Samstagskolumne Peter J. König 05.04.2014

Hat die Ukraine die Chance als Staat in der bestehenden Form weiter zu existieren oder wird es zu einem Zerfall kommen?

Da mittlerweile mehrere Wochen in der Krise um die Ukraine ins Land gegangen sind, wird es Zeit, sowohl eine Bestandsaufnahme durchzuführen, als auch eine Prognose zu wagen. In welch atemberaubenden Tempo Russland die Krim annektiert hat, mit welchen Mitteln Putin dabei vorgegangen ist, ohne Rücksicht auf völkerrechtliche Verbindlichkeiten, hat den erfahrenen Beobachter mehr als verblüfft. Genau so erschreckend war die Hilflosigkeit der Ukraine selbst, aber auch die Unfähigkeit der Europäischen Länder geschlossen, mit einer Erfolg versprechenden Strategie darauf zu antworten. Grundsätzlich sind folgende Anmerkungen zu der Krim zu machen: Ursprünglich wohl russisches Kernland, nachdem Katharina die Große, dieses Tartaren Gebiet dem großrussischen Reich durch Eroberung angegliedert hat, wurde von Nikita Chrustschow, dem damaligen Kreml-Führer die Krim im Zuge eines großzügigen Akts der Sowjet-Republik Ukraine Anfang der 1950iger Jahre zugewiesen. 

Völkerrechtlich dürfte dies kein Problem gewesen sein, denn diese Angliederung fand auf dem Territorium der damaligen Sowjet-Union statt. Erst mit dem Zerfall dieses Machtblockes und der Tatsache, dass danach unabhängige Staaten aus den ehemaligen Sowjet-Republiken entstanden sind, mit all den hoheitsrechtlichen Voraussetzungen, die einem souveränen Staat eigen sind, ist für die Ukraine relevant. Mit der Unabhängigkeit der Ukraine, der Anerkennung durch Russland, auch was das Staatsgebiet anbetrifft, einschließlich der Krim, ist das territoriale Gebiet völkerrechtlich klar definiert und ist damit Teil der Ukraine. Dies wurde auch dadurch bestätigt, dass die Basen der russischen Schwarzmeerflotte durch einen regulären Pachtvertrag mit dem ukrainischen Staat auf 25 Jahre vereinbart worden ist. 

Was jetzt in den letzten Wochen auf der Krim sich abgespielt hat, fällt eindeutig in die Kategorie Völkerrechtsverletzung. Nicht nur das Einmarschieren bewaffneter Truppen, deren Zugehörigkeit offiziell nicht erkennbar war, da sie keine Hoheitszeichen trugen, ist dennoch eine Grenzverletzung, da sie von Russland auf die Krim geschickt worden sind. Rechtlich wäre es legitim gewesen, wenn die ukrainischen Polizeikräfte auf der Krim diese Okkupanten mit Mitteln der Gewalt dingfest gemacht hätten, schließlich haben sie nicht nur die öffentliche Ordnung und Sicherheit verletzt, sondern auch die gewählten Abgeordneten des Regionalparlaments bedroht, sodass diese Reißaus genommen haben. Das Eingreifen der Polizei wäre rechtsstaatlich opportun gewesen, faktisch aber nicht durchführbar, da sie den Panzern und der Truppenstärke hoffnungslos unterlegen waren. 

Selbst wenn ukrainisches Militär aufgefahren wäre, hätte das Kräfteverhältnis für die Ukraine außerordentlich schlecht ausgesehen. Dies hatten die russischen Militärs genau auskalkuliert, denn chancenlos gegen sie eine militärische Gegenaktion zu starten, dies trauten sie den ukrainischen Generälen auf der Krim in keinem Fall zu, wo man auch noch gemeinsam die sowjetische Generalstabsschule absolvierte. Folglich hatten die russischen Besatzer nichts zu fürchten, denn ein Krieg zwischen der Ukraine und Russland wäre der größte anzunehmende Gau gewesen, der Osteuropa hätte passieren können. 

