Was unterscheidet Merkels Handy von allen anderen hierzulande?
Nicht die Tatsache, dass sich die stärksten Parteien des Bundestages in der neuen Legislaturperiode, nämlich CDU und SPD nicht so ganz überraschend zu Koalitionsverhandlungen zusammen gefunden haben, ist das spannendste Ereignis der letzten Tage, nein das politische Berlin scheint fassungslos ob der Erkenntnis, dass Angela Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin von amerikanischen Geheimdiensten ausspioniert worden ist. Dabei soll ihr Diensthandy abgehört worden sein, ausgerechnet aus der amerikanischen Botschaft, die neuerrichtet am Potsdamer Platz, nur wenige hundert Meter vom Regierungssitz der Kanzlerin einen hervorragend Standort inmitten des Regierungsviertels einnimmt.
Dass Frau Merkel nicht allein im Focus des Überwachungsinteresses der USA stand, angeblich sei dies zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr der Fall, so der Sprecher des amerikanischen Präsidenten, scheint zweifelfrei. Es ist davon auszugehen, dass alle hochrangigen Politiker, gleichgültig welcher Partei auch, belauscht worden sind. Damit hatten die Amerikaner einen ziemlich genauen Wissensstand, was in der deutschen Politik so vor sich gegangen ist. So etwas hilft natürlich bei jeder Art von Verhandlung, man ist seinem Gegenüber immer einen entscheidenden Schritt voraus. Zudem lässt sich dieser Informationsvorsprung bestens in die eigene Planung einbauen, unangenehme Überraschungen, etwa bei der Verweigerung gemeinsamer militärischer Aktionen können frühzeitig in die eigenen Strategien eingebunden werden.
Ob solche Bespitzelung auf deutschem Boden rechtswidrig ist, scheint im Fall der USA noch gar nicht ausgemacht, obwohl dieses seitens der Regierung und des Innenministers vehement verkündet worden ist. Auf Grund früherer Verträge und bedingt durch den Status einer Siegermacht des Zweiten Weltkrieges wurden den Amerikanern solche geheimdienstlichen Tätigkeiten zugestanden. Während des Kalten Krieges war die Bundesrepublik und West-Berlin der eigentliche Tummelplatz für Agenten und Spionage, über den Eisernen Vorhang hinweg, aber auch in Westdeutschland, allein schon um die Vasallentreue zu überprüfen. Wie Historiker erklären, hat es bisher keine Aufhebung der bestehenden Verträge diesbezüglich gegeben, was natürlich aktuell von der Politik bestritten wird. Auf deutscher Seite ist man davon ausgegangen, dass mit der Integration in die westliche Bündnisgemeinschaft selbstverständlich eine irgendwie geartete Überwachung seitens der Amerikaner eingestellt werden würde. Dies hat sich aber jetzt als fataler Irrtum heraus gestellt. Mit neuen Techniken wurde noch lückenloser ausgespäht.
Dabei hat man selbst die befreundete Bundeskanzlerin nicht ausgelassen. Als ob dies nicht schon peinlich genug wäre, nach all den Freundschaftsbekundungen, immerhin hat Obama Angela Merkel vor nicht allzu langer Zeit mit der Friedensmedaille, einem der höchsten zivilen Orden, die die Vereinigten Staaten verleihen können, ausgezeichnet und sie dabei als sehr bedeutenden Freund der Amerikaner bezeichnet. Gleichzeitig wurde die Bundeskanzlerin auf dem Handy abgehört und mit ihr ein Großteil der politischen Elite unseres Landes. Wie passt so etwas zusammen? Eigentlich gar nicht und trotzdem rechtfertigen die USA diese Vorgehensweise, argumentieren mit bestehenden Verträgen und versuchen mit plumpen Erklärungen wie z. B., dass die deutsche Regierung sich abhörsichere Kommunikationsmittel beschaffen muss, oder dass die Amerikaner dafür sorgen müssen, dass solche Aktivitäten nicht an die Öffentlichkeit geraten, die Affäre herunter zu spielen.
Obama selbst hat sich öffentlich zu diesem Affront gegenüber einem der engsten Verbündeten der USA nicht geäußert. Die NSA, also der agierende Geheimdienst erklärte lediglich lapidar: der Präsident sei nicht in Kenntnis gesetzt worden.
