Samstagskolumne Peter J. König, 13.8. 2011

Welche Bilder haben uns diese Woche aus England erreicht?

Brennende Autos, brennende Häuser, ja sogar brennende Straßenzüge. Dieses nicht allein in einem als sozialen Brennpunkt bekannten Vorort der Millionenmetropole. Nein,  diese anarchistischen Szenarien kamen aus unterschiedlichen Stadtteilen der Hauptstadt des ehemaligen Commonwealth und nicht irgendwoher aus der „Dritten Welt“, sei es von Mittel- oder Südamerika oder vielleicht, aus einem von korrupten Machthabern, mithilfe von multinationalen Konzernen ausgebeuteten Land Afrikas.

Selbst der Szenestadtteil „Notting Hill“, bekannt als Kulissengeber für amerikanische Schnulzenfilme mit Märchencharakter,  und begehrter Wohnort für „Triple-A-Promis“, war Schauplatz dieses plötzlich  explodierten Vandalismus. Jedoch nicht nur in London, sondern auch in anderen großen Städten des Inselreiches, so z.B. in Manchester, Birmingham und Liverpool, entlud sich physische Gewalt in Form von Überfällen auf Geschäftshäuser, Zerstörung von Autos, Plünderungen von Lagerhallen. Danach wurde noch alles in Schutt und Asche gelegt.

Ich kann mich nicht erinnern, jemals solche Bilder in so großer Zahl aus England gesehen zu haben. Zwar hat es immer wieder Ausschreitungen in bestimmten Stadtteilen Londons gegeben, ähnlich wie in gewissen „banlieues“  von Paris, aber in dieser sich blitzartig ausbreitenden Form über das ganze Land, habe ich es seit Jahrzehnten nicht beobachten können.

Doch woher kommt dieser Aufruhr? Wer steht denn eigentlich dahinter?

Es sollen Jugendliche sein, aus der Unterschicht, gering ausgebildet, arbeitslos und ohne Perspektive. Dies mag zweifellos so sein,  nur weshalb werden junge Menschen, ein Krawallmacher gerade  elf Jahre alt, wurde von der Polizei festgenommen, von solchen Gewaltattacken so angezogen?

Andere Jugendliche entstammen durchaus nicht der Unterschicht, sondern waren „middle-class-boys“, ihre Eltern fielen aus allen Wolken, als sie ebenfalls zum Schnellgericht gebeten wurden.

Was ist aber nun der Auslöser dieser gesellschaftlichen Verrohung?

Eine Antwort darauf gibt bestimmt die neueste Statistik der Arbeitslosenzahlen von Jugendlichen in der Europäischen Union, bekanntgegeben in dieser Woche. Bei diesen Zahlen wird mir vieles klar, Ursachen und Folgen. Dabei wächst jedoch bei mir das Unverständnis im Hinblick auf die politische Weitsicht  unserer regierenden Verantwortlichen.

Die Daten der Jugendarbeitslosigkeit sind in etwa folgende: Deutschland 9 %, Italien und Frankreich über 20% und der Vogel wird von Spanien abgeschossen: 47% der jungen, oftmals bestens ausgebildeten Menschen, finden in ihrem Land keinen Arbeitsplatz. Nicht zu Unrecht haben sich von daher wochenlang abertausende von Betroffenen, darunter viele Studenten und Jungakademiker, eigentlich zukünftige Führungselite, auf dem größten Platz Madrids zusammengefunden, um sich friedlich Gehör zu verschaffen. Ähnliches wird übrigens aus Santiago de Chile diese Woche vermeldet, allerdings nicht so friedlich. Welche verhängnisvolle Kurzsicht unserer politischen Entscheidungsträger in allen Ländern Europas.

Die Zukunft unserer Länder hängt von unseren jungen Menschen ab. Dabei spielt nicht nur eine fundierte, auf die Bedürfnisse der modernen Gesellschaft ausgerichtete, Ausbildung eine Rolle, nein, genauso wichtig ist natürlich auch die Perspektive, die diese junge Generation mit Recht einfordert.

Dieser gesellschaftliche Komplex muss oberste Priorität in einem intakten Staatswesen haben, ansonsten droht der Absturz, Anarchie, Zerfall der Civitas, Elend und Hungertod.

Blicken wir in die Geschichte zurück, so hat es immer wieder Beispiele dieser verheerenden Fehlentwicklungen gegeben. Hungerbedingte Aufstände gab es in Rom zu Zeiten der Antike immer wieder, begleitet von den gleichen Ausschreitungen wie wir sie jetzt in Großbritannien erleben.

Die Französische Revolution ist nicht zuletzt dadurch ins Rollen gekommen, weil der Brotpreis so gestiegen war, dass der „einfache Mann“ ihn quasi nicht mehr bezahlen konnte. Die Folge davon ist bis heute sichtbar, denn während der Revolution wurde der Preis für ein „baguette“ auf ganz niedrigem Niveau festgelegt und  soweit mir bekannt,  bis heute kaum erhöht.

