Samstagskolumne Peter J. König 29.06.2013

Nicht alles ist sicher, was sicher zu sein scheint!

Vor wenigen Wochen, als der Bundestagswahlkampf noch aus vagen Ankündigungen bestand und fast unbemerkt vor sich hin plätscherte, wurde in dieser Samstagskolumne darauf hingewiesen, dass kaum nachdem die Frist der letzten hundert Tage angebrochen ist, die Wähler mit einem wahren Geschenkekatalog seitens der Parteien überschüttet werden. Und genau so ist es gekommen. Seit dieser Woche versuchen sich die Politiker aller Couleur bei dem Souverän, dem Wahlvolk mit Wohltaten in der nächsten Legislaturperiode einzuschmeicheln. Als würde die Frontfrau, die aktuelle Ikone der CDU, Frau Angela Merkel nicht genügen, um die Wahl am 22. September locker nach Hause zu bringen, hat es Versprechungen jedweder Art geregnet, die dann in das Wahlprogramm eingeflossen sind. Den Umfragen zufolge, scheint die Wahl ja schon gelaufen zu sein. 

Angela Merkel hat gegenüber ihrem Herausforderer Peer Steinbrück mittlerweile etwa einen Fünfzig-Punkte-Vorsprung auf der Beliebtheitsskala für das Amt des nächsten Bundeskanzlers. Das ist ähnlich, um bei einem aktuellen Beispiel zu bleiben, als würde bei der Zieleinfahrt auf einer Etappe der Tour de France auf den letzten tausend Meter von zwei Ausreißern, der erste einen Vorsprung von fünfhundert Meter herausgefahren haben. Alles scheint gelaufen. Und doch, damit kehren wir in die aktuelle Politik zurück, ist man sich auf Seiten der CDU nicht sicher und bemüht den politischen Gabenkorb, um reichlich den Wähler zu beschenken oder ihn vielleicht auch nur zu blenden. 

Diese These bedarf der Erörterung, nachdem daraufhin gewiesen worden ist, dass nicht alles sicher ist, was sicher scheint. Im Beispiel der beiden Toursprinter kann der führende stürzen, weil ein Zuschauer ihn behindert hat oder die Kette vom Blatt gesprungen ist. Schon ist der Sieg futsch. In der Politik ist zwar ein technischer Defekt ausgeschlossen, aber menschliche Indiskretion oder Diffamierung kann durchaus dazu führen, dass ein medialer Defekt für den vermeintlichen Sieger die Ausgangslage radikal einbremst, zumal gut zweieinhalb Monate in diesem Business eine lange Wegstrecke sind, vollgepflastert mit verdeckten Stolpersteinen. Deshalb vertraut man bei den Christdemokraten und den Christsozialen auf ein bewährtes Elixier, das schon bei vielen Wahlen geholfen hat: Wahlgeschenke und das nicht zu knapp. 

Alle Wählergruppen sollen in den Genuss kommen, von der Mütterrente über die Bildungspolitik natürlich, bis hin zum Mindestlohn. Insgesamt umfasst das Maßnahmenpaket die stolze Summe von 30 Milliarden Euro. Hier haben die Christlichen wahrlich nicht gekleckert, sondern geklotzt. Bei der Frage der Finanzierung aber wird es schon diffus. Lauthals wird verkündet, alles sei gründlich durchgerechnet worden. Bei näherem Hinschauen stellt man fest, dass die Eckdaten sich auf die außerordentliche Zufuhr von steuerlichen Einnahmen des Jahres 2013 beziehen. Ähnlich sprudelnde Quellen wie zuletzt sind eher unwahrscheinlich.

Diese Überlegungen wurden nicht berücksichtigt. Um aber allen Verpflichtungen aus dem Wahlprogramm die Brisanz zu nehmen, die Opposition könnte ja gebetsmühlenartig auf diese Punkte verweisen und, was noch viel mehr Unmut, sowohl in der Politik, als auch beim Wähler hervorrufen würde, die Segnungen müssten dann eventuell über eine erneute Schuldenaufnahme finanziert werden, hat man einen Finanzierungsvorbehalt gleich mit eingebaut. Dies bedeutet, dass die steuerlichen Vergünstigungen nur dann gewährt werden, wenn das Geld auch wirklich eingenommen worden ist. Aber wer weiß das schon im Voraus. Zur Wahl werden die Hilfen großartig angekündigt, um das entsprechende Klientel zu locken, hinterher wird leider nichts daraus, weil der böse Steuersäckel nicht prall genug gefüllt worden ist. Und dann noch die Schuldenbremse, absolut notwendig, weil wir ansonsten demnächst an den 2,2 Billionen ersticken werden. 

