Samstagskolumne Peter J. König 02.05.2015

Ukraineproblem ungelöst, gleichwohl durch Ereignisse in Nepal und durch vermutliche Versäumnisse im Bundes-kanzleramt in den Hintergrund geschoben.

Nach einer zweimonatigen Pause wird es höchste Zeit, wieder zu den politischen, gesellschaftlichen und allgemeinen Aktualitäten unseres Seins Stellung zu beziehen und zu versuchen, Hintergründe aufzudecken und Erklärungen zu finden, die zumindest im Ansatz plausibel erscheinen. In der letzten Samstagskolumne waren der Konflikt in der Ostukraine und die Einmischung Russlands das dringende Thema. Dabei stand es auf Messers Schneide, ob es gelingen wird, die Vereinbarungen von Minsk umzusetzen, um so zu einem dauerhaften Waffenstillstand, zumindest zu einer anhaltenden Waffenruhe zu kommen.

Mittlerweile nach zwei Monaten und unzähligen Treffen der Außenminister aus der Ukraine, Russland, Frankreich und Deutschland steht eins fest, die Ostukraine ist nicht sicherer geworden, die Menschen leiden weiter unter katastrophalen Bedingungen, die Infrastruktur ist zerstört und eine friedliche Lösung ist weiterhin nicht in Sicht. Medial ist der Konflikt zwar aus dem Fokus der Nachrichten gerückt, das heißt aber noch lange nicht, dass jetzt Ruhe an der Front ist, schon gar nicht an der Propaganda-Front. Andere Katastrophen und innenpolitische Ereignisse haben das Thema Ost-Ukraine verdrängt, aber dazu später mehr. Die Lage im russisch-ukrainischen Grenzgebiet ist weiterhin sehr labil und die Beobachter der OSZE, deren Zahl nach dem Minsker Abkommen aufgestockt wurde, um den Rückzug an schweren Waffen zu überprüfen, haben bei den Separatisten kaum die Möglichkeit zu kontrollieren, wohin die Panzer und die schwere Artillerie verbracht worden sind. 

Allenfalls werden sie an der Nase herumgeführt, wenn Ihnen ein paar defekte Panzer bei der Reparatur vorgeführt werden und von denen man nicht weiß, wo sie morgen wieder zum Einsatz kommen. Geschossen wird weiterhin auf beiden Seiten und die ukrainische Armee rüstet weiter auf, ebenso wird weiter modernstes russisches Kriegsmaterial samt Soldaten in die Ost-Ukraine gebracht. Noch immer ist zu vermuten, dass das nächste strategische Angriffsziel der pro-russischen Kämpfer die Stadt Mariupol am Schwarzen Meer ist, denn Putins Idee von Neurussland, einem breiten Landstreifen entlang der Schwarzmeerküste, der dann eine komfortable Landverbindung zwischen Russland und der Krim darstellt, ist nicht vom Tisch. Es wird vermutet, dass zunächst die Kräfte gebündelt werden sollen, damit der Einmarsch in dieses östlichste Gebiet der Ukraine schnell und reibungslos durchgezogen werden kann. 

Wie es scheint, wartet der Kreml-Chef nur auf einen passenden Vorwand, etwa ein Überfall auf russisch-stämmige Personen, um dann loszulegen. Ähnliche Muster hat es schon viele in der weltweiten Militärgeschichte gegeben, man denke nur an den angeblichen Überfall auf den Sender Gleiwitz, der auf deutschem Hoheitsgebiet, angeblich von polnischen Soldaten überfallen worden ist. Tatsächlich aber wurde die Aktion vom deutschen militärischen Geheimdienst injiziert, und zum Beweis hat man ein paar polnische Kriminelle in polnische Uniformen gesteckt, um sie dann als Täter auszumachen und hinzurichten. 

Dieser fingierte Überfall war für Hitler der Grund in Polen einzumarschieren, es war der Beginn des Zweiten Weltkrieges. Zwar sind die Ereignisse von damals und heute nicht direkt vergleichbar und obwohl beides ein eklatanter Bruch des Völkerrechts darstellt, besonders nachdem Putin öffentlich im Fernsehen erklärt hat, die Besetzung der Krim wurde von ihm persönlich angeordnet. Eine militärische Konfrontation zwischen den großen Machtblöcken in West und Ost wird es wegen der Ukraine nicht geben. Dies betonen alle westlichen Staaten, und da die Ukraine auch kein Mitglied in der Nato ist, noch nicht, wird es auch keinen entsprechenden Bündnisfall geben, der ein Eingreifen des Westens zwingend nach sich zieht, wenn Putin seinen Plan von Neu-Russland mit militärischen Mitteln in die Tat umsetzt.

Bei einem Angriff auf die baltischen Staaten oder Polen etwa, ist der Bündnisfall konkret, eine militärische Antwort ist dann unausweichlich. Noch befindet sich das Schicksal der Ostukraine in der Schwebe, was bedeutet, dass eine politische Lösung vielleicht doch noch möglich ist. Dies ist für alle Beteiligten mehr als nur wünschenswert, besonders für die Zivilbevölkerung, die schon so viel Leid, Verlust und Trauer hinnehmen musste. Ein letzter Funken Hoffnung ist geblieben, auch wenn man sich kaum vorstellen kann, wie bei diesem Hass der verfeindeten Gruppen es jemals zu einem vernünftigen politischen Ausgleich zwischen der russischstämmigen und ukrainischen Bevölkerung im Don-Bass kommen sollte. 

Ein hoffnungsvolles Zeichen scheint zumindest auf der ukrainischen Seite zu sein, wenn der ukrainische Präsident Poroschenko gegen die faschistischen Privat-Milizen vorgehen lässt, die eigenständig, ohne sich dem Kommando von Kiews Militärführung zu unterstellen, ihren eigenen Krieg gegen die Separatisten führen und immer wieder für neue Verletzungen der Waffenruhe sorgen und damit den Konflikt immer wieder neu anheizen. Ob es in der Ostukraine zu einer friedlichen Lösung kommt, hängt letztlich aber nur davon ab, wie sich der Herr im Kreml entscheiden wird. Nicht ungelegen kommt da die Tatsache, dass in den kommenden Jahren einige Weltereignisse des Sports in Russland stattfinden sollen. 

Ob Putin bei seiner Darstellungssucht es wagen wird, für ein Neu-Russland den Boykott dieser Prestige-Veranstaltungen zu riskieren, scheint zum jetzigen Zeitpunkt eher fraglich, denn solche gelungenen Veranstaltungen mehren seinen Akzeptanz in der russischen Bevölkerung weit größer, als ein schmaler Streifen Land an der Westgrenze dieses riesigen Russlands. Notfalls lässt sich mit einem injizierten Referendum ganz legal nach dem Völkerrecht bewirken, dass dieses autonome Gebiet der russischen Föderation beitreten kann, so vermutlich Putins Gedanke.

Zwei Ereignisse haben in den letzten anderthalb Wochen dafür gesorgt, dass das Ringen um die Ostukraine merklich in den Hintergrund gerückt ist. Das erste Thema ist das verheerende Erdbeben in Himalaya-Staat Nepal, das zeigt, auf welch fragilem Gebilde die Menschheit lebt. Die Anzahl der Toten wird aktuell mit etwa 7500 Toten angegeben, dabei weiß man schon jetzt, dass dies noch lange keine endgültige Bilanz sein wird. Der Grad der Zerstörung ist so enorm, dass der Wiederaufbau viele Jahre dauert und enorme Summen kostet, die dieses Land, das zu den ärmsten der Welt gehört, alleine gar nicht leisten kann. 

Hier ist die Weltgemeinschaft gefordert. Betrachtet man die Rüstungsausgaben weltweit, dann ist davon nur ein Bruchteil nötig, um dieses kulturelle menschliche Erbe wieder auf die Beine zu stellen. Nepals einzige nennenswerte Einnahmequelle ist der hochalpine Tourismus, zusammen mit den kulturellen Sehenswürdigkeiten in Form von Tempeln und Klöstern. Das Erdbeben hat die Lebensgrundlage viele Menschen zerstört, wenn sie den Bergsteigern und Trekkern nicht mehr ihre Unterkünfte und Gasthäuser anbieten können. 

Die Sherpas, die zu Tausenden den Menschen beim Besteigen des Mount Everest ihre hilfreichen Dienste angeboten haben, sind ohne diese Abenteurer ohne jegliches Einkommen. Ihre Familien in einer Größenordnung von etwa 20000 sind vom Hunger bedroht. Eine alternative Arbeit gibt es in diesen Bergregionen nicht. Die Hauptstadt Katmandu im Katmandu-Tal ist eines der dicht bevölkerten Gebiete weltweit, mit katastrophalen sozialen Verhältnissen. Hier ist Kinderarbeit eine Selbstverständlichkeit, ebenso Kinderprostitution und Kinderhandel. Die politische Situation ist korrupt, die bettelarme Bevölkerung hat quasi keine Chancen aus eigener Kraft dem Elend zu entfliehen. 

Wenn führende Politiker des Landes schon jetzt sich der internationalen Hilfe entgegenstellen, indem sie verkünden: "Nepal ist nicht das Sammelbecken für weltweite Hilfe", dann ist das an Zynismus nicht mehr zu überbieten, im Angesicht der humanen Katastrophe und bei diesen verheerenden Lebensverhältnissen. Hier muss dringend etwas passieren und nicht nur finanziell. Eine durch und durch korrupte Elite von Politikern und Militärs beherrschen das Land mit eiserner Faust, besser gesagt mit Schlagstock und Waffengewalt. Und gerade deshalb muss den Menschen geholfen werden, nicht nur um sie am Leben zu erhalten, sondern um ihnen mit neuerbauten Schulen und landwirtschaftlichen Bildungseinrichtungen die Möglichkeit zu geben, ihr Schicksal zu verbessern. 

Das zweite Thema, das sich immer weiter aufschaukelt, ist der Spionageskandal zwischen dem amerikanischen Geheimdienst NSA und dem Bundesnachrichtendienst, der so allmählich das Bundeskanzleramt erreicht. Nach neuesten Erkenntnissen sollen seit vielen Jahren die Einrichtungen des BND von den Amerikanern benutzt worden sein, um die französische Regierung, EU-Einrichtungen in Brüssel und besonders deutsche Firmen auszuspionieren und zwar unter tatkräftiger Unterstützung der BND-Mitarbeiter durch die Abhöranlagen in Bad Aibling, südlich von München. Bisher ist der Fall des Flugzeug- und Raumfahrt-Konzern EADS, ein multi-europäisches Firmenkonsortium aktenkundig geworden. 

Da dieses Unternehmen in vielen Sparten in unmittelbarer Konkurrenz mit amerikanischen Firmen steht, ist diese Industriespionage ein verheerender Wettbewerbsnachteil, der existenzbedrohend sein kann. Dass die NSA keine Skrupel hat, selbst das Handy der Bundeskanzlerin abzuhören, ist schon seit längerem bekannt und hat Angela Merkel nur zu dem lapidaren Ausspruch veranlasst: "Ausspionieren unter Freunden geht gar nicht" Jetzt wird sie wohl den Spruch erweitern müssen, dahingehend: "und auch nicht deren Firmen, selbst wenn Millardengewinne zu erzielen sind“. 

Aber die Brisanz liegt ganz woanders und ist von höchster politischer Dringlichkeit. Es geht um die Frage: Was wusste der zuständige Kanzleramtsminister über die Spionagetätigkeiten des NSA mit Hilfe des BND beim Ausspionieren deutscher Firmen, oder was hätte er als Aufsicht der Geheimdienste wissen müssen? 

Nach inoffiziellen Aussagen soll das Kanzleramt schon zu Zeiten Schröders, als Steinmeier derzeit Minister im Kanzleramt war, vom BND informiert worden sein, dass solche Aktivitäten seitens der NSA stattgefunden haben. Ob Steinmeier tatsächlich informiert wurde, und was er mit dieser Erkenntnis angefangen hat, ist nicht bekannt. Nach dem Regierungswechsel mit Angela Merkel im Amt, war Thomas de Maiziere, der jetzige Innenminister damaliger Kanzleramtsminister und für die Überwachung des BND zuständig. Auch er soll von der Spionagetätigkeit des NSA bei deutschen Firmen gewusst haben, was von ihm ebenso wie von Steinmeier vehement bestritten wird. 

Also muss ein Bauernopfer her, und dazu eignet sich der Leiter des BND wie immer vortrefflich. Immer wenn im Umfeld der Geheimdienste Pannen oder schwere Versäumnisse auftauchen, die auch etwas mit der Aufsichtspflicht des Kanzleramtes zu tun haben, wird weder der zuständige Minister noch gar der Kanzler oder die Kanzlerin zur Verantwortung gezogen, immer trifft es den Chef, wahlweise einen unmittelbar Untergebenen der Behörde. Insofern ist dieser Sessel ein wackeliger, der allerdings gut vergütet ist. 

Gerade in diesem Spionagefall, der sich wohl schon über ein Jahrzehnt dahinzieht, wo selbst die Führung der deutschen Regierung vom amerikanischen Geheimdienst dreist abgehört wird, hat der Leiter des Bundesnachrichtendienst nicht wirklich die Kompetenz, um daran etwas zu ändern. Selbst Profalla, damals für den BND unter Merkel zuständig, als sie abgehört wurde, kam von dem Versuch die Vorfälle mit den Amerikanern zu klären, aus den USA zurück, um vor der Presse treu-doof zu erklären: Die Amerikaner haben ihm versichert, man würde nicht flächendeckend abhören, die Kanzlerin sei zufällig in ein Rastermuster gekommen. Sprach´s und eilte davon, um wenige Tage später seinen Hut zu nehmen. 

Dies war wohl selbst Angela Merkel zu blöd. Profalla ist weich gefallen, die Mutti tut keinem der Ihren weh, er sitzt heute im Vorstand der bundeseigenen Deutschen Bahn. Fakt ist, dass die Geheimdienstproblematik äußerst schwierig ist. Noch heute haben die westlichen ehemaligen Alliierten verbriefte Sonderrechte auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland und sie sind nicht gewillt, hier hoheitsstaatliche Regelungen zu schaffen durch neue Verträge mit Deutschland. Das Internet ist ebenso betroffen, denn hier findet die moderne Form der Spionage statt. Es ist gut vorstellbar, dass gerade die Wirtschaftsspionage der entscheidende Punkt ist, warum die Nachkriegsregelungen bisher so strikt beibehalten werden. 

Dieses Problem zu lösen wird Aufgabe von späteren Regierungen sein. Die aktuelle Kanzlerin wird nicht umhinkommen, die Versäumnisse der Vergangenheit und Gegenwart aufzuklären, es wäre zumindest Ihre Pflicht. Allerdings darf man dabei durchaus große Zweifel haben. Bei dem jetzigen Regierungsbündnis zwischen CDU, CSU und SPD werden alle Parteien dicht machen, um sowohl Steinmeier als auch de Maiziere nicht zum Abschuss freizugeben. Dies zeigt ganz deutlich das Herumgerede von Merkel und Gabriel, wenn dieser auch versucht hat, etwas am Lack der Kanzlerin zu kratzen, indem er zweideutig sophistische Bemerkungen vor der Presse gemacht hat. Aber am Ende kommt es wie immer: 

Der Chef des BND darf seinen Hut nehmen und mit ihm verschwindet auch das lästige Problem, bis zum nächsten Spionageskandal, den dann wieder das Kanzleramt erneut dem BND zuschustert. 

 Peter J. König

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