Samstagskolumne Peter J. König 02.02.2013

Aus dringlichem Anlass ist es geboten, sich mit den Krisenherden im Nahen Osten und im nördlichen Afrika zu befassen. Vom Iran über Syrien, dem Libanon nach Ägypten zu den Ländern des nördlichen Afrikas, wie Tunesien und Libyen, die zwar ihre Diktatoren losgeworden sind, aber es bisher nicht geschafft haben, eine tragfähige Demokratie oder etwas Ähnliches im Ansatz zu schaffen. Schlusslicht in dieser Aufzählung bildet der Wüstenstaat Mali, am westlichen Rand der Sahara, mit der sagenumwobenen Stadt Timbuktu, Ausgangspunkt der großen Karawanentrecks, mit denen der Stamm der Tuareg den Transport von allen möglichen Handelsgütern auf dem Rücken von Kamelen jahrhundertelang durch die Sahara organisiert hat.

Hier war es islamistischen Kampfgruppen, die aus anderen afrikanischen Ländern und auch aus Afghanistan kamen, mit Hilfe von Al- Kaida gelungen, mehr als die Hälfte des Staates Mali in ihre Gewalt zu bringen, auch die an so reichen Kulturschätzen ausgestattete Stadt Timbuktu, immerhin ein von der UNESCO anerkanntes Weltkulturerbe. Mit den Moscheen und der einzigartigen Bibliothek dieser Stadt haben diese Steinzeitterroristen kurzen Prozess gemacht. Alles wurde zerstört, unwiederbringliche Kulturschätze wurden für immer vernichtet. Schon in Afghanistan hat man auf die gleiche Weise versucht, den Menschen ihr kulturelles Erbe zu entreißen, um sie auf einen fanatischen Islamismus einzuschwören. Die Mittel, die dazu eingesetzt wurden, erinnern an die schlimmste Zeit der Sklavenherrschaft. Unterdrückung, körperliche Züchtigung bis hin zu Folter und Steinigung bei Todesfolge waren die gängigen Mittel, um die Bevölkerung gefügig zu machen, sowohl in Afghanistan, wie jetzt auch in Mali. 

Die beherzte Entscheidung des französischen Präsidenten Hollande, der Regierung in Mali, die nicht mehr in der Lage war den Vormarsch dieser Terroristen zu stoppen, mit französischen Truppen zur Hilfe zu kommen, um die nordöstlichen Landesteile zu befreien, um die Souveränität des Landes wieder herzustellen, war ein Akt, der keinen Aufschub mehr duldete. Wenige Wochen später wäre Mali in die Hände der Besatzer gefallen, Al-Kaida hätte eine neue Basisregion erobert, das Land hätte afghanische Verhältnisse erlebt, bis hin zu einem totalen staatlichen Zerfall. Für Europa hätte dies unübersehbare Folgen gehabt, terroristische Ausbildungslager nur wenige Stunden von der Südflanke des Kontinents, Gefährdung der afrikanischen Nachbarstaaten, deren staatliche Existenz auch nicht auf besonders gefestigten Sockel steht.

 Zwar konnten die Franzosen die besetzten Provinzen zügig befreien, doch das Bild ist trügerisch. Mitnichten sind diese islamistischen Kampftruppen besiegt worden, sie haben sich in die Weiten der Wüste zurückgezogen, ähnlich wie in Afghanistan und es ist zu befürchten, dass sie jetzt mit ähnlichen Guerillataktiken versuchen, das Land weiterhin zu destabilisieren. Bombenterror und Überfälle aus dem Hinterhalt, Selbstmordattentate und Sprengfallen sind die einschlägigen Mittel, gegen die man schwerlich etwas unternehmen kann, wie die Bundeswehr am Hindukusch schmerzlich erfahren musste. Bleibt festzuhalten, die Bilder der Befreiung eignen sich hervorragend für Hollandes PR, sein Mut zum Eingreifen zeigt Führungsstärke, doch dieser Krisenherd ist noch lange nicht überwunden.

