Samstagskolumne Peter J. König 13.01.2018

Hängepartie in der Regierungs-bildung 

Die Monate vergehen und Deutschland befindet sich politisch im Schlafmodus. Nichts rührt sich großartig an der politischen Front in Berlin. Die Bundestagswahl am 24. September letzten Jahres ist mittlerweile fast vier Monate passé und außer einem Jamaika-Flop gab es nichts Wesentliches zu bemerken. Innen- als auch außenpolitisch ist gespenstige Ruhe eingekehrt, so als sei der Lauf der Welt einfach angehalten worden. Doch dieser Eindruck trügt gewaltig. Das Karussell der weltweiten Entscheidungen dreht sich unaufhaltsam, nur wir Deutschen fahren da momentan nicht mit. 

Zwar erklärt die geschäftsführende Regierung sie würde weiterhin sehr aktiv sein, dies ist aber Beschwichtigung und Ablenkung von dem aktuellen Zustand. Bestimmt werden noch die laufenden Aufgaben erledigt, etwa die Anwesenheit in den nationalen Parlamenten, wobei die Aktivität im Bundestag gegen null tendiert und es dringend notwendig wäre, längst überfällige Gesetze zu verabschieden und endlich die politische Auseinandersetzung mit der AfD aufzunehmen, aber wer traut sich da schon aus der Deckung, solange es keine neue Bundesregierung gibt. Dies ist politisch geradezu ein Totalausfall. 

Auf der europäischen und internationalen Bühne tut sich auch so viel wie gar nichts, dass selbst der französische Präsident und Deutschlandfreund Macron inständig anmahnt, dass die Deutschen endlich "zu Potte" kommen, um mit einer stabilen Regierung wieder ins europäische und internationale Geschäft mit einzusteigen. Derweil verkauft Macron in China an die 150 neue Airbus-Flugzeuge und bringt Frankreich und Europa für das Projekt der Chinesen "Neue Seidenstrasse" schon einmal wirksam in Stellung. Es geht dabei um eine neue Eisenbahn-Trasse, die von China nach West-Europa gebaut werden soll, um so auf schnellem Weg gewaltige Mengen von Güter zu transportieren, den Handel zwischen den östlichen und westlichen Polen enorm zu vereinfachen, billiger zu machen und zu beschleunigen. Natürlich denken die Chinesen, die mittlerweile global agieren, in erster Linie an den Export ihrer Güter, einfach und schnell und kostengünstig. Hier hat Macron eine klare Position eingenommen und einen fairen Ausgleich zwischen Westeuropa und Ostasien angemahnt.

Es wäre dringend geboten gewesen und von absolut nationalem Interesse, dass die Bundesregierung durch ihre Führung, wie sie auch heißen mag, gemeinsam mit dem französischen Präsident die gesamt-europäischen Interessen deutlich gemacht hätte, aber Berlin verharrt ja noch in Schockstarre, nachdem Lindner sich vom Acker gemacht hat und ein absolutes politisches Chaos hinterließ. 

Apropos Lindner, dieses politische Leichtgewicht mit selbstdarstellerischen Ambitionen hatte einfach nicht das Format neue Wege in unserem Land zu gehen, die auch dringend notwendig sind und wie es die Jamaika-Konstellation hätte bringen können. Stattdessen hat er nur an seine eigene politische Zukunft gedacht und die Verantwortung gescheut. Zu groß war die Angst, dass die FDP am Ende dieser Koalition die wichtigen Sitze im Bundestag durch die nächste Wahl wieder räumen müsste. Was sind das für Politiker, die gar nicht erst den Versuch unternehmen, etwas Neues und Konstruktives für das Land zu wagen, weil sie Angst haben "Mutti frisst sie auf"? Erinnert so ein bisschen an das Märchen "Der Wolf und die sieben Geißlein". Was zurückgeblieben ist, ist Ratlosigkeit und wie gesagt eine gewisse Schockstarre, trotz aller Beteuerungen von Angela Merkel, alles richtig gemacht zu haben.

