Samstagskolumne Peter J. König 13.07.2019

Wird am nächsten Dienstag Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin vom Europäischen Parlament mit Mehrheit der Stimmen für dieses Amt gewählt oder geht das Gezerre um diesen Posten nach missglückter Wahl von vorne los?

Die Wahl zum #Europäischen_Parlament im Mai diesen Jahres war über die Bühne gebracht, das Problem des #Brexits der Briten wurde nach zermürbenden Sitzungen des britischen Parlaments in der Form gelöst, dass #Theresa_May ihren Posten als Premierminister nach der Europawahl aufgab, mit der Maßgabe dass die Briten noch bis zum 31. Oktober in der EU ausharren würden. 

Erreicht hat man damit, dass ein sofortiger Austritt aus der Europäischen Union verhindert werden konnte, der für alle Beteiligten, sowohl Großbritannien als auch die Länder der EU gravierende Nachteile gebracht hätte, in der Wirtschaft, aber auch auf vielen anderen Ebenen, etwa Sicherheit, Bildungs- und Wissenschaftstransfer und nicht zu vergessen, die erneute Grenzziehung zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland. Hier hat es jahrzehntelang sehr blutige Auseinandersetzungen gegeben zwischen irischen Katholiken und nordirischen Protestanten, Terror und Mord war im Grenzgebiet an der Tagesordnung, aber auch die Terroranschläge auf die Londoner U-Bahn mit vielen Toten hatten ihre Ursache in diesem blutigen Konflikt. 

Bei einem sogenannten harten #Brexit, den #Boris_Johnson als einer der beiden Nachfolger die sich um das Amt des Premierminister herauskristallisiert haben, der zweite ist der frühere Außenminister unter May, #Jeremy_Hunt, also dieser Boris Johnson will auf jeden Fall die EU verlassen, ob mit oder ohne Austrittsvertrag mit der Europäischen Union. Theresa May hat das Szenario "NO DEAL" noch einmal verhindern können, eben mit ihrem Rücktritt und der Verlängerung in der EU bis zum 31. Oktober. 

Dies hatte aber zur Folge, dass die Briten noch einmal an der Wahl zum Europa-Parlament teilnehmen mussten, obwohl sie durch das Brexit-Referendum den Ausstieg beschlossen hatten. Schon hier wird eindeutig wie verworren und teilweise völlig absurd Europa-Politik ist, welche Tücken sich permanent auftun und wie mühselig das politische Geschäft in Europa ist, kein Wunder bei 28 Mitgliedsstaaten, die alle ihre eigenen Interessen im Vordergrund sehen. Die Europawahl hat dann noch zusätzliche Hürden aufgebaut, denn neben dem jetzigen Boykott der überwiegend rechtsradikalen Vertreter aus GB, hat es für Christ- und Sozialdemokraten nicht mehr zur absoluten Mehrheit gereicht, um so gemeinsam dringend notwendige Reformen und sonstige wichtige gesetzliche Vorhaben zu realisieren. Nun sind sie auch auf die Stimmen von Liberalen, Grünen und Linken angewiesen, denn mit den Rechtsradikalen aus Deutschland, Österreich, Italien, Ungarn, Polen und Tschechien gibt es sowieso keinen Konsens, wollen diese doch nur die EU kleinstutzen oder sie gar ganz abschaffen. 

Einhergehend mit den #Europawahlen kommt es zusätzlich auch zur Neubesetzung der wichtigsten Posten in Europa, etwa des #EU_Kommissionspräsidenten, dem Präsident des Europaparlaments, dem Präsident des Europarates, des EU-Außenbeauftragten und dem Präsident der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Alle Spitzenämter sind für Europa von ganz essentieller Bedeutung, man denke nur z.B. an den Zentralbank-Chef, der ja die Geldpolitik im Euroraum bestimmt und dadurch maßgeblich auf das wirtschaftliche Wachstum in Europa einwirken kann. 

