Samstagskolumne Peter J. König 17.11.2012

Seit zwei Tagen eskaliert die Situation in Palästina. Keiner kann zum jetzigen Zeitpunkt sagen, wohin sich die Entwicklung bewegt, womit die Welt, besonders aber der Vordere Orient, also die Staaten in Nahost rechnen müssen. Ein Krieg ist in unmittelbarer Nähe, Kriegshandlungen finden ja schon zwischen Israelis und Palästinensern statt. Handelte es sich bisher eher um einzelne Scharmützel, so haben wir es jetzt mit strategischen Aktionen auf beiden Seiten zu tun. Nach der Tötungsaktion des militärischen Führers der palästinensischen Terrorgruppe im Gaza-Streifen durch die israelische Luftwaffe, Mitte der Woche, kam es zu massiven Vergeltungsschlägen in Form von Hunderten von Raketenangriffen auf das israelische Kernland, nicht ausgenommen die Städte Jerusalem und Tel Aviv mit der größten Bevölkerungsdichte in Israel. 

Seit dem Krieg Anfang der 1990iger Jahre hatte es keinen Luftschutzalarm in der Metropole Tel Aviv mehr gegeben, am Donnerstag war es wieder soweit. Zwar wurde die Stadt nicht getroffen, so wie andere Ziele in Israel, mit beklagenswerten Toten in der Folge, aber für die quirlige Stadt am Meer handelte es sich eher um einen Glücksfall, denn angeblich soll eine Rakete über das Ziel hinaus, ins Mittelmeer gestürzt sein. Ein Treffer im Zentrum hätte furchtbare Folgen nach sich gezogen. Ganz Israel wurde in höchste Alarmbereitschaft versetzt, dazu gehört auch die Verlegung von massiven Panzereinheiten an die Grenze zu Gaza, die Mobilmachung von 30.000 Reservisten und der Einsatz von effizienteren Flugabwehrraketen, die die palästinensischen Flugmarschkörper vom Himmel holen sollen, bevor sie auf israelischem Gebiet einschlagen. 

Wer die Landkarte dieses Gebietes kennt, weiß, dass dazu nur sehr wenig Zeit bleibt, militärstrategisch schon immer das größte Problem von Israel, denn es gibt keine Pufferzonen, in denen Verteidigungslinien aufgebaut werden könnten. Deshalb wurden auch nie die Golanhöhen an der nördlichen Grenze nach der Eroberung im Syrisch-Israelischen Krieg an Syrien zurückgegeben, denn einen besseren topographischen Punkt als diese Anhöhen gibt es nicht, um tief in die angrenzenden Länder hinein zu schauen, jeder Bodenangriff wäre schon mit einem simplen Scherenfernrohr auszumachen. Die Radar- und Horchüberwachung ist von dieser Stelle aus optimal. 

Und doch ist sie tief verwurzelt im israelischen Volk, die Angst, sie könnten jederzeit von ihren Nachbarn überrannt und besiegt werden, sodass die Drohung wahr wird, ins Meer getrieben zu werden. 

Deshalb hat Israel immer alle Anstrengungen unternommen, um verteidigungsfähig zu sein. Dies gilt sowohl auf politischer Seite, als auch auf der militärischen. Dazu möchte ich nur zwei Beispiele nennen, die aber eng miteinander verknüpft sind, nämlich der israelische Geheimdienst Mossad, überall in der Welt als besonders effizient bekannt und das geheime Nuklearprogramm der Militärs, das offiziell nicht existiert, denn angeblich besitzt Israel keine Atomwaffen, aber allein die Spekulation darüber hat ausgereicht, so manche Angriffslust einiger selbsternannter Eroberer in der Theorie verharren zu lassen. 

Über viele Jahrzehnte ist es nicht gelungen, die Palästinafrage zu lösen. Aber was ist der Auslöser zu diesem, an Konflikten so reichen Szenarios? Diese Frage gilt es zu beantworten, denn ansonsten wird man keiner Seite in diesem Jahrhundertkonflikt gerecht. Sowohl Juden als auch Palästinenser haben aus der Geschichte ein nachvollziehbares Anrecht auf ihre Existenz in Palästina. Beide Volksstämme lebten über Jahrtausende in Koexistenz in diesem Gebiet, mal mehr und mal weniger friedlich, mal mehr und mal weniger dominant der eine und der andere. Noch zu Zeiten des Völkerbundes, also vor der Gründung der Vereinten Nationen 1948/49 in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts entschied man sich in der damaligen Völkergemeinschaft, um der weltweiten Verfolgung der Juden über Jahrhunderte endlich ein Ende zu bereiten, einen jüdischen Staat zu gründen, in dem alle „Heimkehrer“ sicher sind. 

Überlegungen gab es viele, wo dies sein könnte, unter anderem auch auf fernöstlichen Archipelen. Die Juden selbst kannten nur ein Ziel, nämlich zurück an die Stelle ihrer Urväter, zurück nach Jerusalem, zurück zum Tempelberg. Dieses Gebiet war aber in den letzten Jahrhunderten von arabischen Stämmen vereinnahmt worden, ihre heiligen Stätten ebenso in Jerusalem gelegen, zeugen davon. Zum Anfang des zwanzigsten Jahrhundert hatten aber beide Völker dort keine hoheitlichen Rechte, denn Palästina war britisches Protektorat. Unter dieser Schutzmacht siedelten immer mehr Juden aus aller Herren Länder in dieses Gebiet um, sodass es, mit Billigung der Weltgemeinschaft zur Gründung des Staates Israel kam, weltweit anerkannt und massiv unterstützt von allen Juden weltweit, besonders aus den USA, wohin viele von ihnen aus Nazi-Deutschland und den osteuropäischen Staaten geflohen waren. 