Die FDP von der Fahne, die SPD im Verweigerungsmodus, die Grünen, ob ihrer weitgehenden, nicht fruchtenden Zugeständnisse vor den Kopf gestoßen, dass demnächst eine neue Führungsspitze gewählt wird und die Rechtsradikalen im Bundestag und im Land sicht- und hörbar auf dem Vormarsch. Wenn das nicht eine Gemengelage ist, die Angst auslösen kann?

Und nun der Versuch einer neuen großen Koalition. Um es gleich vorweg zu schicken, nichts ist sicher, selbst wenn man sich jetzt zu Koalitionsverhandlungen zusammenraufen würde. Bei all dem Vorgeplänkel, Sie erinnern sich, die SPD wollte in der Opposition vom Absturz genesen, muten die Gespräche wie ein Ritt auf der Rasierklinge an. Jede der drei Parteien ist nicht nur zum Erfolg einer neuen Regierung verdammt, sonst stürzen alle ab, spätestens bei dann folgenden Neuwahlen, nein sie müssen auch sichtbare Profile in den Vereinbarungen vorweisen, sonst gibt es Prügel zuhause.

Speziell die SPD hat da noch ein zusätzliches Problem, denn sollten Schulz und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter sich tatsächlich mit den Schwarzen zu einer Regierung durchringen, dann wartet auf sie nicht nur die Parteibasis, sondern auch noch eine Mitgliederbefragung, um das Ergebnis abzusegnen. Und da haben sich die Jusos schon positioniert, sie lehnen eine erneute Kroko ab und glauben auf einem Parteitag, der speziell in der Koalitionsfrage Klarheit bringen soll, die Delegierten für ein "Nein" gewinnen zu können. Welch eine Aussicht für die deutsche Politik und unser Land?

Manchmal fragt man sich, wozu die Parteien und ihre Vertreter eigentlich da sind? Sie haben nach dem Grundgesetz maßgeblich an der politischen Willensbildung mitzuwirken und wenn gewählt worden ist, alles zu unternehmen, was dem Wohl des Deutschen Volkes dient. Von Gezerre und Geplänkel steht nichts im Grundgesetz und schon gar nicht von taktischen Spielchen. Die Abgeordneten müssen ihrer politischen Pflicht nachkommen, sich über Kompromisse, auch zu einer nicht sonderlich geliebten demokratischen Regierung vereinbaren und endlich damit anfangen, wozu sie gewählt wurden: Verantwortung für das Land nach innen und außen zu übernehmen und den Menschen "zu dienen", auch wenn man die eine oder andere Kröte schlucken muss. 

Es kann doch nicht sein, dass im zwischenparteilichen Gezänk unser Land politisch stillsteht, wichtige innen- und außenpolitische Projekte über Monate ausgesetzt werden, weil man nicht genau weiß, mit wem man sie politisch auf den Weg bringt. Natürlich wissen Merkel, Seehofer und Schulz um die Brisanz und die Dringlichkeit einer neuen Regierung. Deshalb haben sie auf das Tempo gedrückt, wochenlange Wohlfühl-Runden mit ausgiebigen Zigarettenpausen, wirksam auf klassizistischen Balkonen zelebriert, darf es nicht mehr geben, dafür hätte auch kein Bürger mehr Verständnis und die AfD würde noch mehr Futter für ihre Anhängerschaft bekommen. 

Auch werden nicht permanent die "Wasserstände" aus den Verhandlungen gemeldet, wie bei der Reise zuvor nach Jamaika, sodass man als Beobachter das Gefühl vermittelt bekam, da ist alles bestens, alle sind happy und morgen geht das Regieren schon los. Dieser Ballon ist zu früh zu hoch gestiegen und nachdem Lindner die Reißleine gezogen hat, war der jähe Absturz besonders tief. Dieses Mal also nicht, eine neue Dramaturgie, nüchtern, sachlich und verschwiegen, wenn dies überhaupt in der Politik mit ihren Durchstechereien möglich ist. Und doch steht alles unter Vorbehalt, was die Gespräche noch schwieriger macht und wie gesagt, die Zeit drängt mächtig. 

