Samstagskolumne Peter J. König 09.11.2013

Zum fünfundsiebzigsten Mal jährt sich der Pogrom vom 9. November 1938. Haben die Deutschen, hat der Rest der Welt etwas daraus gelernt? 

Heute ist ein denkwürdiger und ein trauriger Tag zugleich. Vor genau 75 Jahren, am 9. November 1938 haben die Deutschen gezeigt zu welchen Verbrechen sie fähig waren, als stellvertretend für alle, die Schlägertrupps und Mordbuben der SA die Jüdischen Synagogen in Brand gesteckt, die von Juden betriebenen Geschäfte und Firmen überfallen, verwüstet und beraubt haben. Die jüdischen Menschen wurden zusammen getrieben, oftmals die Alten, die sich nicht vorstellen wollten, dass selbst das Nazi-Deutschland zu solchen Verbrechen nicht fähig sein würde. Viele von ihnen hatten im Ersten Weltkrieg diesem Land mit dem Einsatz ihres Lebens gedient, viele sind dafür ausgezeichnet worden, viele ihrer jüdischen Freunde hat es das Leben gekostet. Und nun wurden sie aus ihren Häusern getrieben, oftmals unter dem Gejohle des aufgestachelten Mobs, verprügelt, gedemütigt und aufs Schändlichste misshandelt, auch getötet. Dies geschah deutschlandweit flächendeckend.

Danach wurden sie in Lager verschleppt, ihre Habe wurde konfisziert, der Holocaust, die Vernichtung des Judentums auf nationalsozialistischem Herrschaftsgebiet hatte begonnen. Dies galt auch für Österreich, nachdem zuvor ja der "Anschluss an das Deutsche Reich", so der offizielle Sprachjargon, bereits stattgefunden hatte. Was war los mit dem Volk der Dichter und Denker, warum haben sich die Deutschen nicht dagegen gewehrt? 

Wie alte Wochenschauaufnahmen beweisen, hat die Bevölkerung tatenlos zugesehen, es ging eher darum einen guten Platz zu erwischen, um dem kriminellen Spektakel zuzuschauen. Weder die örtliche Polizei, noch die Feuerwehren machten Anstalten die mordbrennenden SA-Schergen aufzuhalten oder vielleicht die Brände einzudämmen. Löscharbeiten wurden nur dort unternommen, wo Gefahr bestand, dass das Feuer auf angrenzende nichtjüdische Häuser übergreifen könnte. Keiner kam den langjährigen Nachbarn zur Hilfe, als die Menschen jüdischen Glaubens wie Vieh auf die Sammelplätze getrieben wurden, von sogenannten "Gesinnungsdeutschen", die in bester Absicht das deutsche Volk von der "Judenpest" befreien wollten, so die Propaganda des Volksverhetzers Goebbels. Dass es sich bei diesen SA-Trupps oft um verblendete, gescheiterte und brutalisierte Versager in der Gesellschaft, oder aber aufstiegsgeile, machtgierige und dazu gewissenlose Parteikarrieristen handelte, zeigt wer 1938 das Sagen in Deutschland hatte. 

Der Rechtsstaat war untergegangen, Justiz und Verwaltung waren gleichgeschaltet und dienten einzig und alleine dazu Adolf Hitler und den Seinen willfährig zu sein. Aus dem demokratischen Deutschland der Weimarer Republik war eine menschenverachtende Diktatur geworden und dies in einigen wenigen Jahren. Die Juden wurden zu dem Synonym des Bösen stilisiert, sie wurden für die wirtschaftliche Misere nach 1928, für die riesigen Reparationszahlungen nach dem ersten Weltkrieg, gar für dessen Niederlage verantwortlich gemacht. Die Judenhetze war allgegenwärtig und die "Ausrottung" beschlossene Sache. Dabei haben die jüdischen Mitbürger und dabei handelte es sich nicht wie die Nazis vorgelogen haben, um ein eigenes ethnisches Volk sondern um eine Glaubensgemeinschaft, so wie Christen oder Muslime, also Deutsche wie jeder andere Bürger im preußischen Staat, nachweislich besonders viel geleistet für das deutsche Volk, sei es in der Wissenschaft, in der Wirtschaft oder aber auch in Politik, Gesellschaft und Kultur. 