Dies ist doch sehr zweifelhaft, denn bei einem solch gravierenden Akt von Informationsbeschaffung, immerhin wurden eine Reihe weiterer Präsidenten und Staatsführer ausgespäht, so etwa in Frankreich und Brasilien, aber auch Weltorganisationen wie die UNO, das kann nicht ohne das Wissen des Mannes im Weißen Haus passieren, bei dem alle wichtigen Fäden der amerikanischen Politik, Diplomatie und bedeutenden Staatsangelegenheiten zusammenlaufen. Dieser Sachverhalt wirft ein diffuses Licht auf den einst charismatischen ersten farbigen Präsidenten der USA, von dem erwartet wurde, eine neue Art von Politik nach innen und nach außen zu betreiben.
Der Friedensnobelpreis ist ihm verliehen worden, weil man ganz große Hoffnungen in sein politisches Handeln gesetzt hatte. Das Präsidentenamt hat ihn verändert, die sich daraus ergebenden Zwänge haben wenig von seiner Strahlkraft übrig gelassen. Die Abhör-Affären bilden einen erneuten Tiefpunkt, nach weltweiten Drohnenangriffen und damit verbundenen Tötungsakten auch von unschuldigen Zivilisten. Nicht alles ist mit dem Krieg gegen den Terror zu rechtfertigen, bestimmt aber nicht das Bespitzeln von befreundeten Staats-Frauen und Männer, politischen Führern von verbündeten Staaten. Schon wird nach amerikanischer Diktion relativiert, wenn man in erster Linie von Partnern spricht. Doch wie soll man die Gesten von Obama gegenüber Merkel im Garten des Weißen Hauses verstehen, oder zuletzt das Treffen in Berlin auf dem Potsdamer Platz, als der Präsident sich seines Jacketts entledigte mit der Bemerkung: bei guten Freunden kann man sich ruhig etwas lockerer geben?
Dass dies alles unmittelbar vor der amerikanischen Botschaft passiert ist, von wo zur gleichen Zeit mit ziemlicher Sicherheit das Handy der Kanzlerin überwacht worden ist, gibt der Angelegenheit eine ganz besondere Brisanz, um nicht zu sagen, wie schamlos ist das denn?
Als im Sommer, bedingt durch die Veröffentlichungen des geflohenen, ehemaligen NSA-Mitarbeiter Snowden die deutsche Öffentlichkeit aufgeschreckt wurde, weil vermutlich monatlich viele Millionen Gespräche und Mails von Handys bundesdeutscher Bürger abgehört worden sind, hat die Regierung versucht durch wachsweiche Erklärungen und absurde Beteuerungen dieses Thema unter den Teppich zu kehren. Die Bundestagswahlen warfen ihre Schatten voraus und ein Skandal konnte Merkel sich nicht leisten, zumal auch nie geklärt wurde, wie weit die deutsche Regierung über den deutschen Geheimdienst BND involviert war, entweder durch Tolerierung oder gar durch aktives Handeln.
Profalla, der Kanzleramtschef und einer der engsten Vertrauten von Merkel hat in einem an Peinlichkeit nicht mehr zu überbietenden Kurzstatements gesagt: Die NSA habe erklärt, keine Rechtsbrüche auf deutschem Boden durch Abhören zu begehen, dies sei für ihn absolut glaubwürdig, die Angelegenheit sei damit vom Tisch. Dies war und ist bis heute nicht der Fall, denn auf Anfrage der Bundesregierung haben die Amerikaner noch immer nicht auf die aufklärenden Fragen geantwortet, die ihnen in dieser Angelegenheit zugesandt worden sind. Schon in der damaligen Kolumne hat der Schreiber dieser Zeilen darauf hingewiesen, dass der Wahlkampf eine völlig neue Dynamik bekommen würde, wenn tieferschürfende Erkenntnisse auf die Tagesordnung kämen. Da die amerikanische Administration und Merkel in diesem Punkt die gleichen Interessen vertreten haben, wurde die Angelegenheit schnellstens abgewürgt. Und jetzt das.
