Wo steht Deutschland wirklich?
Die letzte Woche war geprägt von zwei sehr aufschlussreichen Besuchen. Am Montag und Dienstag hat der amerikanische Präsident Barack Obama im Anschluss an den G 8-Gipfel in Nordirland mit seiner Familie Berlin besucht, während unmittelbar anschließend am Freitag Bundeskanzlerin Merkel nach St. Petersburg zu einem internationalen Wirtschaftsforum flog, um am Abend, so die Planung zusammen mit Präsident Putin eine Kunstausstellung zu eröffnen. So viel sei schon vorweg gesagt, Entscheidungen von weltbewegender Tragweite wurden bei beiden Treffen nicht verkündet. Während der amerikanische Präsident eine Abrüstungsinitiative von Atomsprengköpfen ansprach, sollte der Besuch Angela Merkels jetzt in der Zeit der weißen Nächte an der Newa eher informeller Natur sein und die kulturellen Bindungen zwischen Russland und Deutschland vertiefen. Doch welche Überraschung, welcher Eklat, der gerade noch diplomatisch verbrämt werden konnte. Selten hat man in der letzten Zeit so offen die Kontroverse zwischen beiden Staatsführern gesehen, wie am gestrigen Freitag. Aber gehen wir chronologisch vor und versuchen wir an Hand dieser Besuche, die jeweiligen politischen Beziehungen zwischen den Ländern zu analysieren.
Natürlich wurden für Obama bei seinem achtundzwanzigstündigen Aufenthalt in der Bundeshauptstadt Berlin, obwohl nur als Arbeitsbesuch deklariert, alle Register gezogen, die für einen Staatsbesuch möglich sind. Empfang mit militärischen Ehren beim Bundespräsident im Schloss Bellevue. Treffen und ausgiebiges Gespräch mit der Kanzlerin, anschließend Pressekonferenz vor der internationalen Presse. Hier war man gespannt, ob auch das aktuell heikelste Thema zur Sprache kommen würde, nämlich die totale Überwachung des Internets durch amerikanische Geheimdienste und wie würde der Präsident dazu Stellung beziehen? Weitere Themen, die hierzulande intensiv diskutiert werden, wie die Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo und die Steuerung von Drohnen von amerikanischen Stützpunkten in Deutschland zum weltweiten Einsatz, standen ebenfalls auf dem Fragenkatalog der Journalisten.
Nach allgemeiner Ansicht soll das Verhältnis zwischen Angela Merkel und Barack Obama von kühler Pragmatik geprägt sein. Des Weiteren sollen sich die Staatsinteressen unterschiedlich entwickelt haben, manche Kenner haben sogar schon von einer Eiszeit zwischen den beiden Staaten gesprochen, von einem vermeintlichen Bruch der transatlantischen Achse. Obama habe als Präsident sein ganzes Interesse auf den pazifischen Raum gelegt, zumal er auf Hawaii geboren wurde und er mit seiner Mutter im schulpflichtigen Alter einige Jahre in Indonesien verbracht hat. Auch soll der Sparkurs der Kanzlerin auf wirtschaftlichem Gebiet für die amerikanische Administration völlig kontraproduktiv sein. Die FED, also die amerikanische Notenbank versucht durch eine fortwährende Schuldenpolitik, indem sie die Märkte mit Dollar flutet, die amerikanische Wirtschaft zu stimulieren, damit sie aus der Krise kommt. Hier ist der Kurs der Kanzlerin eher schädlich für die Weltwirtschaft, so die Amerikaner.
Wenn auch die Interessenslage der beiden Staaten unterschiedlich ist, atmosphärisch war von Eiszeit nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil: Gauck und Obama schienen sich auf Anhieb zu verstehen, obwohl sie sich zum ersten Mal begegnet sind. Ausgehend von dem wunderschönen Wetter, früher wurde ein solcher glänzender Sommertag als Kaiserwetter bezeichnet, hat Obamas Charme Gauck nicht lange fremdeln lassen. Beim Abspielen der amerikanischen Hymne war er zutiefst ergriffen. Danach ging es zwischen den beiden zu wie bei dem Besuch eines alten Schulfreundes nach vielen Jahren der Trennung. Selbst die sonst eher spröde wirkende Kanzlerin war völlig aufgeräumt. Empfing sie den Präsidenten vor dem Kanzleramt zwar freundlich, aber eher zurückhaltend, so wurde sie im Laufe des Tages immer zugänglicher. Für wahre Freundschaftsgesten konnte die gemeinsame Pressekonferenz noch nicht herhalten, war doch zu spüren, dass die genannten Problemfelder nicht ausgeräumt werden konnten oder seitens Obama nicht ausgeräumt werden wollten. Darüber konnten auch seine verbindlichen, aber wenig aussagekräftigen Antworten nicht hinweg täuschen. Dem aufmerksamen Zuhörer konnte nicht entgehen, dass der amerikanische Präsident, trotz aller Charmeoffensive nicht gewillt ist, von seiner knallharten Linie abzurücken. Vielmehr sieht er seine Aufgabe darin, die Deutschen und die Europäer für seine Interessen einzubinden.
Deutschland soll als jahrzehntelanger verlässlicher Verbündeter und als stärkste Wirtschaftsmacht in Europa helfen, die restlichen europäischen Staaten in eine gemeinsame Freihandelszone mit einzubinden. Dieser größte Wirtschaftsraum weltweit soll die ökonomische Macht beiderseits des Atlantiks festigen, um den Herausforderungen der Globalisierung Paroli bieten zu können.