Zumindest genauso wichtig ist der Posten des Präsidenten der EU-Kommission. Dieses Amt hat bisher der Luxemburger #Jean_Claude_Junker inne gehabt, ein schlauer Fuchs, Kohl-Vertrauter und Freund von #Angela_Merkel und #Emmanuel_Macron, der es verstand, selbst Trump beim Streit um Zölle einen guten Kompromiss abzuhandeln. Zudem vertritt der Kommissionspräsident die EU als Ganzes, auf allen multilateralen Konferenzen sitzt er mit am Verhandlungstisch, sein Wort hat Gewicht. Vor knapp vierzehn Tagen haben der Europäische Rat, also die Staats- und Regierungschefs als Vertreter der Regierungen der EU-Staaten ihre Aufgabe wahrgenommen, die jeweiligen Kandidaten für die Ämter vorzuschlagen, die dann noch z.T. vom Europäischen Parlament bestätigt werden müssen, mit der Mehrheit der 751 Abgeordneten, also mindestens 376 Stimmen. Dies gilt hauptsächlich für den Kommissionspräsident, für den Parlamentspräsident und den EU-Außenbeauftragten, der die Rolle eines Außenministers einnimmt und gleichzeitig Vizepräsident der EU-Kommission ist. Bei dem wichtigen Amt des Präsidenten der Zentralbank hat das EU-Parlament kein Mitspracherecht, hier entscheiden die Staats- und Regierungschefs alleine wer den Posten bekommt und zwar gleich für sieben Jahre. 

Man kann sich vorstellen, welches Gerangel und Geschachere im Vorfeld zu diesen Postenvergaben in Brüssel jeweils stattfinden. Es hatte mehrerer Anläufe bedurft, bis man endlich sich auf bestimmte Personen einigen konnte. Allein sich auf einen tragfähigen Kompromiss auf die Nachfolge von Jean Claude Junker festzulegen war ein Drahtseilakt. Ursprünglich sollte ja der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion im EU-Parlament eine Chance auf diesen Posten erhalten. Dies ist bei den Christdemokraten der CSU-Mann #Manfred_Weber gewesen und falls die Sozialdemokraten die Wahl gewonnen hätten, wäre es nach dem Mehrheitsprinzip im EU-Parlament der niederländische Sozialdemokrat #Frans_Timmermanns gewesen. Beide europäischen Spitzenpolitiker hatten im Wahlkampf zum EU-Parlament ausdrücklich für sich als zukünftigen #Kommissionpräsident geworben. De facto aber haben die Staats- und Regierungschefs die Mehrheit im EU-Parlament übergangen, denn nach dem Ergebnis der Wahl hätte der Christdemokrat Manfred Weber als nächster EU-Kommissionspräsident eigentlich vorgeschlagen werden sollen. Dies jedoch wusste #Macron zu verhindern, für ihn hatte Weber eine zu geringe Erfahrung in Spitzenämtern. 

Timmermanns als Alternative wurde von Ungarn und Polen nicht akzeptiert, ebenso von einigen christdemokratischen Regierungen. Und wie das Kaninchen aus dem Hut wurde jetzt die deutsche Verteidigungsministerin Ursula_von_der_Leyen hervor gezaubert. Macrons Favoritin ist dann auch von allen Regierungschefs im Europäischen Rat nominiert worden, mit Ausnahme von Angela Merkel, die sich der Stimme enthielt, weil ihr Koalitionspartner, die SPD, sich strikt gegen von der Leyen ausgesprochen hat. Diese Vorgehensweise der Enthaltung entspricht demokratischen Gepflogenheiten, wenn Koalitionäre sich in einer Sach- oder Personalfrage nicht einig sind. Wie bereits erwähnt, liegt es jetzt am EU-Parlament den Vorschlag des Rates zu bestätigen oder bei zu geringer Zustimmung ihn damit abzulehnen. Ohne die Mehrheit der Parlamentarier geht hier gar nichts, im Gegenteil zum EZB-Präsident der von den Regierungschefs gewählt und ernannt wird. In diesem Fall steht fest, dass die Französin Christine Lagarde, bisher Chefin des Internationalen Währungsfonds, den Posten von Mario Draghi als Präsidentin der Europäischen Zentralbank übernehmen wird.

