Samstagskolumne Peter J. König, 6. 8. 2011

Geht man am Samstag über die Goethestraße in Frankfurt/M so dauert es nicht lange, und man begegnet dem Phänomen, das da heißt, „Shoppen bis der Arzt kommt“. In der Regel sind es gut gestylte Damen mittleren Alters, die damit kämpfen, eine Anzahl von „Bags“, alles edel, alles premium, davonzutragen. Sie zelebrieren ihr wöchentliches Ritual, doch bei genauer Beobachtung ist zu sehen, dass ihr Seelenzustand sich dadurch nicht geändert hat.

Anstatt beglückt zu sein, strahlen sie nur zur Schau getragene Langeweile und Blasiertheit aus. Eigenartig, die meisten Menschen wären nach einer solchen Shopping-Tour einfach nur entzückt. Man würde es in ihren strahlenden Gesichtern sehen können. Warum ist dies also bei dieser Spezies nicht so? Weshalb dieses immer wiederkehrende Schauspiel?

Übrigens geschieht dies nicht nur in Frankfurt. Nein, man erlebt es in allen bekannten Städten dieser Welt. Unabhängig von den einzelnen Kulturen in den jeweiligen Ländern sind die gleichen Auftritte angesagt. So z.B. auf der Maximilianstraße in München, auf der Via Condotti in Rom, auf der Rue de Montaigne in Paris, auf der Fifth Avenue in New York oder auch auf der Bondstreet in London und vielen anderen bekannten Edelmeilen weltweit. Sie sind zum Verwechseln ähnlich, diese Bühnen der Eitelkeit. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die großen Laibles aus Mailand, Rom und Paris, sprich Louis Vuitton, Chanel, Hermes, Prada, Versace, Armani und auch Tods immer das gleiche Erscheinungsbild haben, ihre „Flagstores“ weltweit genormt auftreten. Alles wirkt letztlich uniformiert und ist trotzdem so begehrt. Die gleiche Klientel möchte offenbar weltweit dazugehören.

Wie erfrischend wirkt da eine Frau, sie scheint sich irgendwie in die Goethestraße verlaufen zu haben, angezogen ist sie nach eigenen Vorstellungen, bunt mit gewagter Kombination, die die Modeberaterin hinter der Glasfront einer Edelboutique nur mit zur Schau gestellter “Von- oben- herab- Attitüde“ straft. Dies stört die Dame jedoch keineswegs. Auch ist da ihr Gesichtsausdruck von frischer, freundlicher Ausstrahlung. Man sieht ihr die Freude an selbst kreierter Mode an, ihr Empfinden ist noch nicht am Überfluss erstickt, sie hat noch Freude an jedem einzeln erworbenen Mode-Teil. Übrigens ist diese Freude auch eine Hommage an die kreativen Menschen, die sich immer wieder geschmackvolle, vielleicht ausgefallene oder gar verrückte Formen und Farben einfallen lassen.

Leider kommt von all dem bei den Überdrüssigen nur selten etwas herüber. Damit sind wir bei der eigentlichen Frage angekommen. Wieso sind diese Privilegierten so wenig angetan von dem Erworbenen, worum sie von ach so vielen Geschlechtsgenossinnen beneidet werden? Ja, es ist der Überfluss, der das Außergewöhnliche zum Nebensächlichen degradiert. Das Immer-Wiederkehrende macht aus der Besonderheit nur noch Alltägliches, das vielleicht noch einen kurzen Reiz als Neues ausübt, aber schon unmittelbar nach Verlassen des Edel-Tempels keine Wirkung mehr verspüren lässt.

Essen Sie mal jeden Tag Kaviar zum Frühstück, wenn Sie ihn überhaupt mögen. Nach einigen Tagen lehnen Sie dankend ab, oder sie goutieren ihn als Alltagsprodukt.