Auf dem Weg nach Syrien, dem wohl momentan gefährlichsten und problematischsten Fall der internationalen Krisenbewältigung muss neben Tunesien und Libyen, beides Länder in denen die Arabellion quasi zum Stillstand gekommen ist, Ägypten näher betrachtet werden. Kenner der politischen Verhältnisse des Landes stellen fest, dass Ägypten sich in einem Zustand befindet, der bei weitem schlimmer ist, als zu Mubaraks Zeiten. Die Moslembrüder versuchen mit aller Macht einen autoritären Staat zu erzwingen, da sie jetzt nach den laufenden Unruhen in den großen Städten, wie Kairo, Alexandria und Port Said mit Hilfe weitreichenderer Befugnisse des Militärs die Demonstranten einzuschüchtern und zu unterdrücken versuchen. Es sind schon lange nicht mehr nur die jungen, gut ausgebildeten Bevölkerungsschichten, die gegen die Herrschaft der Moslembrüder aufbegehren. Zwar hat Mursi, der Präsident in der letzten Woche in Berlin erklärt, Ägypten befinde sich auf dem Weg eine stabile Demokratie zu werden, doch jeder objektive Bericht aus seinem Land straft ihn Lügen. 

Die Frauen fühlen sich um die Revolution betrogen, ihre Rechte werden weit mehr beschnitten, als unter Mubarak. Hinzu kommt, dass die wirtschaftliche Lage katastrophale Züge angenommen hat. Dies trifft besonders die kleinen Leute, Handwerker und die vielen Angestellten, die einst ihr Brot im Tourismus verdient haben. Seit der Revolution liegt die einst finanzkräftigste Branche des Landes am Boden, ohne Aussicht auf baldige Verbesserung. Dies war unter der Diktatur Mubaraks ganz anders. Der Tourismus boomte, entsprechend waren Arbeitskräfte gesucht. Die Händler konnten gute Geschäfte betreiben, da war die Politik der Militärs sekundär. Jetzt hat sich die Situation völlig geändert. Die einfachen Menschen sind arbeitslos, es treibt sie auf die Straße, um für bessere Bedingungen zu kämpfen. Zudem haben sie den Moslembrüdern vertraut und sie bei den ersten freien Wahlen nach der Revolution gewählt und in die Regierung gehoben. Als gläubige Moslem war für sie klar, diese Glaubensbrüder würden ihnen zu besseren Bedingungen verhelfen. Jetzt der Absturz ohne Aussicht auf Besserung, da entwickelt sich aggressives Potential, das sich auf der Straße entlädt.

Die geistigen Eliten fühlen sich ebenfalls um ihre Revolution betrogen, sie haben auf einen demokratischen Wandel gesetzt und nun sollen sie sich der Scharia, dem islamischen Gesetz unterwerfen. Dies werden sie nicht hinnehmen, eher sind sie bereit eine weitere Revolution zu unternehmen, diesmal gegen die Herrschaft der Moslembrüder, viele Menschen aus dem einfachen Volk werden ihnen folgen. Für Ägypten könnte dies zu einer Zerreißprobe bis hin zu einem Bürgerkrieg werden. Am Ende würde das Militär die Macht übernehmen, das Land wäre nach zwei Revolutionen wieder dort, wo es jahrzehntelang schon einmal war, nur unter weitaus schlechteren wirtschaftlichen Bedingungen. Auf der Sicherheitskonferenz in der vergangenen Woche in München, die bedeutendste Veranstaltung ihrer Art weltweit, denn hier trifft sich alles, was irgendwie mit Krisenbewältigung oder aber nur mit diplomatischen Auftritten zu tun hat, stand als wichtigster Punkt der Konflikt in Syrien auf der Agenda. 