Für Schulz und die SPD ist es eine wirkliche Bewährungsprobe. Klappt es nicht mit einer erneuten großen Koalition und es gibt Neuwahlen, dann wird die altehrwürdige Partei in die Niederungen einer Durchschnitts-Partei versinken, bestimmt mit weit weniger als 20% und sie läuft auch noch Gefahr innerlich zu zerreißen. Inhaltlich wird es ebenfalls sehr schwierig, denn nicht nur Parteiprogramme müssen kompatibel gemacht werden, die Menschen müssen auch sichtbare Verbesserungen wahrnehmen, spüren, dass gesellschaftliche Verkrustungen aufgebrochen werden, in der Form, dass gerade die Arbeit im sozialen Bereich so vergütet wird, dass die Menschen davon angemessen leben können, bezahlbare Wohnungen erhalten und durchaus die Möglichkeiten bekommen auch für das Alter vernünftig vorzusorgen. Es kann doch nicht sein, dass in einem der reichsten Länder der Erde die Altersarmut steigt und Alten- und Pflegeheime nicht mehr für den Durchschnittsbürger bezahlbar sind. 

Die Parteien, die sich nun zu einer neuen Kroko vereinbaren wollen, tragen in ihren Namen sowohl die Begriffe christlich und sozial und die bayrische Variante sogar beides. Hier muss eine Balance gefunden werden, zwischen einer florierenden Wirtschaft und einer angemessenen sozialen Komponente, sonst ist es bald vorbei mit dem Wohlfühlmodus in unserem Land. 

Neben dem nicht zu unterschätzenden Rechtsradikalismus wird es dann noch soziale Unruhe in der Bevölkerung geben und beides zusammen gibt ein ganz gefährliches Gemisch. Darüber sollten sich die Koalitionäre im Klaren sein, denn auch ihnen dürften die Zeichen der Zeit nicht entgangen sein. Wenn auch momentan die Wirtschaft brummt, so ist dies noch lange keine Garantie für die nähere Zukunft. Schon jetzt fehlen über eine Million qualifizierter Arbeitskräfte in den Export- und Zukunftsbranchen. Viele Firmen würden gerne expandieren, aber es fehlt an geschultem Personal. Dies liegt nicht etwa an zu wenig jungen Leuten, davon gibt es in unserem Land genug. 

Es liegt am verschluderten Bildungssystem, an der völlig überzogenen Vorstellung und den Erwartungen junger Menschen, was sie mit minimalem Aufwand alles erreichen können. Die Realität sieht leider anders aus und dies vor dem Hintergrund der Globalisierung und den neuen bestens ausgebildeten Mittelschichten in den früheren Schwellenländern, wie Indien, Brasilien oder ganz besonders in Ostasien. Deshalb muss auch hier die neue Regierung schleunigst die geeigneten Weichen stellen. Der Fisch stinkt vom Kopf und hier muss Erneuerung her. 

Föderalismus schön und gut, doch nur dort, wo er die Bundesrepublik nach vorne bringt. Es gibt viel zu tun für die zukünftige Regierung. Und nicht zuletzt gilt es auch den Eindruck nicht aufkommen zu lassen, als sei eine richtungsweisende und zukunftsorientierte Regierung überhaupt nicht mehr vonnöten, denn die vielen Beamten in den Ministerien in Berlin würden das Regierungsgeschäft schon automatisch schaukeln. Dem ist nicht so, denn allein mit Dienst nach Vorschrift kommt das Land nicht voran.

Peter J. König

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