Samstagskolumne Peter J. König, 24.9. 2011

Gedanken zum Papstbesuch.

Seit Freitagmorgen steht die politische Führung der Bundesrepublik Deutschland ganz im Zeichen des Besuches des Oberhauptes der katholischen Kirche in Deutschland. Ein wahrlich historisches Ereignis, wenn man die Geschichte der Päpste und des Vatikans zugrunde legt.

Der Papst, erster Repräsentant des Vatikanstaates und oberster Religionsführer aller Katholiken hat Deutschland schon öfters einen inoffiziellen Besuch abgestattet. Offiziell jedoch kommt Ratzinger zum ersten Mal in sein Geburtsland.

Historisch wird dieses Ereignis aus dem Grunde gesehen, weil ein „deutscher Papst“ vor über 500 Jahren zuletzt seine Aufwartung machte. Zu diesem Zeitpunkt war Deutschland noch Teil des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“. Dieses Staatengebilde hatte keinerlei Ähnlichkeit mit der heutigen Bundesrepublik Deutschland. Vermutlich wird es erneut Jahrhunderte dauern, bis eine ähnliche Konstellation zustande kommt, wenn überhaupt.

Die Menschen sind durchweg interessiert, diese außerordentliche Persönlichkeit zu erleben. Zumal wenn sie dem katholischen Glauben angehören, fühlen sie sich ganz in den Bann dieses intellektuellen und durchaus freundlichen 84jährigen Kirchenmannes gezogen.

Auch der politischen Elite unseres Landes ist anzumerken, dass hier eine ganz besondere Begegnung stattfindet. Der äußere Rahmen spielt da gewiss auch eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die katholische Kirche wusste immer wie man Menschen beeindrucken kann, der Klerus in seiner farbigen Uninformiertheit, die Würde der älteren Herren, sprich Kardinäle und Bischöfe und die Ergebenheit des klerikalen Nachwuchses zeigen ein Bild der vollkommenen Hierarchie auf, alles lebt im Einklang und über allem thront der Nachfolger Petri.

Seit über 2000 Jahren existiert diese Glaubensgemeinschaft, der über 1 Milliarde Menschen auf der ganzen Welt angehören. Keine Institution in der Geschichte der Menschheit hat es so verstanden wie die katholische Kirche alle Stürme der Zeit zu überstehen.

Große Reiche sind gekommen und wieder untergegangen. Manche haben Jahrhunderte überdauert, andere sind bereits nach 12 Jahren Gott sei Dank wieder verschwunden. Unabhängig, wie man zum Glauben dieser Religionsgemeinschaft steht, die historische Erscheinung ist einzigartig, ein Faszinosum.

Fragt sich, wie ist es gelungen, diese älteste „Weltfirma“, dieser einzigartige Markenbegriff Jahrtausende lang aufrecht zu erhalten und ihn immer noch weiter auszubauen?

Fragt sich weiterhin, wie stehen die Zukunftschancen dieser weltumspannenden Glaubensverfechter?

Fragt sich außerdem, was liegt alldem spirituell zugrunde und welche Selbstheilungskräfte müssen vorhanden sein, um Fehlentwicklungen zu revidieren, um das System vor menschlichen Niederungen zu schützen?

Wesentlich für das Überleben solch langer Zeitabläufe ist der Faktor Macht. Die katholische Kirche hat von Anfang an darauf gebaut: auf die Macht des Wortes, auf die Macht des Glaubens und alles gepaart mit der irdischen Macht, die sie aller Zeit radikal politisch eingesetzt hat, ach ja und nicht zu vergessen die Macht des Reichtums, den sie hervorragend verstanden hat ständig zu mehren.

Dabei hat sie sich eines Instrumentes bedient, welches die Voraussetzung zu aller menschlichen Entwicklung ist. In einer meiner früheren Kolumnen habe ich schon einmal darauf hingewiesen, wie in der Geschichte der Menschheit der Faktor Intelligenz die Spezies „Homo erectus“ zugunsten des „Homo sapiens“ entwicklungstechnisch den Ausschlag gab. Die Intelligenz des Klerus war der Garant für die Überlebensfähigkeit dieser römisch-katholischen Kirche.

Über Jahrhunderte wurde Wissenschaft in den Klostergemeinschaften betrieben und das daraus entwickelte Wissen als „Firmengeheimnis“ in den Klosterbibliotheken für die Allgemeinheit unzugänglich aufbewahrt. Da Wissen bekanntlich Macht ist, liegt auch hier ein wesentlicher Baustein zum Machterhalt. Anders als Erbdynastien, wo in der Folge die Intelligenz abhandenkommt und dadurch das System implodiert, hat sich die katholische Kirche immer wieder frischer Ressourcen bedient, in dem sie der Intelligenz aus dem Volk Aufstiegschancen geboten hat.

