Samstagskolumne Peter J. König 31.05.2014

Welch ein Armutszeugnis, aber auch welche kranke Machtideologie der Großmächte, ausgetragen mit dem Leben der Schwächsten und Allerärmsten!

Nach einer mehrwöchigen kreativen Pause ist es spannend festzustellen, ob sich in der nationalen und internationalen Politik etwas geändert hat, oder ob die Brandherde weiter fortdauern, vielleicht sogar schlimmer geworden sind? 

Zu glauben, dass in den wenigen Wochen grundsätzliche Verbesserungen bei den Konflikten in der Ostukraine, in Syrien, im Irak und Afghanistan, vielleicht in Zentral-Afrika statt gefunden haben, würde bedeuten ein unverbesserlicher Optimist zu sein. Versuchen wir es mit der deutschen Innenpolitik oder mit Ereignissen in der EU? Gab es vielleicht hier entscheidende Fortschritte, denn immerhin ist zwischenzeitlich das Europäische Parlament neu gewählt worden? 

Bevor ich später darauf zurückkomme, nur soviel, der Rechtsruck in vielen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union kann bestimmt nicht als Fortschritt bezeichnet werden, weder für das Zusammenwachsen zu einer starken europäischen Kraft, noch um dem wieder aufkeimenden Nationalismus wirksam die Stirn zu bieten. 

Der Bürgerkrieg in Syrien ist zwischenzeitlich mit unverminderter Härte fortgesetzt worden. Mittlerweile sind über 150.000 Tote zu beklagen, der Flüchtlingsstrom nähert sich der 10 Millionen-Grenze. Das Einzige was sich wirklich verändert hat, ist die mediale Aufmerksamkeit, immer mehr droht dieses menschliche Drama in Vergessenheit zu geraten. Internationale Journalisten haben kaum mehr die Chance sich ein einigermaßen objektives Bild der Lage zu machen, weder was die Zusammensetzung der Aufständischen anbelangt, noch welche terroristischen Verbände mittlerweile auf Seiten Assads versuchen so im Nahen Osten weiter Fuß zu fassen, um letztendlich den Staat Israel auszulöschen. 

Die unterschiedlichsten islamistischen Kampfgruppen aus dem Irak und Afghanistan, die eine eigene Gruppe innerhalb der Aufständischen bilden und sich dabei erbittert mit der anderen militärischen Opposition in Syrien bekämpft, hat zwar auch die Beendigung des Staates Israel im Auge, in erster Linie aber geht es ihnen darum, den Nahen Osten in ein Gebilde von islamistischen Gottesstaaten zu verwandeln. Vermutlich ist es den Truppen Assads gelungen, einige verlorene Städte zurück zu erobern, so z. B. Homs lange Zeit ein Zentrum des aufständischen Widerstands. Zuletzt war es gelungen der massakrierten Zivilbevölkerung einige internationale Hilfsgüter dort zukommen zu lassen. 

Die Bilder von den Menschen und den komplett zerstörten Stadtteilen lassen nur erahnen, unter welchem Leid und welchen unmenschlichen Bedingungen die Bevölkerung dahin vegetieren muss. Und noch immer ist die Völkergemeinschaft nicht in der Lage, eine Friedenslösung durch die Vereinten Nationen zustande zu bringen. Welch ein Armutszeugnis, aber auch welche kranke Machtideologie der Großmächte, ausgetragen mit dem Leben der Schwächsten und Allerärmsten!

Die Ukraine, zuletzt das Drama, das medial bei uns die größte Aufmerksamkeit bekam, hat sich nicht entspannt, ganz im Gegenteil. Kämpfe zwischen der ukrainischen Armee und separatistischen Kampfgruppen, zum Teil aus Tschetschenien haben mittlerweile viele Tote gefordert. Zwar wurde am gleichen Sonntag wie bei der Europawahl ein neuer Präsident gewählt, nach demokratischen Regeln, wie die OECD durch Beobachter bestätigen ließ, aber nur dort, wo die Menschen die Möglichkeit hatten, ungehindert an der Wahl teilzunehmen. In der Ostukraine wurde dies weitestgehend durch die Separatisten und prorussische Milizen verhindert. Lediglich auf dem Land in einigen abgelegenen Gemeinden hatte die ukrainische Armee auf Geheiß von Kiew für die Möglichkeit gesorgt, zur Wahl gehen zu können. Fakt ist, dass die Ukraine in zwei Teile gespalten wurde, den westlichen, der die Wahl des neuen Präsidenten Poroschenko zur Folge hatte, einen milliardenschweren Schokoladenfabrikanten, der als Oligarch nach dem Zerfall der Sowjet-Union, die Gunst der Stunde für sich zu nutzen wusste. 

Schon beim ersten Wahlgang wurde er mit absoluter Mehrheit gewählt, zumindest dort wo die Wahl stattfand. In der Ostukraine wurden derweil Pseudo-Wahlen abgehalten zu der Frage der Abspaltung von Kiew und der Errichtung eines eigenen Staates im Donezk-Gebiet. Damit die Bevölkerung mit einem 98ig prozentigem Votum auch für die Abspaltung gestimmt hat, wurden die Wahllokale mit prorussischen Milizen besetzt. Da konnte nichts schiefgehen. Freie Wahlen sehen jedoch anders aus. Und doch bietet die Wahl des designierten Präsidenten eine gewisse Chance, um in die verhärteten Fronten wieder Bewegung zu bringen. Natürlich sind sich Putin und Poroschenko bestens bekannt, denn beide Herren haben in früheren Zeiten durchaus die gleichen Ziele verfolgt. Unmittelbar nach seiner Wahl hat Poroschenko dann auch angeboten, Gespräche mit der russischen Regierung zu führen, was von Außenminister Lawrow auch prompt angenommen worden ist. Schon wurde von der neuen Führung aus Kiew signalisiert, dass die russischstämmige Bevölkerung Sonderrechte eingeräumt bekommen würde, wenn sie ein Verbleiben in der Ukraine akzeptieren. 