Weiterhin will Angela Merkel sich auch im Inland ein erweitertes Image als sehr umsichtige, sparsam schwäbische Hausfrau erwerben. Keine Steuererhöhungen bei gesteigerten Leistungen, so etwas honoriert der Wähler. Damit lässt sich Wahlkampf machen, wer denkt denn da schon an den Finanzierungsvorbehalt? Dagegen sehen die Sozies und die Grünen richtig alt aus. Die SPD hat nicht nur ein Problem mit ihrem Kanzlerkandidaten, sie können auch nicht versprechen, dass es keine Steuererhöhungen gibt. Dies wird aber nur am Rande vermittelt, denn das Hauptaugenmerk liegt im Zerpflücken der Wahlprogramme ihrer politischen Gegner CDU und F.D.P. Bei den Gelben gibt es nicht viel zu zerpflücken, das Übliche halt: Steuersenkungen, unternehmerische Freiheit, das Zurückdrängen staatlicher Aktivitäten, irgendwie. Attacken gegen den Spitzenkandidaten wurden eingestellt, nachdem Brüderle bei einer Wahlkampfveranstaltung von der Bühne gefallen war und sich Brüche zugezogen hatte. 

Westerwelle hat sein Profil als Außenminister geschärft, staatstragend sozusagen, da kommen Attacken des politischen Gegners bei der Bevölkerung nicht gut an. Traditionell haben die Politiker auf dem Posten des Ministers des Auswärtigen schon immer einen hohen Stellenwert bei den Menschen in Deutschland gehabt, weniger bei Journalisten, erst Recht, wenn er Westerwelle heißt. Die Grünen versuchen mit ihrem Programm neue Wählerschichten zu generieren. Die wohlhabende Mittelschicht ist in ihrem steten Bemühen, die SPD als zweitstärkste Kraft im Land abzulösen, von der Anzahl der Stimmen her nicht stark genug. Mit den angekündigten Steuererhöhungen für Besserverdiener glauben sie das Wählerinteresse auch der geringer Verdienenden zu ködern, zumal sie diesen nach ihrem Programm Steuererleichterungen versprechen. Hier geht jemand im Teich der Sozies fischen. Ob allerdings ihre angestammte Klientel damit einverstanden ist, bleibt schon aus zwei Gründen zweifelhaft. 

Zum einen fallen viele in die Gruppe der höheren Einkommenssteuer durch ihre Vermögensverhältnisse, zum anderen sind sie nur weitgehend an der ökologischen Weiterentwicklung unseres Staates interessiert, wie der letzte Parteitag eindeutig bewiesen hat. Mit allerlei Rechenkünsten versucht man jetzt die Aufgeschreckten zu beschwichtigen. Offiziell wird zwar noch die gemeinsame Koalitionsaussage mit der SPD bemüht, aber hier und da erscheinen die ersten öffentlichen Gedankenspiele mit der Möglichkeit einer schwarz-grünen Regierungsbildung, wie üblich zuerst bei Hinterbänklern der Partei zu Testzwecken. Wird die Schwäche der SPD weiter anhalten, werden die Stimmen immer lauter werden und gewichtiger. So mancher Grüne gefällt sich schon jetzt in der Rolle des Herausforderers. 

Sie sehen sich als die zukünftige Kraft, die mit der CDU um die Regierungsrolle in unserem Land streitet. Aber wie eingangs daraufhin gewiesen wurde, nicht alles ist sicher, was sicher scheint. Ein möglicher Fallstrick von beachtlichen Ausmaßen für die CDU könnte die Affäre um die Bespitzelung von Bundesbürger durch die NSA, die nationale Sicherheitsbehörde der USA sein. Angeblich werden jeden Monat eine halbe Billion Daten durch Anzapfen der Internetverbindungen von deutschen Usern illegal gesammelt, EU-Behörden verwanzt, Gipfeltreffen damit überwacht und und und. Das Bundesverfassungsgericht hat solche Aktionen in Deutschland eindeutig als verfassungswidrig erklärt. Alle führenden Politiker der Republik sind entrüstet über die Vorgehensweise der Amerikaner. 

Westerwelle hat den amerikanischen Botschafter einbestellt. Medienwirksam fordert er Aufklärung von höchster offizieller Stelle. Dabei ist aber die Frage nicht geklärt, wie weit Regierung und Opposition über diese Aktivitäten informiert waren und ob Merkel vielleicht grünes Licht dazu gegeben hat. Intern mag das kein Geheimnis sein, die Öffentlichkeit jedenfalls ist nicht darüber aufgeklärt worden, ansonsten wäre die Sache schon lange vor dem Verfassungsgericht gelandet. Wenn Merkel über den Datenklau Bescheid wusste, ihn sogar gebilligt hat, dann beginnt der Wahlkampf von vorne. 


Dann ist gar nicht mehr sicher, was sicher schien. Plötzlich würde Steinbrück eine neue Chance bekommen, denn was sind schon teure Vortragshonorare von kommunalen Versorgern, im Verhältnis zu dem Einverständnis der Regierung zur rechtwidrigen Überwachung durch eine ausländische Behörde? Alles ist momentan noch unaufgeklärt. Wir Bürger müssen darauf bestehen, umfassend informiert zu werden. Dies ist unser Recht und durch die bevorstehende Bundestagswahl haben wir durchaus eine Möglichkeit dazu. Wir haben das Recht zu wissen, ob der amerikanische Präsident wirklich unser Freund ist, denn ein Freund bespitzelt keinen anderen Freund, das war schon in der DDR widerlich.

Peter J. König