Samstagskolumne Peter J. König 03.05.2014

Die Ukraine-Krise vor der Entscheidung?

Während die Ukraine allmählich im Chaos versinkt, speziell im östlichen Teil und in der Perle des Schwarzen Meeres in Odessa die Brutalität und die Menschenverachtung auf die Spitze getrieben wurde, indem ultrarechte Hooligans, die erklärten, sie würden die Einheit der Ukraine verteidigen, während sie prorussische Demonstranten in ein Gewerkschaftsgebäude zusammen trieben, um es dann mit Molotowcocktails in Brand zu setzen, wobei etwa 40 Personen an Rauchvergiftungen ums Leben kamen, ergehen sich die Staatsführungen in Kiew und in Moskau in gegenseitigen Schuldzuweisungen. 

Täglich gibt es immer mehr Tote und nachdem die ukrainische Regierung jetzt auch den Einsatz der Armee im Osten befohlen hat, damit die abtrünnigen Städte und Provinzen wieder unter Kontrolle gebracht werden, ist die Lage aufs Äußerste gespannt. Jederzeit ist mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ost-Ukraine zu rechnen, da bedarf es nur eines kleinen Funkens in Form von getöteten russischen Staatsbürgern durch die ukrainische Armee oder schlimmer noch durch nationalistische Gruppen, die sich immer stärker in das Geschehen einmischen. Dann geht das Pulverfass in die Luft, der Krieg zwischen der Ukraine und Russland ist ausgebrochen. 

Zwar sind die gekidnappten OSZE-Beobachter erst einmal frei gekommen, aber darin ein Signal der Entspannung zu sehen, hieße die Lage gründlich zu verkennen. Diese Freilassung kann man auch gerade umgekehrt deuten. Russland ist nicht daran gelegen, dass den OSZE-Gesandten durch irgendeinen Zwischenfall etwas zustößt, gar dass sie getötet worden wären. Dies hätte ein Aufschrei in der ganzen Welt bedeutet, im Sicherheitsrat in New York wäre es zu massiven Anschuldigungen gegenüber Moskau gekommen und sie hätten den "Schwarzen Peter" auf ihrer Seite gehabt, an weitere subversive Aktionen wäre nicht mehr zu denken gewesen. Das Risiko, dass den OSZE-Beobachtern selbst ungewollt etwas zustoßen würde, war den Russen zu groß. Auf der anderen Seite bot sich hier aber eine gute Gelegenheit an, durch aktive Mithilfe bei der Befreiung sich ins rechte Licht zu rücken, um Deeskalationsbereitschaft zu demonstrieren, der Welt zu zeigen, wie bemüht Russland ist, den Konflikt zu bewältigen. 

Tatsächlich ist dies eine hilfreiche, mediale Geste um der Welt vorzuführen, dass von Moskau vermeintlich keinerlei Aggression ausgeht. Kein schlechter Schachzug der russischen Politik, die damit es bestens versteht von ihren eigentlichen Zielen abzulenken, ohne große Gegenleistungen dabei erbringen zu müssen. Die Reaktionen in den Medien zum Wochenende hin erinnern doch schon sehr an die Kriegshysterie, die vor hundert Jahren vor Beginn des Ersten Weltkrieges aufgekommen war. 

Wenn der Generalsekretär der NATO der Däne Rasmussen in einem sehr beachteten Interview erklärt, die Nato-Staaten müssten die Militärausgaben drastisch erhöhen, schließlich habe Russland die ihrigen zuletzt um 40% erhöht, während bei den meisten europäischen NATO-Mitgliedern die Ausgaben gesenkt worden seien, und damit sei die Bewältigung der Verteidigungsaufgaben gefährdet, dann stimmt das doch sehr nachdenklich. Dies klingt massiv nach Aufrüstung und ist immer die erste Stufe in Hinblick auf ein Kriegsszenario, auch wenn erklärt wird, dass aus der Position der Stärke sich besser verhandeln lässt.