Höhepunkt des Besuches war zweifellos die Rede des Präsidenten auf dem Pariser Platz auf der östlichen Seite des Brandenburger Tores. Es sollte eine historische Ansprache werden, wie vor genau fünfzig Jahren, als John F. Kennedy vom Schöneberger Rathaus aus seine Freiheitsrede an die Berliner richtete. Diesen Anspruch konnte Obama nicht erfüllen. Er hat zwar den Russen ein Angebot zur Reduzierung des nuklearen Arsenals gemacht, ansonsten blieb er allgemein verbindlich und hat sich in Erinnerungen ob der amerikanisch-deutschen Freundschaft ergangen, politisch wenig konkret. Allein die menschliche Beziehung zwischen Barack Obama und Angela Merkel schien irgendwie an diesem Tag gewachsen zu sein. Selten hat man die Bundeskanzlerin so gelöst gesehen, wie bei dem gemeinsamen Auftritt vor dem Brandenburger Tor.
Aber auch Obama hat es sichtlich genossen, das warmherzige Entgegenkommen der Zuhörer. Wenn auch handverlesen, ließen sie den Präsident sichtlich aufleben. Er schien sich in Berlin wohl gefühlt zu haben, da kein anderer Präsident eine solche Aufmerksamkeit genießt. Für das deutsch-amerikanische Verhältnis war dieser Besuch gewiss eine Bereicherung, zumal er schon überfällig war. Auch wird er zur Verbesserung der persönlichen Beziehung zwischen Obama und Merkel beigetragen haben, wo doch die Amerikaner mit der Wiederwahl von Angela Merkel rechnen. Wer aber glaubt, dass dadurch der Einfluss seitens der Deutschen auf die Politik des Weißen Hauses größer geworden ist, der täuscht sich gewaltig. Alle amerikanischen Präsidenten sind ausschließlich ihrem eigenen Landeswohl verpflichtet. Sie akzeptieren nur solche Einflüsse, die den Interessen der Amerikaner entgegenkommen. Mit einem festlichen Essen am Abend im Charlottenburger Schloss wurde der amerikanische Präsident verabschiedet. In Begleitung seiner attraktiven Gattin Michelle gelang es diesen Besuch sehr einvernehmlich abzurunden, sodass Obama nur die angenehmsten Erinnerungen nach Washington mitnehmen konnte.
Welcher Gegensatz dann am gestrigen Freitag in St. Petersburg. Am Rande des Petersburger Wirtschaftsgipfels sollten Präsident Putin und Frau Merkel gemeinsam die Petersburger Bronze-Zeit-Ausstellung eröffnen. Bei ihrer Eröffnungsrede, so signalisierte die Kanzlerin der russischen Seite, wollte sie auf die Tatsache aufmerksam machen, dass viele Objekte in dieser Ausstellung von russischen Soldaten im Zuge der Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg als Beutekunst nach Russland verbracht worden sind und dass es jetzt an der Zeit sei , diese Stücke zurück zu geben. Seit Jahren wird dieses von russischer Seite abgelehnt. Nachdem das Vorhaben der Kanzlerin der Moskauer Regierung bekannt wurde, hat diese kurzerhand die Ansprachen gestrichen. Daraufhin hat der deutsche Regierungssprecher noch kurz vor dem Abflug nach Petersburg bekannt gegeben, dass Merkel noch vor der Eröffnung der Ausstellung wieder nach Berlin zurückfliegen werde. Der Eklat schien perfekt. Eine solche Verstimmung im deutsch-russischen Verhältnis hat es seit den Tagen des Kalten Krieges nicht mehr gegeben. Bei allen Meinungsverschiedenheiten und unterschiedlichen Interessen hat man es doch immer verstanden, diplomatisch nach außen kooperativ zu wirken. Schröder und Putin verbindet seit langem eine intensive Freundschaft, da wurde Konsens bei einigen guten Flaschen Rotwein geschaffen, zu welchem Vorteil auch immer?
Bei Merkel und Putin scheint die Beziehung einen Tiefpunkt erreicht zu haben. Vielleicht ist der russische Präsident verärgert, dass er niemals einen solchen Empfang wie Obama in Deutschland bekommen hat. Vielleicht hat es auch etwas mit der Bundestagswahl zu tun, dass Schröder seinem Kumpel signalisiert hat, er möge die CDU-Vorsitzende auflaufen lassen, damit Steinbrück eine neue Angriffsfläche bekommt, nämlich das von Merkel zerstörte gute Verhältnis zu Russland. Vielleicht sind dies aber auch noch die Nachwirkungen des G8-Gipfels, als Putin bedrängt wurde sich von Assad zu lösen und nur sehr widerwillig einer Syrien-Konferenz in Genf zugestimmt hat. Fakt ist letztendlich, dass die Kanzlerin mit Putin die Ausstellung eröffnet und auch gesprochen hat und beide dabei ihre ablehnenden Gefühle kaum verbergen konnten. Hier scheint unbedingter Handlungsbedarf in Sachen Freundschaft zu bestehen. Immerhin hätte es dazu noch eine Gelegenheit gegeben, denn das geplante Abendessen auf einem Schiff auf der Newa mit dem Blick auf die sommerliche Stadt wurde dann auch noch gemeinsam eingenommen. Diese weißen Nächte in St. Petersburg zur Mittsommernacht, wenn alles in ein sanftes Licht getaucht ist und die Sonne kaum untergeht, hätten den richtigen Rahmen für eine erneute Annäherung geboten und so viele Flaschen Rotwein wie mit Schröder wären bestimmt auch nicht erforderlich gewesen.
Peter J. König