In der Folge wurde binnen einer Woche ein Referendum über den Verbleib der Krim bei der Ukraine oder dem Anschluss an Russland organisiert. Internationale Wahlbeobachter waren bei diesem Urnengang nicht zugelassen. Zudem hat die russisch-stämmige Bevölkerung massiv auf Menschen vor Ort Druck gemacht, mit groß angelegten prorussischen Demonstrationen sollten die Befürworter für den Verbleib bei der Ukraine eingeschüchtert werden. Am Wahltag selbst soll es auch zu Unregelmäßigkeiten bei der Wahl gekommen sein, vor den Wahllokalen der Krimtataren, traditionell mit Kiew verbunden, kam es vermeintlich zu massiven Behinderungen. 

Entsprechend fiel das Ergebnis aus, denn mit angeblich überwältigender Mehrheit sollen sich die Wähler für den Anschluss an Russland entschieden haben. Ist diese Wahl nun völkerrechtlich verbindlich oder nur ein erneuter Versuch von Manipulation, wie man sie aus den Tagen der alten Sowjet-Union regelmäßig vorgeführt bekam? Tatsächlich hatte dieser Urnengang nichts mit einer freien Wahl zu tun, wie sie das internationale Völkerrecht vorschreibt. Nachdem das gewählte Regionalparlament unter dem massiven Militärdruck das Weite gesucht hatte, wurde es von selbsternannten politischen Führern als aufgelöst erklärt. Natürlich handelte es sich bei diesen neuen Machthabern um Vasallen von Putins Gnaden, die sich der russischen Militärhilfe sicher sein konnten. 

Die Personen selbst sind von obskurer Herkunft, politisch waren sie zuvor nie in Erscheinung getreten. Sie waren es auch, die Putin baten in die russische Föderation aufgenommen zu werden, um so die russischen Bewohner auf der Krim zu schützen, vor den vermeintlichen Übergriffen der rechtsradikalen Schlägerbanden aus Kiew. Putin entsprach diesem Wunsch auch prompt, verlangte aber dieses ominöse Referendum, um der Welt vorzugaukeln, dass der Anschluss der Krim völkerrechtlich einwandfrei vonstattengegangen ist. Weder die Wahlen waren korrekt, noch hat es überhaupt eine völkerrechtliche Legitimation dazu gegeben. So schnell wie die Besetzung der Krim durchgeführt wurde, ist dann auch die Annexion zustande gekommen. 

Beide Kammern der Duma, dem russischen Parlament haben wenige Tage nach der Scheinwahl und dem Anschlussersuchen mit nur einer Gegenstimme diesen Antrag gebilligt und schon war die Krim wieder russisch. Die Bewohner erhielten russische Pässe, der Rubel wurde zum offiziellen Zahlungsmittel erklärt, Putin hat die Renten verdoppelt und dem ukrainischen Militär klar gemacht, entweder die russische Uniform anzuziehen oder die Krim in wenigen Tagen zu verlassen, wenn sie nicht eingesperrt werden wollten. So sieht eine unblutige Okkupation aus, die aber mit dem Völkerrecht überhaupt nichts zu tun hat. 

Die UN hat dies auch mit überwältigender Mehrheit angeprangert, ja selbst China hat sich diesem Antrag nicht entgegengestellt. Man fragt sich nun, was haben die Europäischen Staaten und die USA während dieser vierzehntägigen Aktion um die Krim unternommen, um ihre Garantien für die gesamte Ukraine zu erfüllen, die sie einst mit Russland gemeinsam abgegeben haben, damit die dort stationierten Atomwaffen verschrottet werden konnten? Außer ein paar wachsweichen Appellen an Putin, das Militär von der Krim abzuziehen, war von den westlichen Regierungen nichts zu hören und zu sehen. Putin musste gar den Eindruck haben, man hat sich weltweit mit seiner Krim-Aktion abgefunden, große politische Zerwürfnisse würden deshalb nicht entstehen.

Dies änderte sich erst, als auch noch massive Truppenbewegungen in Richtung ukrainisch-russische Grenze einsetzten und in der Ostukraine, ähnlich wie zuletzt auf der Krim prorussische Demonstrationen stattfanden, bei denen ebenfalls der Beitritt zu Russland gefordert wurde. Außerdem gab es handfeste Auseinandersetzungen zwischen diesen Demonstranten und der ukrainischen Polizei, sodass mit einem möglichen Einmarsch der an der Grenze stationierten russischen Truppen gerechnet werden konnte. Dies ließ die westlichen Staaten im ehemaligen Ostblock, wie Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei, aber auch die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen nicht mehr ruhig schlafen. Wenn sie in der Nato waren, forderten sie verstärkte Sicherheitsmaßnahmen gegenüber Russland. Jetzt erst begann so etwas wie ein Strategiewandel gegenüber Putin. 

