Samstagskolumne Peter J. König 07.07.2012

Wie konfus ist die Europapolitik der europäischen Regierungen und verstehen die Bürger überhaupt noch worum es geht? 

Das Bild, das sich dem politischen Beobachter momentan zeigt, wenn er die Medien, national wie international, aufmerksam verfolgt, aber auch wenn er sich unter der Bevölkerung im In- und Ausland umhört, ist verheerend. Ein solches Desaster, in Bezug auf die Europäische Union, ihre Institutionen, ihre Handlungen, den Zustand ihrer Mitglieder und die Bereitschaft an einem Strang zu ziehen, hat es seit den Gründungstagen noch nie gegeben. Selten waren die politisch handelnden so uneins über den künftigen Kurs der Gemeinschaft.  Eine Lösung der europäischen Banken- und Staatsverschuldungskrise ist nicht in Sicht. Hat man sich  früher  lediglich über verschiedene Lösungswege  gestritten, so ist man heute überhaupt nicht mehr in der Lage einen erfolgsversprechenden Ansatz zum Überwinden der bedrohlichen Probleme zu konzipieren.  Alle stochern im dichten Nebel der monetären Bedrohung herum, mit der Folge, dass die Vernunft immer mehr schwindet und Platz macht für Polemik  jeglicher Art.  Hauptsache sie nützt den Interessen des jeweiligen Landes, dessen politische Führung diese Parolen in die Welt  gesetzt hat. Das alles gleicht mehr einem gackernden Hühnerhaufen, als einem intellektuellen Gremium von Politprofis, die sich einmal auf den Weg gemacht haben ein vereinigtes Europa auf die Beine zu stellen.

Die Folgen sind verheerend. Schon jetzt ist  bei  den europäischen Bevölkerungen die bisher vorhandene Skepsis zu diesem  gemeinsamen  Staatsgebilde gewichen und wird durch neu aufflammende  Ressentiments    ersetzt. Dabei steht Deutschland, als stärkste europäische Wirtschaftsmacht im Focus. Die Antipartie bündelt sich in der Person der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel. Doch je mehr die anderen Europäer, speziell aus den südlichen Regionen unseres Kontinents, über Madame "No" herfallen, umso größer werden ihre Akzeptanzwerte in der deutschen Bevölkerung. Dies ist jedoch ein sehr zweischneidiges  Schwert. Natürlich steigen dadurch ihre Chancen bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr, denn sie kann sich als Hüterin eines stabilen Euro verkaufen. Zudem hat sie sich bis zum EU-Gipfel in der vorletzten Woche geradezu martialisch als Verteidigerin gegen Gemeinschaftsschulden positioniert. Dabei sollen angeblich  solche Worte gefallen sein: Solange ich lebe, wird es mit mir keine gemeinsamen Schuldenvereinbarungen geben. Nicht nur, dass diese Art der Argumentation politisch unklug ist, nein, einen Tag später hat sie ihre vermeintliche Aussage ad absurdum geführt, indem sie ihren Kollegen in Brüssel doch gemeinsame Schuldeninstrumente in Aussicht gestellt hat. Zwar soll dieses alles unter strengen europäischen Auflagen stattfinden, wenn überhaupt, so wird betont, aber Fakt ist, dass  die Krals Hüterin ihre Position im Handumdrehen aufgegeben hat. Der Druck der angeschlagenen Mittelmeerländer war  wohl doch zu groß.

Doch wie geht der deutsche Bürger damit um?

So wie die  Wirtschaftswissenschaftler damit umgehen. Diese haben in großer Zahl mit einer Anzeige in der FAZ in der letzten Woche gewarnt. Etwa einhundertsiebzig  Professoren und andere Fachleute haben sich gegen derartige Beschlüsse in der EU ausgesprochen, weil sie die Stabilität unseres Staates und unserer Finanzen gefährdet sehen, so die Wissenschaftler. Prompt kam aus dem politischen Berlin ein lauter Aufschrei, so heftig wie selten. Hier zeigt sich, was ich zu Beginn meiner Kolumne gemeint habe. Wir sind uns schon in Deutschland völlig uneins, wie man die europäische  Staatsschuldenproblematik lösen soll, wie soll dies  dann  auf europäischer Ebene funktionieren? Hierbei handelt es sich beileibe aber nicht um ein akademisches Problem, das man mit wissenschaftlicher Akribie über Monate  untersuchen kann. Die Zeit drängt. Es droht der Staatsbankrott für Länder wie Griechenland, Spanien, Portugal. Italien und Frankreich sind angeschlagen, und wenn keine tragfähige Lösung sehr bald zustande kommt, werden auch diese beiden Länder auf den internationalen Finanzmärkten sich nicht mehr wirtschaftlich vernünftig refinanzieren können. Dann helfen auch die größten Rettungsschirme nichts  mehr, der Kollaps der Weltwirtschaft droht. Nicht umsonst sind auch die USA, China und alle anderen aufstrebenden Weltwirtschaftsmächte sehr besorgt und drängen auf eine schnelle Lösung in Europa.