Hätte Merkel sich mit der gleichen Empörung schon damals an Obama gewandt, hätte dieses für sie vielleicht größere Probleme im Wahlkampf aufgeworfen, ihrer Glaubwürdigkeit insgesamt aber hätte das gut zu Gesicht gestanden. Jetzt steht sie selbst da, düpiert wie ein begossener Pudel und muss sich fragen, was all diese Freundschaftsbekundungen eigentlich wert waren, welche Rolle Deutschland im deutsch-amerikanischen Verhältnis einnimmt und wie der enorme Vertrauensverlust in dieser Beziehung wieder aufgefangen werden kann. Amerika ist und bleibt unser Verbündeter. Über viele Jahrzehnte hat sich gerade von deutscher Seite ein großes Vertrauen, ja oftmals eine breite Sympathie bei vielen Menschen aufgebaut, ein Besuch in den USA war ein Höhepunkt in ihrer Lebensplanung. Einmal den “American way of Live“ zu erleben, das war etwas ganz Besonderes. Dazu muss gesagt werden, dass die amerikanische Bevölkerung noch immer sehr liebenswürdig ist und die Deutschen mit offenen Armen empfängt. Bei der amerikanischen Politik sollte man dies gewiss differenzierter sehen. Dort sind die USA Weltmacht, zurzeit noch die einzige nach dem Zusammenbruch der Sowjet-Union. Doch die Chinesen sind den Amerikanern mächtig auf den Fersen, zumal die USA mit etwa 1,2 Billionen Dollar bei China in der Kreide stehen. 9/11, die Zerstörung des World Trade Center hat eine Phobie ausgelöst, die zu einem erbitterten Krieg gegen den Terror geführt hat, mit all den bekannten Maßnahmen ziviler, militärischer und geheimdienstlicher Art. Das Ausmaß der Bespitzelung ist das Ergebnis, die neuen technischen Standards bieten Voraussetzungen, die bisher nur in der Utopie möglich schienen, Totalüberwachung rund um den Globus inklusive.
Dies bedeutet, dass ein neues Zeitalter angebrochen ist, ein Zeitalter in dem die Technik den ethischen, gesellschaftlichen und gesetzlichen Werten weit vorauseilt. Darüber gilt es sich in einer globalisierten Welt zu verständigen. Es kann nicht sein, dass die Macht des technologischen Vorsprungs allein der Maßstab des Handelns ist. Für die amerikanische Politik ist es schwer vorstellbar, ihren Machtanspruch gegen eine wirkliche Partnerschaft zu tauschen, zumal sie über einen langen Zeitraum ihre Verbündeten in erster Linie als Satelliten gesehen haben. Nach der Zeit des "splendid isolation", also der Doktrin sich auf das eigene Land zu konzentrieren, ist man Bündnisse eingegangen, primär aus Eigeninteressen und so ist man mit diesen auch umgegangen. Die Ideologie der Puritaner von "Gods own land" hat dabei ihr Übriges beigesteuert. Dies könnte sich jetzt ändern, denn die amerikanische Gesellschaft ist im Wandel begriffen, durch veränderte wirtschaftliche Bedingungen, aber noch mehr durch den größer werdenden Anteil von eingewanderten Latinos in die USA.
Europa kann das Seinige dazu tun, um in der sich verändernden weltweiten Machtbalance, gemeinsam mit den Amerikanern eine große Wertegemeinschaft zu bilden, demokratische Werte, die für uns alle essentiell sind. Ein starkes, gemeinsames Europa muss das Gegengewicht zu den Vereinigten Staaten bilden, sodass auf Augenhöhe nicht nur eine gemeinsame Freihandelszone gebildet, sondern zunächst über strikte gemeinsame Gesetzmäßigkeiten und Abkommen verhandelt wird, die solche Praktiken des Ausspionierens und Bespitzeln schlichtweg verbieten. Nicht zuletzt muss dabei auch die Wirtschaftsspionage mit einbezogen werden, denn dieser gilt von vielen Seiten ein wesentliches Augenmerk, auch innerhalb der Europäischen Union und nicht nur seitens der Russen, Chinesen aber auch der Amerikaner. Die deutsche Wirtschaft hat geschätzt etwa einen Verlust von über 50 Milliarden Euro jährlich, allein bedingt durch die Wirtschaftsspionage anderer Länder.
Fazit: Was gilt es jetzt zu tun? Damit wieder Klarheit in das deutsch-amerikanische Verhältnis kommt, müssen die Fakten auf den Tisch und dies in aller Offenheit für alle Bürger unseres Landes nachvollziehbar. Als weitere vertrauensbildende Maßnahme müssen eindeutige Regelungen im gemeinsamen Umgang mit geheimdienstlichen Tätigkeiten herbei. "Whistle-Blower" werden damit überflüssig. Wie allerdings Obama Kanzlerin Merkel beim nächsten Zusammentreffen gegenübertreten wird, kann man sich in etwa vorstellen. Wie Angela Merkel anschließend darauf reagiert, ist ebenso spannend, wie die Ergebnisse, die dann präsentiert werden, zumal in diesen speziellen Fragen. Dann wird sich weisen, was die Amerikaner wirklich von den Deutschen wollen, Hilfestellung bei dem globalen Machterhalt oder echte Partnerschaft und Freundschaft auf Augenhöhe.
Peter J. König