Neue Eskalation in der Ost-Ukraine. Wo ist das Ende?
Leider hat sich die Lage in der Ost-Ukraine so zugespitzt, dass zweifellos von einer besonders gefährlichen Situation gesprochen werden muss, so gefährlich wie man sie zwar vor vierzehn Tagen vielleicht erahnen mochte, aber nicht wirklich realistisch eingeschätzt hat. Hauptsächlich scheint man bei den westlichen Regierungen nicht davon ausgegangen zu sein, dass Putin Ernst machen würde, mit seiner expansiven imperialen Politik, um mit Hilfe russischstämmiger Bürger in den ehemaligen Sowjet-Republiken, diese neuen unabhängigen Staaten zu destabilisieren, um so, wenn nicht gleich wie auf der Krim sie zu annektieren, dann aber doch direkten massiven Einfluss zu gewinnen.
Die sogenannten Boykottmaßnahmen, die von den USA und den Europäern nach der Krimeingliederung gegenüber Russland erhoben wurden, zeigen deutlich, dass die westlichen Führer den Ernst der Lage nicht erkannt, oder ihn zumindest unterschätzt haben. Ihnen war nicht klar, wozu Putin in der Lage ist, denn mit ein paar Einreiseverboten und Kontensperrungen lässt sich ein Mann von dem Kaliber eines Putin auf dem Weg zum Höhenrausch gesteuerten Machtmenschen nicht sonderlich beeindrucken. Die positive Resonanz seines Handelns im eigenen Land wirkt auf ihn dazu noch wie ein Brandbeschleuniger.
Die überwiegend unaufgeklärte Durchschnittsbevölkerung erliegt zudem der medialen Propagandamaschinerie in den offiziellen russischen Medien. Sie verbreiten den vom Kreml vorgegebenen Kurs, die objektive Berichterstattung ist in Russland so gut wie nicht mehr vorhanden, dafür hat Putin schon seit längerem gesorgt. Die freie Meinungsäußerung in den Publikationsmitteln wurde mit aller Macht unterdrückt, sei es durch den Mord an unliebsamen Journalistinnen und Journalisten, sei es durch das Verbot von freien Zeitungen oder Fernsehsendern. Bei den Nazis nannte man so etwas: die Gleichschaltung der Presse.
In Russland heißt das: Kampf gegen die antirussische, vom Westen unterwanderte Hetzpresse, die das freie Russland destabilisieren soll. Allein diese Entwicklung hätte im Westen für ein massives Aufhorchen sorgen müssen, und dies schon seit geraumer Zeit. Doch nichts ist passiert. Die Bundesregierung hat durch ihren Sprecher zwar die Pressefreiheit in Russland angemahnt, aber ansonsten hat man sich versteckt, zu verlockend schienen die Geschäfte mit Russland sich zu entwickeln. Die immer größer werdende Abhängigkeit von russischem Öl und Gas schien auch keinen sonderlich zu beunruhigen, Altkanzler Schröder ist ja eng mit dem"lupenreinen Demokraten" Putin befreundet, was soll uns da in Deutschland passieren.
Den Vogel hat Geschäftemacher Schröder jetzt auch noch zum Wochenende abgeschossen, als er auf einer pompösen Nachfeier zu seinem siebzigsten Geburtstag in St.Petersburg als Ehrengast seinen lieben Freund und Gönner Vladimir auf`s Herzlichste empfangen hat, während sein früherer Kanzleramtschef und heutige Außenminister Steinmeier durch die ehemaligen GUS-Staaten jettet, um ihnen den Beistand der EU gegenüber Putins Expansionspolitik zu versichern. Mit der Zurückhaltung eines "Elder Statesman" hat so etwas aber überhaupt nichts zu tun, dies ist einfach nur instinktlos, oder aber grenzenlos boniert.
Die hohe Politik muss sich darüber im Klaren sein, dass die Vorgänge in der Ost-Ukraine lediglich ein Versuchsballon für Putin darstellt. Er will hier testen, ob das System der militärischen Unterwanderung sich ähnlich wie schon auf der Krim ohne großen westlichen Widerstand durchsetzen lässt. Dass die westliche Allianz sich militärisch in der Ukraine engagieren wird, dies stand von vorne herein nicht zur Debatte, einen Krieg um die Ukraine würde es nicht geben, das war Putin klar.
Deshalb konnte er auch relativ gelassen seine Eliteeinheiten auf ost-ukrainisches Territorium schicken, vermummt und ohne Hoheitsabzeichen, was eh völkerrechtswidrig ist. Das Argument, damit die russischstämmige Bevölkerung vor rechtsradikalen Pogromen aus Kiew zu schützen, ist völlig absurd und schon aus dem Grund abwegig, da der überwiegende Teil der Bevölkerung dort entweder russischer Abstammung oder zumindest prorussisch orientiert ist. Zudem ist es Aufgabe der souveränen ukrainischen Polizei solche Ausschreitungen zu unterbinden, falls sie tatsächlich vorgekommen wären. De facto ist jedoch die Ordnungsmacht in der Ost-Ukraine durch russische Eliteeinheiten entmachtet worden, indem sie Polizeireviere gestürmt und die Polizisten entwaffnet haben. Straßenmob, von russischen Agenten angeheuert und von russischen Militärs mit Waffen ausgerüstet, sind die neuen Herren im Land.
