Samstagskolumne Peter J. König 19.05.2018

"Dümmer geht nimmer", oder ganz präzise gesagt: Dümmer, verlogener und volksverhetzender ist es nicht mehr möglich!

Am letzten Mittwoch hat ein Novum im Bundestag stattgefunden. Zum Auftakt der Debatte um den Etat der Bundeskanzlerin, im Zuge der Generaldebatte, der traditionell eine Abrechnung der Opposition mit der Politik des Bundeskanzlers ist, hat, wie es seit Jahrzehnten im Parlament Usus ist, die größte Oppositionspartei als erste die Gelegenheit, ihre Kritik an der aktuellen Politik der amtierenden Kanzlerin am Rednerpult vorzutragen, und zwar noch bevor diese ihre politischen Vorstellungen vor dem Bundestag erläutert. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Regierungsspitze auf die Anwürfe reagieren kann, die zuvor von der größten Oppositionspartei im Parlament geäußert wurden. In früheren Legislaturen war das Procedere eindeutig, je nachdem welche der beiden großen Volksparteien gerade am Ruder war. Jeweils die unterlegene hat dann die Debatte durch ihren Oppositionsführer eröffnet. Und dies war überwiegend die SPD, da zumeist die CDU die Bundestagswahlen gewonnen hatte.

In der Regel waren dies dann Sternstunden des deutschen Parlamentarismus, wenn z.B. Ernst Reuter, Herbert Wehner oder Willy Brandt als Oppositionsführer ihre Reden hielten und es oftmals dann auch turbulent herging, allerdings auf höchstem politischen Niveau. Dies ist heute leider nicht mehr der Fall, ganz im Gegenteil. Der Auftritt der aktuellen Oppositionsführerin der größten Oppositionspartei, Frau Alice Weidel von der AfD, entpuppte sich als ein rassistisches Geplärre ungekannten Ausmaßes. So etwas hat es in über 70 Jahre Bundesrepublik und demokratischen Rechtsstaat bisher nicht gegeben. Deshalb muss von einem Novum gesprochen werden, von einem Novum übelster Sorte. 

Allenfalls vor 1933, als die Nazis noch nicht die Mehrheit im Deutschen Reichstag hatten, gab es solche Hetzreden, ganz besonders von Goebbels, der damals sein persönliches Profil in der NSDAP zu schärfen suchte und deshalb nicht umsonst später Reichspropaganda-Minister wurde, nachdem die Nazis im Januar 1933 die Macht im Deutschen Reich übernommen hatten, um kurz danach mit Hilfe des inszenierten Reichstagsbrandes durch Notstandsgesetze, die Macht komplett an sich zu reißen, und den Reichstag zu entmachten.

Reichskanzler Hitler hat zunächst mit diesen Notstandsgesetzen regiert, um danach sehr schnell die Demokratie in eine Diktatur zu verwandeln, die "Diktatur der braunen Massen", wie sie beschrieben wurde. Tatsächlich hat hier die Diktatur einer mörderischen und menschenverachtenden Clique stattgefunden, mit Hitler, Göring, Goebbels, Himmler und ihren Vasallen und Profiteuren und einer Ideologie, die verbrecherischer und krimineller nicht sein konnte. Fast schien es, als sei dieses dunkelste Kapitel in der deutschen Geschichte endgültig überwunden, aber weit gefehlt. Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag und als Ausdruck der ideologischen Nähe zu den Nazis des "Dritten Reichs" hat Frau Weidel gezeigt, wo die Reise hingehen soll, hat gezeigt, welche Art von Politik die AfD vertritt und hat auch gezeigt, welche perfiden Mittel sie  dabei einsetzen.

Dass die AfD überhaupt in die Position der Oppositions-Führerschaft gekommen ist, hat mit dem Ausgang der letzten Bundestagswahl zu tun, hat zu tun mit der Verweigerung der FDP in eine Koalition mit CDU und Grünen einzutreten, wo dann die SPD die stärkste oppositionelle Kraft geworden wäre, so wie Martin Schulz es unmittelbar nach der Wahl verkündet hat. Natürlich war allen anderen Parteien im Bundestag klar, welche überhöhte Rolle der AfD zuwächst, wenn sie tatsächlich die stärkste Kraft in der Opposition sein würde, zumal sie auch jetzt in einigen wichtigen Ausschüssen den Vorsitzenden stellt. Ursprünglich wollte die SPD diese Rolle einnehmen, aus Staatsräson, aber auch, um sich aus früheren Koalitionszwängen mit der CDU zu erholen.