Bis zu dem heutigen Tag, wo das Interesse in den westlichen Ländern rapide abgenommen hat, seine Intelligenz der Kirche zur Verfügung zu stellen, begibt sich die Kirche in die Länder der Dritten Welt, um von dort ihre intellektuellen Speicher neu aufzufüllen.

Bezahlt haben diese jungen Männer immer mit Glaubenseifer, unbedingtem Gehorsam und pragmatischem Intellekt. So konnte man auf alle Anfechtungen reagieren, so konnte man die Macht festigen und so war man aller Konkurrenz immer ein Stück voraus. Das hat viele Jahrhundertelang prächtig funktioniert.

Doch und damit kommen wir zur zweiten Frage: Funktioniert dieses System immer noch reibungslos?

In der Religionsgeschichte hat es permanent große Konkurrenz gegeben. Hier nenne ich entsprechend der Zeitgeschichte zuerst den Islam, eine damals neue monotheistische Glaubensrichtung, mit der sich das Christentum erbitterte Auseinandersetzungen lieferte, man denke an die Kreuzzüge, aber auch an die Schlacht am Kahlenberg bei Wien (1683), wo die Türken versucht haben, Westeuropa zu überrennen, nachdem sie Südosteuropa einige Jahrhunderte hindurch beherrscht haben, ach ja, nicht zu vergessen die Eroberung Spaniens durch die Mauren (ab 711), eine durchaus fruchtbare Zeit für die Wissenschaft (Uni Salamanca), jedoch auch für die architektonische Gestaltung von einzigartigen Städten wie Cordoba oder Ronda.

Dann kam die Zeit der Reformation, für die katholische Kirche die vielleicht schwierigste Konstellation, um das eigene Überleben zu sichern. Plötzlich gab es starke, intelligente Konkurrenz, die damit begann, alte Zöpfe abzuschneiden, Fehlentwicklungen anzuprangern und den Menschen an sich mehr Beachtung zu schenken. Dieses alles fiel auf einen geeigneten Nährboden und Königreiche und Fürstentümer wandten sich von der katholischen Kirche ab. Die Folgen waren chaotisch: Glaubenskriege, die unendliches Leid nach sich zogen. Der Tod hinterließ eine blutige Spur durch die Jahrhunderte. Noch heute gibt es Folgeerscheinungen, wie wir in Nordirland miterleben müssen.

In jüngster Zeit dürfen wir aber eine Umkehr dieser Entwicklung erleben, denn die christlichen Kirchen haben ihren Kurs geändert. Die Zeichen stehen auf Versöhnung, eine erfreuliche Entwicklung. Gerade ganz aktuell haben sich heute bei dem Papstbesuch in Erfurt die Spitzen der evangelischen und der katholischen Kirche zu Gesprächen gefunden und eine ökumenische Messe zelebriert.

Dieses ist ganz im Sinne der Ausführungen, die Benedikt der XVI. bei seiner Rede gestern im Bundestag ausgeführt hat, wenn er die Ursprünge der Religion in der Spiritualität und in der Vernunft (Ratio), sieht. Beides ist mehr denn je gefragt, um den Herausforderungen der modernen Gesellschaft zu begegnen, aber auch um beiden christlichen Kirchen eine Überlebenschance zu sichern. Zumindest in der westlichen Hemisphäre, wo neue Glaubensbilder um sich greifen und die Menschen in den Bann ziehen, haben es die christlichen Kirchen nicht leicht.

Die globale Kommunikation tut ihr Übriges. In Zehntel von Sekunden wird Information aber auch Wissen um den Globus geschickt. Die Menschen glauben dadurch freier zu sein, unabhängiger von kirchlichen Dogmen, seien sie positiv oder dienten sie von jeher zur Unterdrückung. Zweifel ist an der Tagesordnung, hinweg mit allem, was nach Glaube und Kirche riecht. Dass der Mensch ethische Werte und zuversichtlichen Glauben benötigt, um das Leben positiv zu reflektieren, wird dabei vergessen.

Die Kirchenaustritte, allein bei der evangelischen Kirche wurden im letzten Jahr 180 000 gezählt, sprechen eine klare Sprache. Der Mammon als anbetungswürde Größe hat sich dem Menschen angedient. Die Individualisierung lässt keinen Raum für Mitmenschlichkeit, Demut und Hilfsbereitschaft, so der Papst im Bundestag, doch diese Werte und die Achtung der Natur garantieren allein das Überleben der Menschheit. Dieser Werte gilt es sich, erneut ganz intensiv zu besinnen.

Die katholische Kirche hat außerdem noch ein weiteres Problem neben der Tatsache, dass die Menschen westlichen Ursprunges heutzutage das Zölibat nicht verstehen, Geschiedenen und Wiederverheirateten die Hl. Kommunion verweigert wird und Frauen in der Kirche generell als benachteiligt anzusehen sind.

