Wie konfus ist die Europapolitik der europäischen Regierungen
und verstehen die Bürger überhaupt noch worum es geht?
Das Bild, das sich dem politischen Beobachter momentan
zeigt, wenn er die Medien, national wie international, aufmerksam verfolgt,
aber auch wenn er sich unter der Bevölkerung im In- und Ausland umhört, ist
verheerend. Ein solches Desaster, in Bezug auf die Europäische Union, ihre Institutionen,
ihre Handlungen, den Zustand ihrer Mitglieder und die Bereitschaft an einem
Strang zu ziehen, hat es seit den Gründungstagen noch nie gegeben. Selten waren
die politisch handelnden so uneins über den künftigen Kurs der Gemeinschaft. Eine Lösung der europäischen Banken- und
Staatsverschuldungskrise ist nicht in Sicht. Hat man sich früher lediglich
über verschiedene Lösungswege gestritten, so ist man heute überhaupt nicht
mehr in der Lage einen erfolgsversprechenden Ansatz zum Überwinden der bedrohlichen
Probleme zu konzipieren. Alle stochern
im dichten Nebel der monetären Bedrohung herum, mit der Folge, dass die
Vernunft immer mehr schwindet und Platz macht für Polemik jeglicher Art. Hauptsache sie nützt den Interessen des jeweiligen
Landes, dessen politische Führung diese Parolen in die Welt gesetzt hat. Das alles gleicht mehr einem
gackernden Hühnerhaufen, als einem intellektuellen Gremium von Politprofis, die
sich einmal auf den Weg gemacht haben ein vereinigtes Europa auf die Beine zu
stellen.
Die Folgen sind verheerend. Schon jetzt ist bei den
europäischen Bevölkerungen die bisher vorhandene Skepsis zu diesem gemeinsamen Staatsgebilde gewichen und wird durch neu
aufflammende Ressentiments ersetzt. Dabei steht Deutschland, als stärkste
europäische Wirtschaftsmacht im Focus. Die Antipartie bündelt sich in der
Person der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel. Doch je mehr die anderen
Europäer, speziell aus den südlichen Regionen unseres Kontinents, über Madame "No" herfallen, umso größer werden ihre Akzeptanzwerte in der deutschen Bevölkerung.
Dies ist jedoch ein sehr zweischneidiges
Schwert. Natürlich steigen dadurch ihre Chancen bei der Bundestagswahl
im nächsten Jahr, denn sie kann sich als Hüterin eines stabilen Euro verkaufen.
Zudem hat sie sich bis zum EU-Gipfel in der vorletzten Woche geradezu martialisch
als Verteidigerin gegen Gemeinschaftsschulden positioniert. Dabei sollen angeblich
solche Worte gefallen sein: Solange ich
lebe, wird es mit mir keine gemeinsamen Schuldenvereinbarungen geben. Nicht
nur, dass diese Art der Argumentation politisch unklug ist, nein, einen Tag
später hat sie ihre vermeintliche Aussage ad absurdum geführt, indem sie ihren
Kollegen in Brüssel doch gemeinsame Schuldeninstrumente in Aussicht gestellt
hat. Zwar soll dieses alles unter strengen europäischen Auflagen stattfinden,
wenn überhaupt, so wird betont, aber Fakt ist, dass die Krals Hüterin ihre Position im Handumdrehen
aufgegeben hat. Der Druck der angeschlagenen Mittelmeerländer war wohl doch zu groß.
Doch wie geht der deutsche Bürger damit um?
So wie die
Wirtschaftswissenschaftler damit umgehen. Diese haben in großer Zahl mit
einer Anzeige in der FAZ in der letzten Woche gewarnt. Etwa einhundertsiebzig Professoren und andere Fachleute haben sich
gegen derartige Beschlüsse in der EU ausgesprochen, weil sie die Stabilität
unseres Staates und unserer Finanzen gefährdet sehen, so die Wissenschaftler.
Prompt kam aus dem politischen Berlin ein lauter Aufschrei, so heftig wie
selten. Hier zeigt sich, was ich zu Beginn meiner Kolumne gemeint habe. Wir
sind uns schon in Deutschland völlig uneins, wie man die europäische Staatsschuldenproblematik lösen soll, wie
soll dies dann auf europäischer Ebene funktionieren? Hierbei
handelt es sich beileibe aber nicht um ein akademisches Problem, das man mit
wissenschaftlicher Akribie über Monate untersuchen
kann. Die Zeit drängt. Es droht der Staatsbankrott für Länder wie Griechenland,
Spanien, Portugal. Italien und Frankreich sind angeschlagen, und wenn keine
tragfähige Lösung sehr bald zustande kommt, werden auch diese beiden Länder auf
den internationalen Finanzmärkten sich nicht mehr wirtschaftlich vernünftig
refinanzieren können. Dann helfen auch die größten Rettungsschirme nichts mehr, der Kollaps der Weltwirtschaft droht.