Bekanntlich hat Lindner mit der FDP einen Strich durch dieses Kalkül gemacht. Die SPD ist schweren Herzens und aus Angst vor einem weiteren Verlust und einem noch stärkeren Ergebnis für die AfD bei Neuwahlen erneut in eine Regierung mit der CDU eingetreten und der Weg war frei für diesen ungewollten Prestige-Gewinn für das rechtslastige Lager und der Möglichkeit im Bundestag an vorderster Front Propaganda für sich und ihre kruden, volksverhetzenden Gedankenspiele und politischen Parolen zu machen.

Als drittstärkste Partei war dies ihr nun möglich. Bereits bei einigen früheren Auftritten der führenden Abgeordneten der AfD im neuen Bundestag hatte sich gezeigt, dass es zu einer Zeitenwende im parlamentarischen Auftreten durch Gauland, Weidel und Co. gekommen war. Hetzreden, Verunglimpfungen des politischen Gegners und Lügen-Kampagnen sind die üblichen Methoden, die nun von der Straße auch in den Bundestag seitens der AfD eingezogen sind. Waren es bei den früheren Nazis die Juden, Sinti und Roma und generell die Andersdenkenden von SPD und Zentrum, die von ihren Rednern im Reichstag gegeißelt, verunglimpft und verspottet wurden, so sind es heute die Flüchtlinge, die Mitbürger islamischen Glaubens und die Menschen mit Immigrations-Hintergrund, die auf übelste Weise  beschimpft und diffamiert, ja bedroht werden. Dazu hat Weidel von "Burkas, Kopftuchmädchen und von alimentierten Messermännern und sonstige Taugenichtse" gesprochen, "die unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern". Damit hat Weidel sich eine Rüge des Bundestagspräsident Schäuble eingehandelt, da sie nach dessen Aussage, alle Kopftuch-tragenden Frauen in unserem Land beleidigt habe.

Eine direkte Lüge ist die Aussage, dass die mehrheitlich türkisch stämmigen Frauen mit Kopftuch den Sozialstaat nicht unterstützen, wo doch klar ist, dass Hunderttausende dieser hier arbeitenden Frauen sehr wohl in die Renten- und Sozialkassen einzahlen.

Weidel hat diese Zurechtweisung mit hämischem Grinsen entgegen genommen, während ihre hinter ihr sitzenden Claqueure ihrer Partei Siegesgeheul anstimmten. Alles wie gehabt, die Atmosphäre des Reichstages im Jahre 1932/33 ist auferstanden, die Geister von damals sind in Form der AfD und ihrer Oppositionsführerin in das traditionsreiche, und nicht nur glückbringende Gebäude zurückgekehrt. Fakt ist, dass Frau Weidel und die AfD mit ihren rassistischen und menschenverachtenden Anfeindungen ein ganz bestimmtes Ziel verfolgen, nämlich die dumpfen, nationalistischen Instinkte ganzer Bevölkerungsgruppen wieder zum Leben zu erwecken, ganz so wie es einst die Nazis vorgemacht haben. Dabei hat der arrogante, überhebliche und zynische Auftritt dieser Galionsfigur des neuen deutschen Rassismus in nichts nachgestanden, wie Goebbels einst vor dem Reichstag aufgetreten ist, ganz im Gegenteil, gegenüber Goebbels war Frau Weidel noch der sektiererische Eifer und die unverhohlene Häme anzusehen und die ihre Hass- und Lügenpredigt als persönlichen Erfolg verstand. 

Goebbels zweifellos abartiger und kranker, doch reichlich vorhandener Intellekt hat dies bei ihm nicht zugelassen, dafür war er ein zu großer "Staatsschauspieler". Aber hier kann Frau Weidel ja noch üben, schließlich war dies ja ihr erster Auftritt in diesem von ihr inszenierten, schmierigen Staatstheater. Nichts desto trotz, neben allem Sarkasmus muss auf die Gefährlichkeit und die Folgen eines solchen Auftritts von Frau Weidel hingewiesen werden. Denn beileibe nicht alle Schichten in der Bevölkerung sind immun gegen diese rassistische Politik, wie sie Weidel und die AfD praktizieren, auch mittlerweile im Bundestag. Dabei geht es ihnen nicht darum "das Abendland zu retten", wie Volker Kauder, der Fraktionsführer der CDU auf Weidel antwortete, sondern dahinter wird die Absicht verborgen, auf legalem, demokratischen Weg der Macht im Staat immer näher zu kommen, um so durch ihre rassistische, nationalistische Politik endlich das Ziel zu erreichen, das schon die Nazis verfolgt haben, Herrenmensch zu sein, andere Staaten in Europa zu dominieren, nicht durch eine demokratische EU sondern mit einem für alle Zeiten festgelegten Führungsanspruch der Nazis, auch mit Hilfe nationalistischer Parteien in den anderen europäischen Ländern. 