Erfahrungsgemäß animiert ein solches Verhalten einen potentiellen Gegner ebenfalls noch stärker aufzurüsten, womit sich die Spirale der Kriegsgefahr automatisch signifikant erhöht. So etwas sollte tunlichst in der jetzigen Krise vermieden werden, deshalb war das Interview des NATO-Generalsekretärs alles andere als ein Beitrag zur Deeskalation und nicht besonders hilfreich die Russen zu überzeugen, sofort mit konstruktiven Bemühungen zu beginnen, um gemeinsam einen Bürgerkrieg in der Ost-Ukraine zu verhindern. 

Ob dies überhaupt gelingen wird, werden die nächsten Tage zeigen. Fakt ist, dass nicht mehr viel Zeit bleibt, eine Lösung am Verhandlungstisch für den Ukraine-Konflikt zu finden und wie man bei der jetzigen Situation Ende Mai eine Parlamentswahl in der gesamten Ukraine abhalten will, an der sich die Menschen in allen Teilen des Landes beteiligen sollen, um einen gemeinsamen Präsidenten und eine allseits akzeptierte Regierung zu wählen, bleibt mehr als rätselhaft. Trotzdem wäre es in der jetzigen Phase besonders wichtig, wenn solche Wahlen zustande kommen würden, damit in Kiew eine Führung sich legitimiert, gewählt durch die gesamte Ukraine, die dann als legitimer Verhandlungspartner von allen Seiten, auch von Russland akzeptiert würde. Erst dann ließe sich über die Zukunft der Ukraine wirklich verhandeln, über die innerstaatlichen Angelegenheiten, in welcher Form das Staatsgebilde Ukraine die unterschiedlichen Interessenlagen der jeweiligen Regionen ausgleicht, d.h. wieviel Selbstverwaltung den einzelnen Landesteilen zugebilligt wird. 

Nur so kann es zu einer Befriedung zwischen der Ost- und der West-Ukraine kommen und wenn dann noch die wirtschaftlichen Bedingungen sich für alle Ukrainer nach und nach verbessern, ist der Wunsch des Ostens sich mit Russland zu vereinigen,  sehr bald "Schnee von gestern". Klar muss dabei sein, dass dieser Entscheidungsprozess nur ein inner-ukrainischer sein kann, jegliche Einmischung von außen gefährdet das gesamte Projekt. Wenn es anschließend darum geht, welche Rolle die Ukraine international einnehmen möchte, dann sind wieder die großen Blöcke gefragt. Als Verbindungsglied zwischen Russland und den europäischen Staaten wäre das Land, ausgestattet mit demokratischen Strukturen und auf der Basis der Rechtsstaatlichkeit bestens geeignet, einen wertvollen Beitrag zum Frieden in Europa zu leisten. 

Auch wirtschaftlich würde sich dies für die Bürger der Ukraine auszahlen, was wiederum für den Zusammenhalt des Landes von Vorteil wäre. Theoretisch sind die hier angestellten Überlegungen nicht von der Hand zu weisen, so etwa könnte eine vernünftige Lösung aussehen. Dies würde voraussetzen, dass alle Konfliktparteien bereit wären, der Ukraine in seiner jetzigen Form noch eine Chance zu geben. Bekanntlich aber ist alle Theorie grau und guter Wille nicht überall vorhanden und schon gar nicht überall deckungsgleich. Deshalb bleibt allein die Hoffnung, dass sich doch noch die Vernunft durchsetzen und es so zu einer praktikablen Lösung des Konflikts kommen wird, in Form eines vernünftigen Ausgleichs zwischen den unterschiedlichen Ethnien, aber auch den verschiedenen Wirtschaftsstrukturen des Landes. 

Sollte dies allerdings nicht der Fall sein, und danach sieht es momentan leider aus, dann erwartet die Ukraine und ihre Menschen eine ganz schlimme Zeit und sollte Russland sich gar entscheiden in die Ukraine einzumarschieren, dann werden auch durch die darauf folgenden harten wirtschaftlichen Sanktionen und ihre Folgen besonders für die europäischen Staaten und ganz besonders für Deutschland deutlich spürbare Belastungen entstehen.

Peter J. König