Nicht umsonst sind auch die USA, China und alle anderen aufstrebenden
Weltwirtschaftsmächte sehr besorgt und drängen auf eine schnelle Lösung in
Europa.
Was bedeutet das aber alles für uns, und wie wirken sich die
angestrebten Lösungen auf die Menschen in den einzelnen Ländern der Gemeinschaft aus?
Finnland hat schon einmal in den letzten Tagen verlauten
lassen, dass der Verbleib im EURO-Währungsverbund kein zwingendes Muss ist, wenn man alle Schulden
in einen gemeinsamen Topf wirft. Ähnliches
ist von der holländischen Regierung zu hören. Diese Länder sind aber mit
Österreich und Deutschland die starken, finanztechnisch gesunden
Volkswirtschaften, die die Finanzmärkte bewegen könnten bei gemeinsamer Haftung
Geld zu moderaten, sprich niedrigen
Zinssätzen anzubieten.
Eine wirklich verteufelte Situation, denn ohne die Starken
kommt das Aus für die Schwachen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dies ist
wirklich kein akademisches Spiel, denn hinter allem stehen die Menschen in ganz
Europa. Ich bin überzeugt ein Scheitern würde uns alle in ein Chaos stürzen.
Dabei ist überhaupt nicht sicher, dass die starken Länder nach dem Zerfall der
Währungsgemeinschaft auch weiterhin stark bleiben. Isoliert von dem restlichen
dahinsiechenden Europa würde auch diesen Ländern schnell die Luft ausgehen.
Dabei möchte ich von kriegerischen Auseinandersetzungen gar nicht erst sprechen,
obwohl auch diese im Falle einer gescheiterten Einigung durchaus stattfinden
könnten. Dies lehrt uns die Geschichte eindeutig.
Natürlich wird es den Deutschen nicht leicht fallen, zu
akzeptieren, was als einzige, wirklich tragfähige Lösung aus dieser vertrackten
Situation unumgänglich ist. Es gibt kein Zurück mehr in die isolierte Einzelstaaterei des
letzten Jahrhunderts. Langfristig kann nur ein gemeinsamer europäischer Staat
überleben. Dies bedeutet aber, die meisten hoheitlichen Rechte in den
gemeinsamen Topf zu werfen. Dieses fällt vielen in Deutschland nicht leicht,
genau so wenig wie anderen Völkern in Europa, man denke nur an die
eigensinnigen Engländer, die stolzen Südländer, die unabhängigen Skandinavier
oder die liberalen Holländer. Alle müssen sie über ihren Schatten springen. Alle
müssen sie sich von eigenen politischen Traditionen trennen. Ihre Identitäten bleiben
dabei aber überhaupt nicht auf der Strecke, so wie in der Schweiz, nur etwas mehr Toleranz gilt es zu
üben. Gemeinsam müssen sie alle aber auf die Einhaltung strikter demokratischer
Regeln achten. Das ist für das eine oder andere Land in Europa durchaus eine
Bereicherung, auch für uns Deutsche. Wenn man Europa erst einmal als das eigene
Land begriffen hat, dann ist das Wichtigste für den neuen gemeinsamen Staat
geschafft. Dann gilt es die sich bietenden Chancen zu nutzen, der Rest der
globalisierten Welt wird uns sowieso Beine machen.
Wir müssen den Menschen vermitteln, dass ein gemeinsames Europa überhaupt keine Bedrohung ist, genau
das Gegenteil ist der Fall. Bedroht werden wir, wenn überhaupt, von einer ausufernden
Bürokratie in der Gemeinschaft. Da gilt es wachsam zu sein. Wenn ich die
deutsche Steuergesetzgebung betrachte, dann kommen mir bei dem Gedanken an ein
zukünftiges Europa wunderbare Neuerungen in den Sinn. Hier wie bei vielen
anderen veralteten und verstaubten Gesetzen ist jetzt die beste Gelegenheit
aufzuräumen, Platz zu schaffen für effiziente Strukturen, unfaire Privilegien
verschwinden zu lassen, also einen modernen, gut funktionierenden Staat
aufzubauen. Ein wesentlicher Grund, warum es gerade in vielen südeuropäischen
Ländern so schlecht funktioniert, ist das Fehlen einer solchen Verwaltung. Es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn nach diesem
historischen Umbruch aus dem alten zerrissenen Europa nicht ein wirtschaftlich
und kulturell starkes geeintes Europa hervorgehen würde, dessen größte Stärke
die Menschen sind, die diesem Kontinent den Platz in der Weltgemeinschaft
geben, der eine sichere Zukunft
garantiert.
Peter J. König
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