Dazu braucht die AfD einen möglichst großen Rückhalt in der Bevölkerung, muss das Potential ausschöpfen von latenten rechtslastigen Bürgern, die unzufrieden, immer zahlreicher die Partei wählen. Und wo gäbe es eine größere Chance ihre Propaganda zu artikulieren, als im Bundestag. Hier konzentriert sich das ganze politische Geschehen in Deutschland, schon allein wegen der Machtfülle in unserem Land, hier ist die Presse allgegenwärtig und hier ersetzt ein Auftritt von Weidel 100 Parteiveranstaltungen draußen in der Provinz. Hier aber auch liegt der Fokus der ausländischen Medienvertreter, die dann in alle Welt berichten, was seit neuestem in Deutschland politisch die Runde macht und was sich wieder zusammenbraut. 

Wer da noch Zweifel hat, sollte sich die Rüpel-Truppe der AfD im Bundestag bei einer Debatte einmal näher anschauen. Da fehlen nur die Braunhemden und das Déjà-vu ist perfekt. Und dabei ist der neue Bundestag erst einmal ein paar Monate alt. Wie lange wollen wir uns das in dieser Form noch bieten lassen? 

Zwar hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble Frau Weidel gerügt, dies war jedoch eine eher zurückhaltende Geste. Wünschenswert wäre gewesen, wenn alle anderen Parteien in einen Sturm der Entrüstung ausgebrochen wären und in einen verbalen Tumult des Protests. Auch wenn sich Cem Özdemir von den Grünen den Zwischenruf erlaubt hat: "Es sind Rassisten im Bundestag", so blieb doch die Reaktion der anderen Abgeordneten mehr als moderat.

Die Kanzlerin hat die Lügen und Beleidigungen ihrer Vorrednerin mit keinem Wort erwähnt, was in ihrem Fall auch klug und richtig war. Dafür sind die Fraktionsführer und ihre Stellvertreter da. Zugegeben, es ist nicht einfach den eindeutigen Weg zu finden, um diesen politischen Hetzern Paroli zu bieten. Werden sie scharf attackiert, kommt rüdes, dumpfes, beleidigendes Gebrüll zurück, was natürlich die eigenen Massen noch anheizt und bestimmt noch weitere Verirrte in den Bann zieht, so mittlerweile mehrfach im Bundestag zu erleben.

Wird alles Gesagte einfach ignoriert, wird dies womöglich in der Bevölkerung als Zustimmung gewertet. Hier haben weder die Parteien im Bundestag noch bei den Wahlveranstaltungen das geeignete Rezept gefunden, damit dem aufkommenden Rechtsradikalismus  hierzulande und der Fremdenfeindlichkeit, die sich immer mehr in Nationalismus verwandelt, wirksam der Nährboden entzogen wird.

Aber eins ist ganz klar, ein "Weiter so" kann nicht die Antwort auf die Ausbreitung der AfD sein. Hier sind alle demokratischen Bürger gefragt, etwas dagegen zu unternehmen, ob zuhause, in der Firma, im Sportverein oder in der Kneipe. Wegducken hilft nur den Nazis, und was die aus ihrer Macht veranstaltet haben, dies sollte noch immer jedem präsent sein. Und den Rechtsradikalen hinterherlaufen oder sie gar rechts zu überholen, um wie die CSU in Bayern wieder die absolute Mehrheit bei den Landtagswahlen im September erreichen zu wollen, dies ist schon allemal keine erfolgreiche Lösung, wie die neuesten Umfragen zeigen.

Hat die CSU bei der Wahl Söders zum bayerischen Ministerpräsident noch einige Punkte zulegen können, allerdings immer noch unter 50%, so ist sie ganz aktuell wieder um einige Prozentpunkte gefallen und liegt jetzt bei 42%, Tendenz weiterhin fallend, während die AfD dabei ist, die SPD in Bayern zu überholen, um dann eventuell als zweitstärkste Partei in den Landtag einzuziehen.

Dies hat das schöne Bayern nicht verdient, da müssen noch viele Demokraten zuvor auf die Strasse gehen, seien sie für die CSU, SPD, FDP, Grüne oder gar die Linke, Hauptsache der AfD wird das Wasser abgegraben. Ob dabei allerdings Söders Kampagne, in jedes öffentliche Gebäude Kreuze aufzuhängen der zielführende Weg ist, dies darf bezweifelt werden und scheint eher auf Widerspruch bei der Bevölkerung und bei den Kirchen zu stoßen. Und die Nazis in unserem Land, angestachelt von Frau Weidel und ihren politischen Artgenossen ficht so etwas sowieso nicht an, sind sie doch in erster Linie an rassistischen und nationalistischen Machtgedanken interessiert, nicht an Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe und Integration. 

Peter J. König