Was bedeutet das aber alles für uns, und wie wirken sich die angestrebten Lösungen auf die Menschen in den einzelnen Ländern  der Gemeinschaft aus?

Finnland hat schon einmal in den letzten Tagen verlauten lassen, dass der Verbleib im EURO-Währungsverbund  kein zwingendes Muss ist, wenn man alle Schulden in einen gemeinsamen Topf wirft.  Ähnliches ist von der holländischen Regierung zu hören. Diese Länder sind aber mit Österreich und Deutschland die starken, finanztechnisch gesunden Volkswirtschaften, die die Finanzmärkte bewegen könnten bei gemeinsamer Haftung Geld  zu moderaten, sprich niedrigen Zinssätzen anzubieten.

Eine wirklich verteufelte Situation, denn ohne die Starken kommt das Aus für die Schwachen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dies ist wirklich kein akademisches Spiel, denn hinter allem stehen die Menschen in ganz Europa. Ich bin überzeugt ein Scheitern würde uns alle in ein Chaos stürzen. Dabei ist überhaupt nicht sicher, dass die starken Länder nach dem Zerfall der Währungsgemeinschaft auch weiterhin stark bleiben. Isoliert von dem restlichen dahinsiechenden Europa würde auch diesen Ländern schnell die Luft ausgehen. Dabei möchte ich von kriegerischen Auseinandersetzungen gar nicht erst sprechen, obwohl auch diese im Falle einer gescheiterten Einigung durchaus stattfinden könnten. Dies lehrt uns die Geschichte eindeutig.

Natürlich wird es den Deutschen nicht leicht fallen, zu akzeptieren, was als einzige, wirklich tragfähige Lösung aus dieser vertrackten Situation unumgänglich ist. Es gibt kein Zurück mehr in die isolierte Einzelstaaterei des letzten Jahrhunderts. Langfristig kann nur ein gemeinsamer europäischer Staat überleben. Dies bedeutet aber, die meisten hoheitlichen Rechte in den gemeinsamen Topf zu werfen. Dieses fällt vielen in Deutschland nicht leicht, genau so wenig wie anderen Völkern in Europa, man denke nur an die eigensinnigen Engländer, die stolzen Südländer, die unabhängigen Skandinavier oder die liberalen Holländer. Alle müssen sie über ihren Schatten springen. Alle müssen sie sich von eigenen politischen Traditionen trennen. Ihre Identitäten bleiben dabei aber überhaupt nicht auf der Strecke, so wie in der Schweiz, nur etwas mehr Toleranz gilt es zu üben. Gemeinsam müssen sie alle aber auf die Einhaltung strikter demokratischer Regeln achten. Das ist für das eine oder andere Land in Europa durchaus eine Bereicherung, auch für uns Deutsche. Wenn man Europa erst einmal als das eigene Land begriffen hat, dann ist das Wichtigste für den neuen gemeinsamen Staat geschafft. Dann gilt es die sich bietenden Chancen zu nutzen, der Rest der globalisierten Welt wird uns sowieso Beine machen.

Wir müssen den Menschen vermitteln, dass ein gemeinsames  Europa überhaupt keine Bedrohung ist, genau das Gegenteil ist der Fall. Bedroht werden wir, wenn überhaupt, von einer ausufernden Bürokratie in der Gemeinschaft. Da gilt es wachsam zu sein. Wenn ich die deutsche Steuergesetzgebung betrachte, dann kommen mir bei dem Gedanken an ein zukünftiges Europa wunderbare Neuerungen in den Sinn. Hier wie bei vielen anderen veralteten und verstaubten Gesetzen ist jetzt die beste Gelegenheit aufzuräumen, Platz zu schaffen für effiziente Strukturen, unfaire Privilegien verschwinden zu lassen, also einen modernen, gut funktionierenden Staat aufzubauen. Ein wesentlicher Grund, warum es gerade in vielen südeuropäischen Ländern so schlecht funktioniert, ist das Fehlen  einer solchen Verwaltung.  Es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn nach diesem historischen Umbruch aus dem alten zerrissenen Europa nicht ein wirtschaftlich und kulturell starkes geeintes Europa hervorgehen würde, dessen größte Stärke die Menschen sind, die diesem Kontinent den Platz in der Weltgemeinschaft geben, der  eine sichere Zukunft garantiert.

Peter J. König   


     

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen