Samstagskolumne Peter J. König 06.09.2014

"Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied!"  (Goethe, Faust I, Szene in Auerbachs Keller). 

Was hat sich in den letzten vierzehn Tagen innen- und außenpolitisch getan? Gibt es Fortschritte in den Friedensbemühungen der Staatengemeinschaft bezüglich der vielen Krisen weltweit? 

Die Antwort fällt ernüchternd aus und zeigt nur im Ansatz hier und dort kleine Hoffnungsschimmer, von denen man nicht weiß, ob sie morgen schon wieder verglimmt sind. Aber der Reihe nach: Die Wahl in Sachsen hat, kaum merklich, eine Veränderung der deutschen Parteienlandschaft nach sich gezogen. Hier in Dresden im Sächsischen Landtag wurde das "Sterbeglöckchen" für die noch bei der letzten Wahl so erfolgreiche F.D.P. geläutet. Wurde man nach der letzten Wahl mit über 10% von der CDU noch zu einer Koalition gebeten, reichten jetzt die 3% nicht einmal mehr dazu, bei den Wahlanalysen in der ARD und im ZDF eine eigene Rubrik abzubilden. Die F.D.P., die einstmals als das "Zünglein an der Waage" in vielen Koalitionen mitregiert hat, ist bedeutungslos geworden und wurde nur noch, zusammen mit einigen Splitterparteien unter dem Begriff "die Anderen" erfasst. Damit ist eine Ära der "Alten Bundesrepublik" zu Ende gegangen, Die F.D.P. ist an keiner Regierung mehr beteiligt, weder im Bund noch in den Ländern. Lediglich in einigen wenigen Landesparlamenten sind sie vertreten, so in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen. Ob diese Partei jemals wieder überhaupt eine Bedeutung in unserer Parteienlandschaft erlangen wird, scheint mehr als fraglich. 

Westerwelle und Co. hat es in wenigen Jahren geschafft, "die" liberale Kraft in Deutschland zu einem Interessenshaufen mit Bedienungsmentalität verkommen zu lassen. Die Quittung haben die Wähler bei den letzten Wahlen den Liberalen mit dem Stimmzettel verpasst, wobei die Abstimmung in Sachsen das Ende markiert hat. Schon sind Bestrebungen im Gange das liberale Ideengut in einer neuen Partei in Hamburg zu etablieren. Es ist nur zu hoffen, dass hier die alten Grundwerte des Liberalismus wieder maßgeblich vertreten werden, denn diese sind noch immer für unser Gemeinwesen von essenzieller Bedeutung. 

Als die Partei der Stunde hat sich in Sachsen die AfD (Alternative für Deutschland) etabliert, mit über 10% Stimmenanteil und es damit zu ihrem ersten Einzug in ein deutsches Landes-Parlament geschafft. Zuvor war es der AfD schon gelungen ins Europäische Parlament in Straßburg einzuziehen. Bei beiden Wahlen konnten sie maßgeblich auf die Klientel der F.D.P. zurückgreifen. Wer nun glaubt, die AfD sei eine bessere F.D.P. liegt damit aber völlig daneben. Die AfD ist im Parteienspektrum rechts von der CDU/CSU angesiedelt und hat auch kein Problem bei den Nationalisten (NPD, Republikaner oder sonstige Neo-Nazis) "fischen zu gehen". 

Mit fragwürdigen Konzepten gegen ein vereintes Europa und besonders gegen die gemeinsame Währung, den Euro, wollen sie Glauben machen, Deutschland würde sich als das Land der Glückseligen entwickeln, wenn man die Länder speziell in Südeuropa los werden würde. Dies ist ökonomisch falsch und was noch viel schlimmer ist, politischer Unsinn, ja geradezu gefährlich. Wie bereits vielfach erklärt, profitiert unser Land am meisten von der EU, da die meisten Exporte in diese Länder fließen. Unser wirtschaftliches Wachstum hängt maßgeblich davon ab, dass unsere Produkte zollfrei und ohne Währungsdifferenzen in die EURO-Länder verkauft werden können, da somit ein riesiger Binnenmarkt entstanden ist.

Politisch ist die EU ein absoluter Glücksfall, besonders dann, wenn man an die Kriege der letzten hundert Jahre denkt, jetzt wo sich der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum hundertsten Male jährt, während der Angriff von Hitler-Deutschland auf Polen am 1. Sept 1939, also genau vor 75 Jahren stattfand und der Zweite Weltkrieg, der schlimmste Krieg aller Zeiten begann. Dies nur zu Erinnerung, wenn die AfD von einem neuen Alleingang der Deutschen faselt. Leider ist zu befürchten, dass bei den nächsten anstehenden Wahlen in Thüringen und Brandenburg in vierzehn Tagen die Taktik dieser "neuen, deutschen Protestler" noch nicht durchschaut worden ist und die AfD auch hier mit einem zweistelligen Ergebnis in die Parlamente einzieht. 

In Thüringen kommt hinzu, dass es möglicherweise einen Ministerpräsident der Partei "die Linke" geben könnte, der Nachfolgepartei der SED (Staatspartei der DDR). Irgendwie erinnert dies alles schon ein bisschen an späte Weimarer Verhältnisse, eine Polarisierung am linken und rechten Rand, mit einer relativ schwachen Mitte. Hier ist Vorsicht geboten, denn es schadet nichts aus der Geschichte zu lernen. Deshalb ist es so wichtig, dass Deutschland fest in Europa integriert ist, zumal nur ein starkes gemeinsames Europa wirklich eine Chance hat, weltweit sich entscheidend zu behaupten. Über die Interna lassen sich allerdings dann noch streiten, zumindest was die Krümmung einer europäischen Gurke oder sonstige Durchführungsbestimmungen angeht. Aber schon bei der gemeinsamen Außenpolitik oder im militärischen Bereich darf es keine Unstimmigkeiten mehr geben, wie so oft in den letzten Jahren. Hier muss an einem Strang gezogen werden, soll die Stimme Europas das nötige Gewicht bekommen.

Europäische Geschlossenheit ist auch besonders dort wichtig, wo es darum geht, den aktuellen Krisen in der Welt zu begegnen. In unmittelbarer Nachbarschaft, quasi vor unserer Haustüre findet der Krieg im Osten und Südosten der Ukraine statt, der zwar als Bürgerkrieg deklariert wird, wo pro-russische Separatisten sich mörderische Kämpfe mit ukrainischem Militär und Freiwilligenverbänden liefern, um angeblich die russisch-stämmige Bevölkerung zu schützen. Momentan findet eine Feuerpause statt, die auch weitestgehend eingehalten wird und die dem Blutvergießen ein Ende setzen soll. Dies hört sich erst einmal positiv an, doch bei näherem Hinsehen kommen doch berechtigte Zweifel, ob dies auf Dauer so einfach möglich ist.

Zur Erläuterung bedarf es einiger erklärender Fakten. Schon zur Mitte des letzten Jahres, als noch kein Mensch an die Abspaltung der Krim von der Ukraine und die Einverleibung an Russland gedacht hat, wurde in einer geheimen Rede des neuernannten russischen Oberkommandierenden Generals davon gesprochen, dass Russland sich einer neuen Kriegsstrategie zuwenden wird, die die USA angeblich schon sehr erfolgreich durchgeführt hat, nämlich mit einer Guerilla-Taktik funktionierende Staaten binnen kürzester Zeit zu destabilisieren, um durch Aufstände politisch genehme Führungen zu etablieren. 

Unmittelbar danach hat Russland mit den Vorbereitungen, sowohl militärisch als auch geheimdienstlich begonnen, in der Ost-Ukraine zu intervenieren. Militär wurde auf russischer Seite der Grenze zusammengezogen, angeblich zu Manövern. Hier wurden Freiwillige russischer Abstammung ausgebildet, darunter auch paramilitärische Einheiten aus Tschetschenien. Diese sickerten im Laufe des letzten Winters in der Ost-Ukraine und auf der Krim ein, um dort regionale Putschs zu starten, die die Vorherrschaft und später die Abtrennung von der Ukraine bringen sollten. Die Krim war schnell annektiert, ein vorrangiges Ziel der Russen durch die Schwarzmeerflotte. Aber auch das Don-Bass-Gebiet ist im Visier von Putin, denn hier befindet sich die ukrainische Schwerindustrie, auch wichtige Waffenfabriken, die militärisches Gerät für die russische Armee liefern. 