Ohne diese Unterstützung hätte der junge Staat Israel keine sechs Monate überlebt und auch heute sind die Israelis mehr denn je auf die Macht der Vereinigten Staaten angewiesen. Wie stark Israel jeweils ist, zeigt sich auch immer, wie weit die Amerikaner bereit sind, die Aktivitäten der israelischen Regierung mit zu tragen. Zuletzt hat es gewisse Spannungen gegeben, zwischen Obama und Netanjahu, einen israelischen Angriff auf den Iran wollte der amerikanische Präsident nicht mittragen, jedenfalls jetzt noch nicht. Wie es im Frühjahr 2013 aussehen wird, wenn der Iran sein Atomprogramm in die Reichweite der Umsetzung gebracht haben wird, steht auf einem anderen Blatt. Wie wir feststellen müssen, ist  Nahost ein einziges Pulverfass. 

Dazu trägt natürlich auch noch der Bürgerkrieg in Syrien bei, der seine eigene Problematik birgt. Um ein objektives Bild zu zeichnen, wenn das überhaupt möglich ist, muss auch unbedingt die Situation des palästinensischen Volkes zur Sprache kommen. Nach der Staatsgründung Israels, natürlich gegen den Willen der palästinensischen Volksgruppe und hoffnungslos unterlegen im damaligen Machtpoker mangels potenter Fürsprecher, ist es in den zurückliegenden Jahrzehnten immer wieder zu Kriegen von außen und Aufständen und Terroraktionen von innen gekommen. Israel hat darauf mit einschneidenden Repressalien reagiert, die kriegerischen Auseinandersetzungen konnten sie erfolgreich bestehen, mit Hilfe massiver logistischer Unterstützung der westlichen Staaten, allen voran die USA, aber auch die BRD hat sich daran beteiligt, im Zuge der Sicherheitsgarantien für den Staat Israel, die Konrad Adenauer einst schon ausdrücklich abgegeben hat, in Hinblick auf unsere verbrecherische Vergangenheit den jüdischen Menschen gegenüber. 

Der Staat Israel hat alle Krisen überstanden, für das palästinensische Volk allerdings ist es eine nicht enden wollende Leidensgeschichte. Davon zeugen die verelendeten Flüchtlingslager in Jordanien, Syrien und Ägypten, immer wieder die Brutstätten von Terroraktionen weltweit, ich erinnere nur an das Drama der LH-Landshut in Mogadischu. 

Mit der Einrichtung des Gaza-Streifens glaubte die hohe Politik mit den Abkommen von Camp David Palästina befrieden zu können. Dies ist aber niemals gelungen, da speziell Syrien alle Vereinbarungen boykottierte und die palästinensischen Untergrundbewegungen, sowohl pekuniär als auch waffentechnisch massiv versorgt hat. Neben den Gebietsverlusten sind es in erster Linie die verheerenden wirtschaftlichen Bedingungen unter denen die palästinensische Bevölkerung zu leiden hat. Die Arbeitslosigkeit im Gaza-Streifen ist extrem, es gibt kaum  vernünftige Jobs vor Ort. Also bleibt allein die Möglichkeit in Israel etwas zu finden. Dies ist aber nur mit massiven Überprüfungen möglich, wenn überhaupt, da übergroße Skepsis seitens der israelischen Behörden besteht und das zu Recht, da immer wieder Selbstmordkommandos die Sicherheit der Menschen im Land erschüttert. Dann gibt es überhaupt keine Möglichkeit den Gaza-Streifen zu verlassen, da Israel alles abgeriegelt hat, selbst die Meerseite.

-------- Gerade während ich diese Zeilen schreibe, meldet mir mein Rechner, dass erneut eine Rakete ---------der Hamas auf Tel Aviv abgefeuert wurde, hoffentlich geht das gut! -----------

 Folge dieser Einschnürung ist totaler Versorgungsmangel, was natürlich die Lösung dieser dramatischen Lage mit friedlichen Mittel zusätzlich erschwert. Dies in etwa sind die Gründe, warum die Situation an diesem gefährlichen Punkt angekommen ist. Stündlich ist mit dem Einmarsch israelischer Truppen im Gaza zu rechnen. Die Bilanz bisher lautete; 40 Tote auf beiden Seiten und 350 Verletzte, zum Teil sehr schwer. Bei dem letzten Einmarsch der Israelis mussten etwa tausend Menschen ihr Leben lassen, fast nur Palästinenser. Zudem war das politische Umfeld in einigen arabischen Staaten noch völlig anders, der Einfluss der Moslembruderschaften auf die Politik bestand nicht. Dies hat sich jetzt geändert und mit Ägypten steht eine starke Militärmacht unter ihrem Kommando. Ob sie den Einmarsch in Gaza oder auch nur die massiven Vergeltungsschläge der israelischen Luftwaffe so einfach hinnehmen werden, bleibt noch abzuwarten. 

Die Lunte ist jedenfalls gelegt und entzündet, es wird höchste Zeit, dass seitens des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen erfolgreich gelöscht wird. Dazu gehört aber auch endlich eine Friedenslösung, die von allen Seiten akzeptiert wird, damit die Völker vor Ort friedlich miteinander leben können und nicht mehr damit rechnen müssen, als Staat vernichtet, wie bei den Israelis der Fall oder als Volk zu verelenden und zu verhungern, wie bei den Palästinensern. Dazu möchte ich noch kurz eine Studie erwähnen, die kürzlich erstellt, dargelegt hat, dass nach einer Befriedung der Region, dort die größten Wachstumschancen überhaupt möglich sind, aber ohne eine langfristige Friedenslösung immer ein riskantes Bedrohungspotential mit durchaus atomarem Ausgang bleiben wird. 

Dies darf nicht die Zukunft sein. 

Peter J. König

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