Samstagskolumne Peter J. König, 11.2.2012

Demokratie in Russland, Wunsch oder Wirklichkeit?

Der russische Bär erwacht und beginnt sich zu schütteln, aber gelingt es ihm auch, sich von seinen Fesseln zu befreien?

Wie wir seit geraumer Zeit feststellen können, geschieht Bemerkenswertes in Russland, zumindest innenpolitisch. Putin, zur Zeit noch Ministerpräsident, allerdings auf dem Sprung erneut sich das Präsidentenamt einzuverleiben, glaubte sich noch vor wenigen Monaten problemlos und ohne Gegenwind auf dem Weg abermals die höchste Macht auch offiziell  wieder zu erreichen.


Bekanntlich hatte er ja nach  einer ersten Amtsperiode seinem damaligem Ministerpräsidenten Medwedew, um der russischen Verfassung Genüge zu tun, die Präsidentschaft nahegelegt, was dieser auch bereitwillig akzeptierte. Ziel dieses „Bäumchen- wechsel- dich-Spiels“ ist es, nach Medwedews Amtszeit erneut in die Rolle des starken Mannes zu gelangen, für alle sichtbar, besonders bei präsidialen Auftritten im Ausland. Hier, im Kreise der Führer anderer Großmächte, ist man unter seinesgleichen. Das Protokoll  sorgt nach außen für größtmögliche Aufmerksamkeit.


Die Fäden der Macht hat Putin ohnehin unangefochten in den Händen gehalten, aber protokollarisch war er halt doch nur die Nummer 2 in Russland und dies galt auch auf internationalem Parkett.  Einem Mann wie Putin kann auf Dauer so etwas nicht gefallen. Sowie die Verfassung einen erneuten Wechsel hergibt, sollen die wahren Machtverhältnisse wieder dokumentiert werden.


Alles schien sich problemlos zu fügen. Die eigens ins Leben gerufene Partei „Vereintes Russland“ stand loyal bei Fuß. Medwedew hatte keinerlei Einwände, da er die Macht während seiner Amtszeit nicht auf seine Seite bringen konnte. Die Mehrheit der Abgeordneten in der Duma, dem russischen Parlament, waren ohnehin Abgesandte von Putins  Gnaden. Was sollte noch schief gehen bei dieser Rochade?


Die Oligarchen, also die Gruppe derjenigen Akteure, die sich die russische Wirtschaft unter den Nagel gerissen hatte, als das Staatsmonopol sich aufzulösen begann, war mit unbeugsamer Härte ins Glied gezwungen worden. Wer nicht Putins Macht uneingeschränkt anerkannte, wurde enteignet und nach Sibirien verbannt, wenn es vorher nicht gelungen war mit entsprechendem Vermögen ins westliche Ausland zu fliehen, nach London oder gleich in die USA. Selbst dort konnten sie sich nicht sicher fühlen, denn der KGB war ständig hinter ihnen her. Da konnten auch die Milliarden von Dollars keinen absoluten Schutz bieten. Der eine oder andere dieser Raubritter hat es zu spüren bekommen und die jungen Witwen müssen sich heute mithilfe des Restvermögens trösten lassen.

Auch der aufstrebende Mittelstand war Putin wohlgesonnen, da sie ihre Aufträge sowohl von den reich gewordenen Politikern, die uneingeschränkte Eingriffe in das staatliche Wirtschaftsgefüge inne hatten, bekamen.

Ebenso wurden sie durch das weitverzweigte Netz der Großunternehmen der Oligarchen beauftragt.

Mit den Jahren hatte sich hier eine neue Schicht herausgebildet, die es in dieser Form einst in Russland nicht gab. Intelligente, gut ausgebildete, sprachgewandte junge Menschen, die oftmals an westlichen Universitäten oder in weltweit agierenden westlichen Großunternehmen ihr wirtschaftliches Rüstzeug erlernt haben, sind nach Russland zurückgekehrt, um hier für sich und ihr Land einen grundlegenden Wandel zu schaffen. Indem sie ihr Wissen in den Aufbau des russischen Mittelstandes implantieren, schaffen sie auch für sich  persönlich hervorragende wirtschaftliche Bedingungen.

Das Land ist riesig, die Ressourcen sind unerschöpflich und der Bedarf ist enorm. Dies sind alles blendende Voraussetzungen für frischen Unternehmergeist. Zunächst meinte es auch die russische Gesetzgebung mit ihnen gut, zumal man die ausländische Konkurrenz nur unter erschwerten Bedingungen bei diesem wirtschaftlichen Entwicklungsspiel mitmischen ließ. Es muss eine Art Goldgräberstimmung anfangs in diesem Riesenreich geherrscht haben, zumindest für diese Bevölkerungsgruppe.