Vielleicht lassen sich auf diese Weise die Kampfhandlungen mit den sinnlosen Opfern beenden, damit sich die Lage in der Ostukraine wieder stabilisiert und eine politische Lösung die Situation befriedet. Es bleibt spannend, aber es bleibt auch gefährlich und aus persönlichen Gesprächen mit Betroffenen weiß ich, dass die Menschen vor Ort sich nichts sehnlicher wünschen, als endlich wieder in Frieden zu leben und dass sich ihre Lebensbedingungen endlich wieder verbessern.

Damit geht es zurück in unseren europäischen Kreis, schließlich war die Europawahl am Sonntag, dem 24igsten Mai, trotz geringer Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent, viel entscheidender als gemeinhin angenommen wird. Europa scheint vielen Menschen zu weit entfernt, zudem missfällt ihnen die überbordende Bürokratie, mit der Folge, dass sie erst gar nicht sich an der Wahl beteiligten. 

Dies hat einige gravierende negative Folgen, die erst auf den zweiten Blick sichtbar werden. Zunächst haben erfahrungsgemäß die extremen Parteien durch eine solch geringe Wahlbeteiligung immer eine größere Chance in die Parlamente zu gelangen, obwohl sie nicht den entsprechenden Teil der Bevölkerung widerspiegeln, der ihnen an Sitzen zufällt. Zwangsläufig wird dadurch der Einfluss größer, und damit auch das Umsetzen des Ideenguts, das in der Gesamtbevölkerung oftmals nicht erwünscht ist. Bei der soeben stattgefundenen Wahl war im Vorfeld schon abzusehen, dass die rechtslastigen Parteien eine besondere Zustimmung erhalten würden, allein mit populistischen Themen, die einerseits den Nationalstaatsgedanken wieder in den Vordergrund gerückt haben, offen gegen Ausländer vorgegangen sind, wie in Frankreich der „front national“ oder den Euro ganz abschaffen wollen, oder zumindest mit einer Teilung zwischen reichen und armen Eurostaaten liebäugeln, wie die AfD dies bei uns  propagiert hat.

Alle Thesen dienen allein wahltaktischen Zielen, jede dieser Parteien in ganz Europa haben sich mit diesen Wahlslogans gute Chancen ausgerechnet. Und dabei haben sie nicht schlecht gelegen, wenn man sich die Ergebnisse ansieht. In England sind die EU-Ablehner stärkste Kraft geworden. Marine Le Pen hat über 25% der Stimmen in Frankreich bekommen, die Sozialisten von Präsident Hollande nur knapp an die 10%. Professor Lucke, das Zugpferd der AfD ergatterte auf Anhieb 7% und sieht sich schon als neue Volkspartei in Deutschland, der aufgeklärte Wahlbürger möge das tunlichst bitte verhindern. Tatsache ist, dass wir mit der Nationalstaaterei in Europa nicht mehr vorwärts kommen. 

Die Afd stellt den gemeinsamen monetären Markt in Frage, obwohl gerade wir Deutschen davon den größten Nutzen haben. Eine Rückkehr zur D-Mark wäre der absolute Gau, da diese gegenüber den anderen europäischen Währungen so stark wäre, dass durch den radikalen Einbruch der Exportwirtschaft eine Arbeitslosigkeit größten Ausmaßes sicher ist. Über die Gefahr von militärischen Auseinandersetzungen innerhalb Europas will ich angesichts der Ereignisse in der Ukraine erst gar nicht nachdenken. Um ein sicheres und wirtschaftlich starkes Europa zu schaffen, das sich in der globalisierten Welt der Machtblöcke und multi-nationalen Konzerne behaupten kann, ist ein gemeinsames Staatsgebilde unumgänglich. Dann können sich die global agierenden Unternehmen nicht mehr das Land aussuchen, wo sie kaum Steuern zahlen müssen, die Steuersätze sind dann angepasst. Und dies gilt für alle Bereiche des öffentlichen Lebens. 

Europa kann sich als Gesamtstaat besser gegen die Bespitzelung durch andere Mächte schützen, besonders was die Industriespionage anbetrifft. Die Liste der Vorteile ließe sich beliebig fortsetzen. Natürlich muss dafür Einsatz gebracht werden und in erster Linie von den Staaten, die am meisten profitieren und nicht, wie die AfD es vorschlägt, sich aus dem Staub zu machen, um nur die Vorteile zu kassieren. Das funktioniert langfristig nicht. Europa muss aber auf Dauer stark in seiner Gesamtheit sein, damit es nicht in der Bedeutungslosigkeit versinkt, oder wie es ein chinesischer Zukunftsforscher einmal formuliert hat, Europa hat dann nur noch die Funktion eines riesigen Disneyland, denn an Sehenswürdigkeiten mangelt es hier ja nicht.

 Peter J. König