Der Missbrauch von katholischen Geistlichen an Kindern, weiblich oder männlich, wurde immer unter der Decke gehalten, sprich nicht öffentlich gemacht und auch nicht bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, obschon es sich hier um ein Strafdelikt handelt. Erst vor zwei Jahren hat man begonnen, sich überhaupt mit diesen schändlichen Verfehlungen in der Öffentlichkeit auseinanderzusetzen, nachdem der Direktor einer Jesuitenschule in Berlin sich öffentlich in einer Pressekonferenz geäußert hat.

Wie Dominosteine fielen die kirchlichen Bastionen, in denen Missbrauch betrieben wurde und die katholische Kirche hatte ein riesiges Problem mit der Glaubwürdigkeit. Die Folge war zu tiefstes Misstrauen und Unverständnis in der Glaubensgemeinschaft. Kirchenaustritte, öffentliche Diskussionen und harte Attacken gegen alles Klerikale waren auf der Tagesordnung. Dies ist Neuland für die katholische Kirche und zu allem Überfluss bleibt der Nachwuchs aus, zumindest in Westeuropa und Nordamerika.

Dabei  gibt es überhaupt keinen Grund zu relativieren, dass Missbrauch von Kindern und Jugendlichen auch in privaten oder staatlichen Einrichtungen aufgedeckt wurden. Dass Outing von Berlin hat bewirkt, dass sich die Missbrauchsopfer nicht mehr im Stillen schämen und verkriechen müssen. Endlich trauen sie sich, nach außen zu gehen, von ihrem Leid zu sprechen und Hilfe in der Therapie zu suchen.

Ich will hier das allseits bekannte Beispiel der Odenwaldschule nennen. Mittlerweile ist ermittelt, dass über 600 Schülerinnen und Schüler Opfer dieser kriminellen Pädagogen auf dieser Eliteschule geworden sind. Mich berühren diese abgründigen Vorgänge dort besonders, da ich selbst Abitur an der Hermann-Lietz-Schule/Spiekeroog, ebenfalls einer Internatsschule für Knaben gemacht habe. Mehrere Jahre habe ich das enge Zusammenleben zwischen Pädagogen und Schülern erlebt, wobei hier noch die Besonderheit der Insellage eine Rolle gespielt hat. Derartiges, was an der Odenwaldschule Gang und Gäbe gewesen sein muss, hat es auf Spiekeroog nie gegeben. Es wäre auch gar nicht möglich gewesen, denn als 16 jähriger wusste ich genau wohin ich tendiere, wo meine Präferenzen liegen. Ein Übergriff seitens eines Lehrers hätte wohl für diesen böse Folgen gehabt. Zweierlei Gründe sehe ich als Ursache für diese Übergriffe: Wesentlich ist die Tatsache, dass diese sogenannten Pädagogen abartig veranlagt sind, ihre Stellung als besondere Vertrauenspersonen bewusst missbraucht haben und sich an Kindern vergangen haben, die aufgrund ihres Alters sich nicht wehren konnten. Die Folgen für diese armen Geschöpfe sind allerdings beträchtlich und sie schleppen ein Leben lang diese Verletzung mit sich herum.

An all das musste ich denken als ich mir die Rede dieses eloquenten Intellektuellen vor den Abgeordneten im Bundestag anhörte. Seine Ausführungen waren hochphilosophisch, gespickt mit profundem Wissen über das Gedankengut kirchlicher und weltlicher Philosophen bis hin vor die Zeit von Jesus Christus.

Die Rede, die auf die Verantwortung unserer Volksvertreter abzielte, empfand ich als sehr profund und für mich waren diese Ausführungen so brillant, nämlich den Menschen naturgemäß zu sehen, geleitet von Spiritualität und Rationalität, dass es auch meinen Vorstellungen entspricht.

Allerdings schließe ich mich Heiner Geißler, dem alten Recken der CDU an, der vor der Übertragung aus dem Bundestag sinngemäß sagte, wir werden die Rede eines akademischen Gelehrten hören, die Rede eines Professors, was die Menschen jedoch hören möchten, sind verständliche Worte, die ihnen Hilfe geben, die drängenden Probleme unserer Zeit zu bewältigen.

Natürlich kann man Antworten aus dieser Rede erhalten, auch auf alle noch so drängenden Fragen, die meisten Menschen aber brauchen aber noch einen Vermittler, der ihnen das vorgetragene Gedankengut in ihre Sprache übersetzt.

Nichtsdestotrotz die Reise von Benedikt XVI. ist historisch und wir sollten versuchen jetzt schon aus diesem historischen Ereignis und der Fülle der Reflektionen, die der Papst uns entgegengebracht hat unsere eigenen Schlüsse zu ziehen.

Peter J König

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