Noch heute wird die “flute“, wie die Franzosen ihr Stangenweißbrot nennen,  nach wie vor staatlich subventioniert. Also hat diese Errungenschaft aus der Revolution von 1789 aktuell noch Auswirkung. Ach ja, und wehe jemand wagt über eine Preiserhöhung nachzudenken, dann kommen die alten Ideen der Kommunarden wieder zum Vorschein und entladen sich  durch Empörung auf der Straße.

Wir sind aber noch nicht bei der eigentlichen Problematik dieses so existentiellen Problems angekommen. Natürlich ist Auslöser aller Aufstände rund um den Globus, sei es in der Antike, im Mittelalter oder sei es in unserer Zeit, immer wieder die gleiche Ursache. Es ist das Auseinandergehen der Schere zwischen Arm und Reich, ausgelöst durch die Konzentration von Kapital auf eine kleine Gruppe in der Bevölkerung, während der weitaus größere Teil nicht mehr weiß, wie er die Zukunft meistern soll.

Kapital hat nun mal die Eigenschaft, sich permanent zu konzentrieren, sprich aus sich selbst heraus sich zu vermehren und dabei dem Umfeld Substanz zu entziehen. Wenn dazu noch das „Raffketum“ skrupelloser Ausbeuter kommt, dann wird es existentiell bedrohlich, nicht nur für den Einzelnen, sondern für ein ganzes Staatsgebilde. Die Geschichte hat schon des Öfteren den Beweis erbracht. Nicht zuletzt aus diesen Gründen hat Ludwig Erhard das System  der Sozialen   Marktwirtschaft entwickelt.

Wir  stehen momentan an einem ziemlich entscheidenden Punkt in Europa. Durch die Globalisierung verlagern sich alte Wirtschaftsstrukturen. Die neue Kommunikationstechnik lässt vagabundierendes Kapital blitzschnell durch die Märkte fegen und wo heute noch Geld im Überfluss investiert wurde, wird morgen durch Entzug, die Rendite ist anderswo höher, kapitalmäßig alles trockengelegt. Folge: wirtschaftlicher Exodus. Hier müssen Kontrollmechanismen eingebaut werden.

Eine gefährliche Melange, wie wir nach der „Lehman-Pleite“ und der darauf folgenden Banken-Krise feststellen mussten.

Dieses alles  ist gerade einmal zwei Jahre vorbei und erneut wanken die Märkte, wie  in dieser Woche zu erleben. Der Dax und Dow rauschen in den Keller, Abschlag in wenigen Tagen um 20%, Italien und Spanien reif für den  Rettungsschirm, sprich die Europäische  Gemeinschaft bürgt für diese Mitglieder, die EZB  kauft italienische Staatsanleihen, vor wenigen Wochen von Herrn Trichet, dem EZB-Chef, noch als undenkbar erklärt, als man Griechenland vor der Pleite gerettet hat. Dazu kommt die enorme Verschuldung der einzelnen europäischen Staaten, teilweise in Billionenhöhe.

Alles sehr verwirrend. Dabei gibt es Geld in Hülle und Fülle, speziell in den westlichen Industrienationen. Aber was wird damit gemacht?

Zumindest nicht das, was Ludwig Erhard in seiner weisen Voraussicht in den 1950er Jahren vorgegeben hat. Kapital muss zum Wohl aller Bürger eines Staates eingesetzt werden. Arbeiter und Angestellte müssen so entlohnt werden, dass sie ein menschenwürdiges Dasein führen können und Vertrauen in die Zukunft entwickeln.  Junge Menschen müssen gut ausgebildet einen sicheren Job bekommen, der ihnen erlaubt, eigene Familien zu gründen und keine Angst vor der Zukunft haben müssen.

Selbstständige müssen für ihr Risiko, ihr Engagement und ihren Einfallsreichtum, entsprechende Früchte nach Hause  tragen können. Die großen Unternehmen müssen konkurrenzfähig auf den Weltmärkten sein, nicht zuletzt aufgrund gut ausgebildeter  Arbeitnehmer. Die Quadratur des Kreises sagen Sie? Mitnichten sage ich, dank der größten Ressource, die Europa besitzt, nämlich die Intelligenz seiner Menschen, jeder nach seiner kulturellen Intention.

So ist alles machbar. Man muss aber die notwendigen Voraussetzungen dazu schaffen. Wir alle sind gefordert,  in einem politisch geeinten Europa, ohne diese ist eine Überlebenschance im Konkurrenzstreben mit anderen Weltmächten auf Dauer nicht möglich, uns diesbezüglich zu einigen. An den Vereinigten Staaten von Europa führt kein Weg vorbei.  Dabei sind die kulturellen Unterschiede absolut kein Hindernis, sondern ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Aus dem politischen Hickhack wird dann ein Konsens, der es uns erlaubt, gestärkt den wirtschaftlichen Mitbewerbern weltweit gegenüber aufzutreten.

Übrigens sollte man die politische Klasse, die diese Voraussetzung nicht erkennt, gemeint ist die Sicherung der Zukunft Europas, durch die zuvor genannten Maßnahmen, in die politische Wüste schicken. Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt.

Peter J. König


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