Nach über sechzigtausend Toten, einem sich ausweitenden Bürgerkrieg, der mit den brutalsten Mitteln geführt wird, bei dem jetzt auch noch Arsenale mit chemischen Waffen eine Rolle spielen, stehen die Großmächte, aber auch die Staaten der Region scheinbar vor einem unlösbaren Problem, besser gesagt vor vielen unlösbaren Problemen. Doch die vielleicht beste Nachricht zuerst: In München hat es zum ersten Mal ein direktes Gespräch zwischen der syrischen Opposition und dem russischen Außenminister gegeben. Man hat sich verständigt, dass weiter Gespräche folgen sollen. Russland, der mächtige Verbündete von Assad, der sein Überleben bisher garantiert hat, war zu solchen Gesprächen in der Vergangenheit nicht bereit. Ob dies jedoch ein Strategiewechsel der russischen Politik zur Folge haben wird, ist doch mehr als zweifelhaft, zu sehr sind geostrategische Ziele mit im Spiel, die russische Marine betreibt einen großen Stützpunkt in Syrien. Sowohl Iran als auch Saudi-Arabien versuchen eine Vormachtstellung in der Region zu erreichen, beides Staaten die militärisch permanent aufrüsten. Beide Staaten sind nicht unbedingt von Demokratie geprägt. Iran hat großes Interesse das saudische Königshaus vom Thron zu fegen, sie unterstützen massiv jegliche Organisationen, die aus Saudi-Arabien einen Gottesstaat machen wollen, bis hin zu Al-Kaida. Deren Kämpfer sind schon lange in Syrien eingesickert, sie bilden eine eigene Bürgerkriegsfront, mit dem Ziel nach Assad das Land auf ihre Weise zu destabilisieren.

Zu allem Überfluss kommen jetzt auch noch die chemischen Waffen ins Spiel. Israel hat in der vergangenen Woche mehrere Angriffe auf Ziele in Syrien geflogen. Ziel war es unmissverständlich zu zeigen, dass mit den chemischen Massenvernichtungswaffen eine rote Linie überschritten ist. Israel befürchtet, diese Chemiewaffen könnten in die Hände der Hisbollah gelangen, der Terrororganisation im Gazastreifen und im Libanon, ein unkalkulierbares Risiko für den Staat Israel. Die Juden werden diese Bedrohung genau so wenig hinnehmen, wie die Fertigstellung der Atombombe im Iran in wenigen Monaten. Zwar hat der russische Außenminister in München erklärt, man habe gesicherte Erkenntnisse, die C-Waffen seien unter Kontrolle von syrischen Spezialeinheiten und ein Einsatz käme nicht in Frage, doch wer will sich darauf verlassen, bei dem fortlaufenden Verfall des Landes. Sollten Terrorgruppen in den Besitz solcher Massenvernichtungswaffen kommen, wäre eine weltweite Bedrohung die Folge. Kein Staat auf der Welt könnte sicher sein, nicht in das Visier von Terroristen zu geraten, die diese Waffen auch zur Anwendung bringen. 

Schon seit Jahren wird mit diesem worth-case Scenario planspieltechnisch umgegangen. Nun gilt es für die Vereinigten Staaten und Russland eine Möglichkeit zu finden diese Massenvernichtungswaffen aus Syrien fortzuschaffen, denn auch sie würden im Falle, dass diese chemischen Waffen Terroristen in die Hände fallen ganz oben auf der Liste der bedrohten Länder stehen. Wie man den Aussagen der verschiedenen Konferenzteilnehmer entnehmen konnte, herrscht bei allen Beteiligten große Sorge und eine gewisse Ratlosigkeit. Alle wissen, die Uhr tickt, das Risiko wird von Tag zu Tag größer. Die Amerikaner würden Assad lieber heute als morgen loswerden, die Russen glauben, dadurch würde ein unkalkulierbares Machtvakuum entstehen, die syrische Armee würde bisher den Zerfall des Staates verhindern, denn der Vielvölkerstaat würde sofort sich in seine Einzelteile auflösen. Alle liegen auf der Lauer und sind bereit für ihre Interessen militärisch einzugreifen. Dies macht den Konflikt so gefährlich. Das Allerletzte was sich der Nahe Osten leisten kann ist eine kriegerische Auseinandersetzung, zumal ein Flächenbrand die Folge sein würde und seine Ausdehnung von keiner Macht der Erde mit Garantie verhindert werden könnte. 

 Peter J. König

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