Tief im Bürgertum verankert, waren es gerade die Menschen jüdischen Glaubens, die die gesellschaftliche Bildung vorantrieben. Die Nazis haben daraus die Verschwörung gegen das deutsche Volk durch die Juden gemacht, genauer gesagt durch die internationalen Zionisten. Doch genau das Gegenteil hat stattgefunden, Hitler hat sich des Staates und des Volkes bemächtigt, hat Millionen von Menschen umbringen lassen, neben Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, politisch Andersdenkende, Behinderte, Zwangsarbeiter und viele mehr. 

Durch die Kriegsüberfälle in ganz Europa starben weitere Millionen, sei es in Kampfhandlungen oder aber auch, dass man Kriegsgefangene systematisch verhungern ließ. Mit dem Gedanken der Judenvernichtung, dem Holocaust und der Pogromnacht, in diesem Augenblick, da der Schreiber dieser Zeilen diesen Text fixiert vor exakt 75 Jahren, nahm dieser verheerende Geschichtsverlauf seinen aktiven Anfang. Die Deutschen haben, wenn sie nicht aktiv beteiligt waren, doch duckmäuserisch zugesehen und geschwiegen. Sie haben zugelassen, dass sie selbst in den Zustand der Verrohung abgeglitten sind, sie haben zugelassen, dass sie nicht nur von dem schlimmsten Verbrecher der Geschichte beherrscht wurden, sondern auch die schlimmsten Verbrechen in ihrem Namen an der Menschheit verübt worden sind. 

Dieses gilt es niemals zu vergessen, deshalb ist der heutige Tag ein so wichtiges Datum. Es ist aber auch der richtige Zeitpunkt, sich der Menschen zu erinnern, bei denen  die Deutschen als Volk sich große Schuld aufgeladen haben. Das Rad der Geschichte kann niemals zurück gedreht werden, insofern wird es immer bei dieser Schuld bleiben. Aber wir können auf verschiedene Weise Abbitte leisten. Dazu gehört die aufrichtige Entschuldigung, die nur durch die eindeutige geschichtliche Aufarbeitung geleistet werden kann. Jegliches Leugnen und Verdrängen muss tabu sein. Dies gilt speziell für die heutigen und zukünftigen Generationen, wobei wir aus der Geschichte unmittelbar in die aktuelle Realität herüber kommen. 

In Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, wie z.B.in Ungarn ist wieder verstärkt Antisemitismus festzustellen. Noch immer zeigen die alten Nazihetzparolen Wirkung und es ist der gleiche Humus, auf dem sie erneut sprießen. Wirtschaftliche Probleme, Bildungsmangel und Ausländerfeindlichkeit sind nur einige Gründe weshalb die gefährlichen faschistoiden Ideen neuen Zulauf bekommen. Deshalb ist es dringend geboten, sowohl seitens des Staates, aber noch mehr seitens einer couragierten Bevölkerung diesem Aufflammen von Faschismus zu begegnen. Dabei hilft besonders das Erinnern und der Wille nicht noch einmal so etwas zuzulassen, was am 9. November 1938 schreckliche Wirklichkeit geworden ist. 

Bei aller Trauer und dem Erinnern an die dunkelste Seite der deutschen Geschichte muss aber auch erwähnt werden, dass der 9. November als Tag auch etwas sehr Glückliches für die Deutschen gebracht hat. Am 9. November 1989 war mit der Öffnung der Berliner Mauer der Zeitpunkt gekommen, den Zustand der deutschen Teilung zu überwinden, aus zwei Staaten wieder ein vereintes Deutschland zu machen. Trotz allen gelegentlichen Unkens ist dies ein glückliches Ereignis in der jüngeren deutschen Geschichte. Damit einher geht aber auch eine große Verantwortung, als stärkste Kraft in Europa politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich vorbildlich zu sein. Auch dadurch zeigen wir, dass wir aus unserer Geschichte gelernt haben, dass wir im Gegensatz zu vor 75 Jahren die Menschen nicht unterdrücken, diskriminieren oder gar töten wollen, sondern als Freunde und Partner mit unseren Nachbarn in Europa und in der ganzen Welt, die Demokratie, die Menschenrechte und ein gedeihliches Miteinander für uns oberste Priorität hat. 

Wie gesagt, wir können das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen, aber wir können neben der Entschuldigung und der Trauer die klare Botschaft hinzufügen, wir haben aus unserer Geschichte gelernt, wir werden zukünftig die Werte der Humanität mit aller Deutlichkeit verteidigen. 

Peter J. König

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