen halten nur solange bis tatsächliche Notwendigkeiten sie hinfällig machen, von denen man vor der Wahl angeblich nichts wusste. Während die CDU nach vielen Merkeljahren allmählich auszehrt, könnte die SPD neues Profil gewinnen, die Chance jedenfalls gäbe es dazu.
Neben allen parteipolitischen Betrachtungen gibt es unter anderen einen sehr entscheidenden Aspekt, der für uns alle bei einer großen Koalition wichtig ist. Durch die gemeinsame Mehrheit der beiden Parteien sowohl im Parlament, als auch im Bundesrat ist ein gegenseitiges Blockieren ausgeschlossen. Dies ist im Hinblick auf die anstehenden Problemfelder bei der Finanz- und Wirtschaftspolitik, bei der Europapolitik, der Außenpolitik und der europäischen Einigung enorm wichtig und bewahrt uns alle vor einem destruktiven Stillstand. Wenn dann beide Parteien auch noch bemüht sind , nicht nur den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, was oftmals der Profilneurose geschuldet ist, sondern in Verantwortung für unser ganzes Land handelt, wenn die Wirtschaft wieder den Menschen dient, weil es politisch gewollt ist und dies sind ja Spielfelder für beide großen Parteien, dann macht eine solche Koalition wirklich Sinn.
Keinen Sinn hätte der Einzug der AfD oder der Piraten in den Bundestag gemacht, da dies weder der Ort für rechtsgestützte Phantasten und rückwärtsgewandte Zukunftsverweigerer ist, noch die selbstgewählte Spielwiese für Clownerien von politikunkundigen, verfassungsignoranten Internetanbetern sein kann.
Peter J. König