Bei Ursula von der Leyen ist die Situation schwierig. Wie bereits ausgeführt, muss das EU-Parlament mit der Mehrheit von 376 Stimmen für von der Leyen votieren. Dabei müssen nicht nur die Sozialdemokraten sich für sie aussprechen sondern nach dem Verlust der gemeinsamen Mehrheit werden auch noch Stimmen von anderen Parteien benötigt, von den Grünen, von den Liberalen oder von den Linken etwa. Klappt dies nicht, so ist von der Leyens Traum ein absolutes Spitzenamt zu besetzen ein zweites Mal geplatzt. Bereits nach dem Rücktritt von Horst Köhler als Bundespräsident wurde Ursula von der Leyen als Nachfolgerin mit den größten Chancen gehandelt. Dies hat sich als Fehlspekulation erwiesen, denn Angela Merkel machte #Christian_Wulff zum nächsten Bundespräsidenten, eine nicht minder fatale Fehl-Entscheidung wie sich später herausstellen sollte. Nun also der Anlauf zum höchsten Posten in der EU, wobei schon im Vorfeld es gilt einige maßgeblichen Hürden zu überwinden. Da ist also der Widerstand der SPD in der deutschen Regierung, im Bundestag aber auch im EU-Parlament, wobei die Parlamentarier dort nach einer Aussprache mit von der Leyen bereits die Verweigerung ihrer Stimmen kundgetan haben. Ebenso haben dies die Abgeordneten der Linken entsprechend signalisiert. Beide Parteien argumentierten nach den Anhörungen Konzeptionslosigkeit in entscheidenden Fragen, etwa wie der mangelnden Rechtsstaatlichkeit in einigen osteuropäischen Mitgliedsstaaten wie Ungarn und Polen sie gedenkt entgegen zu treten. 

Eine weitere Hürde für viele in den anderen Parteien besteht darin, dass sie sich durch die Regierungschefs bei der Nominierung des Kommissionspräsidenten übergangen und nicht berücksichtigt fühlen. Bei vielen kommt dies nicht gut an, mit der Wahl des Kommissionschefs wollen sie nun ein deutliches Zeichen ihrer Macht setzen, Ablehnung inklusive. Hier muss Ursula von der Leyen noch deutliche Überzeugungsarbeit leisten, eine Herkulesaufgabe die fast unmöglich oder doch zumindest sehr schwierig wird. 

So kündigte sie bei den Linken an als EU-Kommissionspräsidentin mehr Soziales in Europa durchzusetzen, bei den Grünen mehr Klimaschutz und Ökologie und gab den Sozis das Versprechen, dass Frans Timmermanns Vize-Präsident der EU wird, wobei man Manfred Weber schon vertröstet hat und ihm nach der Hälfte der Legislatur-Periode, also nach 2 1/2 Jahren, das Amt des EU-Parlamentspräsident zugesagt hat. Ob dies jedoch alles reicht, um Ursula von der Leyen ins Amt zu heben, scheint doch mehr als fraglich. Sollte sie es jedoch schaffen, dann hat sie bewiesen, dass sie Ehrgeiz, Energie und Durchsetzungsvermögen besitzt und Geschick, um das Amt auszufüllen und mit den anstehenden Problemen in der EU und mit den mächtigsten Verhandlungspartnern in der Welt wie Trump, Putin und Xi Jinging auf Augenhöhe zu sein.

Wird sie jedoch vom Europäischen Parlament nicht gewählt, wird sie weiterhin die marode Bundeswehr sanieren müssen und das Geschachere um einen neuen EU-Kommissionspräsident geht von neuem los. In diesem Fall hat Jean Claude Junker in seiner witzigen Art gemeint, er würde das Amt kommissarisch noch gerne viele Monate bekleiden.

 Peter J. König