Gerade jetzt, wo die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland drohen immer massiver zu werden, sind diese Waffenschmieden für die Armee von elementarer Bedeutung. Sollte die Ukraine aber, wie es die Mehrheit der Bevölkerung wünscht, der EU oder gar der NATO beitreten, wäre dies ein unersetzbarer Verlust bei der Beschaffung von militärischem Gerät, zumal Russland Hochtechnologie eh aus dem Westen oder aus China und Japan bezieht. Deshalb braucht Putin die Ost-Ukraine oder zumindest den uneingeschränkten Einfluss mehr denn je. Die Waffenruhe geht deshalb einher mit der deutlichen Forderung der Separatisten über die Abspaltung des Gebietes im Osten und Südosten der Ukraine zu verhandeln, um so sich die Schwerindustrie zu sichern, aber auch um durch einen breiten Korridor einen Landzugang auf die Krim zu erhalten. 

Dies würde bedeuten, dass das ukrainische Staatsgebilde in seiner jetzigen Form keinen Bestand mehr haben würde. Auch wäre der westliche Rumpfteil ohne den Osten zukünftig wirtschaftlich kaum lebensfähig. Tatsächlich bestünde die Gefahr, dass weitere Teile in der Westukraine sich abspalten könnten, entsprechend ihrer ethnischen Zugehörigkeit, wie etwa zu Polen oder aber auch zu den anderen angrenzenden Völkern. Damit wäre der Staat Ukraine nicht mehr existent. Jetzt könnte man meinen, dass dies doch viel besser sei, wenn die ethnischen Bevölkerungsteile in einem gemeinsamen Staat besser aufgehoben sind? 

Tatsächlich würde aber ein solches Beispiel verheerende Folgen für Europa haben. Das gesamte Staatengebilde in Europa würde gefährlich instabil werden. Grenzen würden sich verschieben, neue Staaten würden entstehen und bei gemischten Bevölkerungen wäre ständig mit Bürgerkriegen zu rechnen. Europa würde zurück ins Mittelalter fallen und dies zu einem Zeitpunkt, wo mit China, Indien und Brasilien neue, starke Machtblöcke am entstehen sind. Für Russland käme dies einer Einladung gleich, geopolitisch neue Machtsphären zu entfalten, um genau dieses zu verwirklichen, was Putin den Amerikanern und den Europäern vorwirft, nämlich die Ausdehnung der EU und der Nato bis an die unmittelbaren Grenzen seines Landes, nur umgekehrt. Letztendlich sollen alle Aktionen in der Ukraine nur dazu dienen, sich aus der Umklammerung durch den Westen zu befreien, so die offizielle Lesart der russischen Politik. Aber selbst wenn solche Ängste tatsächlich in Russland vorhanden sein sollten und dies nicht nur reine Propaganda ist, so berechtigt dies noch lange nicht den Bruch des Völkerrechts durch die Annexion der Krim. Überhaupt sind solche Konflikte nicht militärisch zu lösen, das sollte auch Herrn Putin klar sein, bei all seinen Träumen von einem wiedererstarkten Russland nach sowjetischem Vorbild.

Bestimmt macht es mehr Sinn, schon allein der geschundenen Menschen wegen, sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen, die berechtigten Interessen aller beteiligten Staaten zu respektieren, um so eine einvernehmlich, friedliche Lösung im östlichen Europa zu ermöglichen. Putin braucht dabei gewiss keine Angst zu haben, dass die Nato Russland überfällt. Beunruhigen könnte ihn vielleicht aber der Umstand, dass dann der Demokratisierungsprozess in Russland allmählich wieder Fahrt aufnimmt, die angrenzenden Staaten die Angst vor Russland langsam abbauen und die wirtschaftliche Entwicklung im europäisch-russischen Raum völlig neue Dynamik bekommt. Ob Zar Putin dann allerdings noch so herrschen kann wie bisher, muss wohl entschieden verneint werden. 

Peter J. König

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