Von wirtschaftlichen Sanktionen der EU und den USA war die Rede und Russland wurde bei dem soeben stattgefundenen Gipfel der stärksten Wirtschaftsnationen, ehemals G8, nicht eingeladen. Jetzt erst zeigten sich erste wirtschaftliche Reaktionen, die das Land empfindlich trafen. Binnen weniger Tage wurde Kapital von an die hundert Milliarden Euro aus Russland transferiert, Investitionen größeren Ausmaßes wurden von ausländischen Unternehmen gestoppt. Zur Modernisierung braucht das Land unbedingt westliches Know-how und ebenso Kapital. Außerdem werden industrielle Güter aus den europäischen Staaten, allen voran aus Deutschland und Frankreich, aber auch aus den USA benötigt. 

Die lebensnotwendigen Devisen erhält Russland durch Export von Öl und Gas, wenn es hier zu Lieferausfällen kommen würde, weil die westlichen Staaten einen Boykott beschließen, wäre Russland in kürzester Zeit pleite, mit unabsehbaren Folgen für das Land und die Menschen. Zwar hätten die meisten Länder in Europa ebenfalls ein Problem mit der Energieversorgung, diese ließen sich aber mit Hilfe der USA und den Golfstaaten lösen. Dass es mittlerweile zu ersten Verhandlungen zwischen Russland und den USA auf der Ebene der beiden Außenminister gekommen ist, zeigt, dass Putin anfängt seine Haltung zu überdenken, zumindest was die Ostukraine betrifft. 

Zwar fordert Obama weiterhin die Herausgabe der Krim an die Ukraine, aber realpolitisch läuft da nichts mehr, für einen langen Zeitraum wird die Krim zu Russland gehören. Und noch ein Faktor dürfte mit ausschlaggebend sein, dass der russische Präsident seine Träume, ein großrussisches Reich à la Sowjet-Union zu errichtet, zügelt. Es sind die Oligarchen unter seinen Freunden, die fürchten, dass ein Wirtschaftsboykott ihnen massiv schaden wird, da im Ernstfall Hunderte von Milliarden Euro, Dollar und Pfund Sterling, die sie in den westlichen Ländern deponiert und investiert haben, vielleicht zwar nicht verloren, aber zumindest für den Zeitraum des Boykotts blockiert wären und Ihnen nicht zur Verfügung stünden. 

Dieses würde die Herren schon mächtig verärgern, was bedeutet ihnen dazu im Gegensatz die Ostukraine, die ja eh wirtschaftlich von wenigen ukrainischen Oligarchen beherrscht wird. Momentan verharrt der Konflikt in abwartender Haltung, wobei davon auszugehen ist, dass hinter den Kulissen eifrig gepokert wird. Putins Popularität im eigenen Land ist durch die Annektierung der Krim sprunghaft angestiegen, momentan ist er so stark wie selten zuvor. Sein früherer Plan einer Wirtschaftsunion mit der Ukraine ist in weite Ferne gerückt, denn es ist davon auszugehen, dass nach den Präsidentschaftswahlen im Mai in Kiew, der neue Präsident oder die neue Präsidentin die Ukraine näher an die EU führen wird. Störfeuer gegen diese Entwicklung sind seitens Putin immer noch jederzeit möglich. Ob dann noch das Land in der gleichen Form bestehen wird hängt davon ab, welche Integrationsbemühungen zwischen den ethnischen Gruppen im Osten der Ukraine gelungen sind und wie mit Russland geklärt worden ist, ob die NATO bis an die südwestlichen Grenzen Russlands sich ausdehnen kann oder ob sich die Ukraine als ein Bindeglied zwischen der EU und Russland versteht und auf eine Mitgliedschaft in der NATO verzichtet. 

 Peter J. König

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