Sukzessive werden militärische ukrainische Einrichtungen belagert und angegriffen, Straßensperren errichtet und westliche Militärbeobachter einer OSZE-Mission, bei der auch vier deutsche Offiziere teilgenommen haben, wie Banditen gekidnappt, um sie später gegen pro-russische Terroristen auszutauschen. Eine rechtliche Grundlage für diese Vorgänge gibt es nicht, allein die starken russischen Verbände, die unmittelbar hinter der ukrainisch-russischen Grenze stehen, ermöglichen diese Gewaltakte. Um den Russen keinen Vorwand zum Einmarschieren zu geben, hat die Übergangsregierung in Kiew auf ein militärisches Eingreifen verzichtet, und wenn eine Straßenblockade einmal mit Gewalt aufgelöst wurde, war sie nach Abzug des ukrainischen Militärs sofort wieder errichtet worden.
Dabei hatten sich alle Konfliktparteien in Genf auf einem Gipfel zu friedensstiftenden Maßnahmen und zur Deeskalation verpflichtet, einschließlich der Russen, Europäer und Amerikaner.
Faktisch ist dieses Übereinkommen aber nicht einmal das Papier wert, auf dem es gedruckt worden ist. Die russischen Provokationen werden systematisch fortgeführt, denn Putin will wissen, wie weit er gehen kann. Außerdem wird er seine klammheimliche Freude daran haben, die relative Ohnmacht der westlichen Staaten zu beobachten, besonders da er Obama offensichtlich dadurch die Stirn bieten kann. Putin glaubt so seinem Ziel, ein wieder erstarktes Russland, mit einer Einfluss Sphäre, ähnlich wie zu Zeiten der Sowjet-Union endlich erneut näher zu kommen. Er versucht mit allen möglichen Mitteln, sich den Traum von der imperialen Weltmacht zu erfüllen.
Dass dies nicht ohne ein gefährliches Risiko vonstatten geht, zeigt das Beispiel des 1. Weltkrieges, das sich am 1.August zum hundertsten Mal jährt. Damals hat die Ermordung des österreichischen Erzherzog Franz-Ferdinand und seiner Gattin in Sarajewo nicht nur einen Krieg zwischen Österreich und Serbien ausgelöst, sondern zu einem Weltbrand geführt, bei dem Dreiviertel der Menschheit mit insgesamt über 40 beteiligten Staaten sich im Kriegszustand befanden, dabei 10 Millionen, meist junger Menschen das Leben kostete, alte Dynastien hinweg fegte und letztendlich einen ganzen Kontinent traumatisiert zurück ließ. Der daraus resultierende 2. Weltkrieg folgte mit noch schlimmeren Ereignissen, auch den Holocaust darf man dabei nicht vergessen.
Deshalb ist es besonders wichtig, bei der Beurteilung der heutigen Lage, sich die Tatsachen aus der Vergangenheit bewusst zu machen.
So wie die damaligen Herrscher keinen Krieg in Europa gewollt haben, so will auch heute kein verantwortlicher Politiker eine militärische Auseinandersetzung, auch Putin nicht, zumal seine potentielle Kraft begrenzt und seine technische Ausrüstung veraltet ist. Trotzdem muss klar sein, dass Putin ein Machtmensch ist, der bereit ist jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen, um seine Ziele zu erreichen. Die Zurückhaltung des Westens wird er nicht als das verstehen, wozu es eigentlich dienen soll, nämlich den Konflikt in der Ukraine mit friedlichen Mitteln auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Mit den Aktionen zur Destabilisierung versucht er so etwas wie einen Geländegewinn, um im Vokabular früherer Militärs zu bleiben, damit man sich etwas einverleiben kann, oder aber zumindest größere Verhandlungsmasse hat, wenn es doch darum geht die Einfluss-Sphäre abzustecken. Dass so etwas auch schief gehen kann, zeigt gerade das Beispiel des 1. Weltkrieges ganz deutlich.
Damit es nicht soweit kommt, muss jetzt unbedingt ein Strategiewechsel herbei. Die westliche Allianz muss neben verstärkten Verhandlungsoffensiven durch strikte wirtschaftliche empfindliche Boykottmaßnahmen zeigen, dass die Zeit des laschen Handelns vorbei ist, denn es kann ja nicht angehen, dass russische führende Politiker die bisher getroffenen Maßnahmen als harmlos und unbedeutend bezeichnen und dies auch so meinen. Dies klingt wirklich nicht nach westlicher Entschlossenheit. Putin weiß genau, dass konsequente wirtschaftliche Maßnahmen gegen ihn auf Dauer ihm nur schaden werden und dass danach Russland sehr viel mehr geschwächt sein wird, als sie es heute sind, mit aktiven Handelsbeziehungen besonders zu Europa. Von hier und aus den USA braucht das Land technische Erneuerungen, moderne Infrastruktur und entsprechendes Know-how.
Von Öl und Gas alleine werden die Russen nicht satt werden, aber hauptsächlich fehlt ihnen der technologische Quantensprung, der notwendig ist, um wieder zu den führenden Weltmächten zu gehören, eben jenem Traum, den Putin so gerne in die Wirklichkeit umsetzen würde. Dies ist aber nur möglich, wenn er die Chance zur Kooperation erneut sucht und sich nicht in Konfrontation verstrickt. Dies Herrn Putin klar zu machen, ist die dringende Aufgabe der Stunde. Dazu gehören die entsprechenden konsequenten Maßnahmen, wie soeben besprochen, aber auch eine gemeinsame Haltung aller Westmächte, ohne Ansicht ihrer persönlichen wirtschaftlichen Vorteile. Es muss doch möglich sein, aus Europa einen friedlichen Kontinent zu machen, nachdem so vielfach schmerzhaft klar geworden ist, dass wir nur miteinander in Frieden gute Lebensbedingungen schaffen können, ansonsten aber einer sehr ungewissen Zukunft entgegen gehen.
Peter J. König