So ist das mit allem im Leben. Deshalb plädieren weise Menschen dafür, dass weniger oft besser ist als mehr, soll heißen, zu viel des Guten ist dann auch nicht mehr gut.

Ich habe Personen erlebt, die Jahrzehnte lang dreimal im Jahr ein exquisites Fünf-Sterne- Hotel an der Cote d`Azur in der Nähe von Monte Carlo besuchten. Welch ein Privileg, dieses tun zu können. Leider hat diese landschaftlich traumhafte Gegend, geprägt durch die einmalige Lage an der Küste des Mittelmeeres mit dem erlebenswerten Hinterland, den berühmten Orten, wo Künstler, seien es Maler oder Schriftsteller, großartige Werke geschaffen haben, keinerlei Wirkung auf diese Personen ausgeübt. Vielleicht gerade einmal das Formel- 1-Rennen von Monaco, mit dem Jet-Set-Trubel und der Möglichkeit, alle Laibles auf engstem Raum zu durchpflügen, erregte Interesse.

Dabei gibt es doch so viel Außergewöhnliches zwischen Monte Carlo und Cannes. Erwähnt sei hier nur die Fondation Rothschild auf Cap Ferrat, natürlich auch die vielen Museen und privaten Villen von Künstlern wie Renoir in Cagnes sur Mer, das Picasso-Museum von Antibes, die Fondation Maeght in Saint Paul, das Museum von Leger in Biot und nicht zuletzt die größte Privatkunstsammlung Frankreichs im Hotel Colombe `d Or, ebenfalls in Saint Paul de Vence. Dort kann man übrigens inmitten der Kunst exquisit logieren. Ach ja, nicht zu vergessen die wunderschönen grünen Glasfenster, entworfen von Henry Matisse, in der Kapelle von Vence.

Deshalb meine ich, dass es so wichtig ist, ein Bewusstsein für die Dinge des Lebens zu schaffen, für die großen und die kleinen. Dabei ist doch das Wesentliche eigentlich die Freude, die man empfindet, wenn man Dinge unternimmt, beim Shoppen, beim Reisen, beim Essen, beim Arbeiten, beim Denken, beim Helfen und beim Lieben. Die Erfüllung durch das Tun ist erstrebenswert, nicht die Handlung an sich. Dabei ist wohl derjenige mehr zufrieden, der zum Erreichen einer Sache, mehr investieren muss als nur die Kreditkarte zu zücken.

Zum Abschluss möchte ich die vorgetragenen Gedanken aus aktuellem Anlass unbedingt noch in Verbindung zu den Geschehnissen am Horn von Afrika bringen. Die Vereinten Nationen sprechen von der größten Hungerkatastrophe der letzten 100 Jahre. 18 Millionen Menschen, unmittelbar vom Sterben bedroht, eine Tragödie unendlichen Ausmaßes und doch, welche Geduld und welcher Überlebenswille dieser Geschundenen. Haben diese gläubigen Menschen aber erst einmal das Flüchtlingslager Dadaab im Nordosten Kenias erreicht, das größte Lager seiner Art weltweit, mit über  400 000 Menschen hoffnungslos überfüllt, versuchen sie sich auf den gerade stattfindenden Ramadan, den heiligen Fastenmonat des Islams einzustellen, obgleich sie gerade einen Hungertreck hinter sich haben, auf dem bereits viele verhungert sind, besonders kleine Kinder und Säuglinge.

Diese Menschen kennen keinen Überfluss, sie kennen keine Blasiertheit, sie kennen auch keine Langeweile. Sie zeigen aber eine große Dankbarkeit, wenn sie von den Lebensmittelspenden etwas abbekommen haben. Dann strahlen ihre Gesichter und obwohl alles drum herum nur elendig ist, kommt bei ihnen große Freude auf. Ihr Blick offenbart dann eine unendliche Tiefe. Alles dieses mach doch sehr, sehr nachdenklich.

Peter J. König








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