Die einfachen Menschen, die es in Russland immer schwer hatten, die Bauern und Tagelöhner über Jahrhunderte immer nur Spielball der russischen Aristokratie, hatten nur die trostlose Aussicht entweder durch Hunger oder durch Krieg zu krepieren. Auch jetzt haben sie keine wirkliche Chance. Wurden sie noch während der kommunistischen Herrschaft von Staates wegen versorgt, was bedeutete uneingeschränkt zu akzeptieren, was man vorgesetzt bekam, so fehlt es heute bei dem größten Teil der Bevölkerung am Nötigsten, nicht weil in Russland Mangel herrscht, wie oftmals unter den Kommunisten. Nein, alles ist im Überfluss zu haben, den meisten Menschen jedoch fehlt das Geld, um es zu bezahlen.

Die Durchschnittsbevölkerung verarmt zusehends. Ihnen geht es wie eh und je schlecht. Dabei ist Moskau eine der teuersten Städte der Welt, überbordender Luxus für die „Upper-Class“, Hunger und Elend für den Rest.

Dies sieht auch die aufstrebende Mittelschicht. Überdies wird sie mittlerweile in ihren Aktivitäten wieder stärker seitens der Staatsmacht gegängelt. Willkür, Übergriffe und Enteignungen haben zugenommen, die politische Kaste ist auf Beutezug, der staatliche Machtapparat dehnt sich aus, zumal auch die Pressefreiheit wieder kassiert wird. Der Kreml alleine bestimmt, wo es lang geht. Der lange Arm Putins ist überall spürbar, da er vor der erneuten Wahl zum Präsidenten nichts dem Zufall überlassen möchte.

Der Mittelstand aber will sich nicht mehr bevormunden und einengen lassen.  Sie gehen auf die Straße, trotz eisiger Kälte. Sie zeigen ihre Ablehnung gegenüber Putin, indem sie weiße Bänder und weiße Luftballons an ihre Autos befestigen oder sich mit diesen Utensilien an den Rand der großen Boulevards stellen, um so ihre Ablehnung kund zu tun. Sie wollen keinen Präsidenten Putin, sie wollen freie Wahlen mit zugelassenen Oppositionsparteien, sie wollen, dass Russland ein liberales Land wird  und nicht erneut in einen irgendwie gearteten Stalinismus zurückfällt. 

Putin demonstriert Gelassenheit. Er mobilisiert seine  Anhängerschar und gibt den engagierten Politiker, der dafür sorgen wird, dass Russland ein blühendes Land wird, ein Land in dem es allen Leuten gutgeht. Dazu bedient er sich eines klugen Schachzuges, wenn er die Oligarchen auffordert, von ihren enormen, ergaunerten Vermögen einen Teil für die leidende Bevölkerung abzugeben, um im Gegenzug ihre aus Staatseigentum erlangten Unternehmen juristisch unantastbar ihnen zuzuschreiben. So will er alle Bevölkerungskreise für sich gewinnen, um als strahlender Präsident demokratisch legitimiert zu sein, wie es  sich für einen lupenreinen Demokraten gehört.

Putin wird die Wahl gewinnen. Daran zweifelt niemand  in Russland und am wenigsten die Opposition oder gar die radikale Demokratiebewegung und doch hat sich schon einiges geändert. Brachial geknüppelt wird zwar immer noch, wenn etwas der Staatsmacht nicht in den Kram passt, aber die Menschen haben begonnen,  nicht alles hinzunehmen. Sie wollen die Veränderung. Sie wollen mehr Demokratie und vor allem wollen sie Rechtsstaatlichkeit. Mit fortschreitender wirtschaftlicher Stärkung des Landes wird dies nicht mehr aufzuhalten sein. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg und erst wenn Russland die Ära Putin abgeschüttelt  und den Weg der Rechtstaatlichkeit unumstößlich aufgenommen hat, erst dann ist der russische Bär von seinen Fesseln befreit und kann uneingeschränkt dieses riesige wunderschöne Land mit seinen liebenswerten Menschen zu einer nie gekannten Blüte bringen, zum Wohle des russischen Volkes, zum Wohle Europas und zum Wohle der gesamten Menschheit, denn dieses Land wird immer ein bedeutender Machtfaktor bleiben, besonders in unserer globalisierten Welt. Dann wird es den Russen auch leichter fallen, die Menschenrechte in Syrien in den Vordergrund zu stellen und nicht in ihren strategischen Denkmodellen zu verharren.

Obschon ich eigentlich nicht mehr über die armseligen Vorgänge um Bundespräsident Wulff sprechen wollte, fühle ich mich angesichts der neuesten Entwicklung doch herausgefordert, einen lauten Appell in Richtung Berlin zu senden: Herr Bundespräsident, bitte verarschen Sie nicht fortlaufend  die deutsche Bevölkerung, indem Sie abstruse Bargeldgeschichten und sonstige Erklärungen an die Presse geben, zumal sie im öffentlich Rechtlichen fest zugesagt haben, keine Salami-Taktik mehr zu fahren, da ja nichts Anstößiges geschweige Unrechtes mehr im Raum steht. Zeigen Sie einen letzten Anflug von Anstand und Größe und geben Sie das Amt dem deutschen Volk zurück. Die 200 000.- Euro Apanage jährlich bleiben Ihnen ja sowieso ein Leben lang. Dieses ist dann tatsächlich das größte Schnäppchen Ihrer Karriere.
Peter J. König


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