Samstagskolumne Peter J. König 09.05.2015

"Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen." Albert Einstein

Der 8. und 9. Mai ist in diesem Jahr ein besonders geschichtsträchtiges Datum. Zum siebzigsten Mal jährt sich der Tag der Kapitulation von Nazi-Deutschland. Dabei ist durchaus interessant, dass die Deutschen den 8. Mai als den entscheidenden Tag erinnern, während in Russland der 9. Mai als der Tag gilt, als das mörderische Nazi-Regime kapituliert hat. Der Grund der unterschiedlichen Wahrnehmung liegt einfach darin, dass es bereits nach Mitternacht war, als Großadmiral Dönitz, der Nachfolger Hitlers an der Staatsspitze, die Kapitulationsurkunde in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 unterschrieb. 

Hitler selbst hatte sich bereits einige Tage zuvor mit seiner Gefährtin Eva Braun im Führerbunker in Berlin vor dem entscheidenden Angriff der Roten Armee selbst getötet, er wollte sich nicht für seine Gräueltaten vor einem internationalen Gerichtshof verantworten. Auch vermied er damit, über den Roten Platz als Siegestrophäe geführt zu werden, oder eventuell das Schicksal seines italienischen Despoten-Genossen Benito Mussolini, genannt "der Duce", zu erleiden, der nebst Geliebter am Galgen endete und dann von den oberitalienischen Seen bis Rom als Leiche an den Füssen aufgehängt, von Ort zu Ort zur Schau gestellt wurde. 

Einig ist man sich mittlerweile überall darüber, dass das Ende des Zweiten Weltkrieges und das Ende der Nazi-Herrschaft ein Sieg der Alliierten, aber auch die Befreiung des Deutschen Volkes vom Totalitarismus und der willkürlichen Despotie darstellt. Während die Siegermächte jeweils ihre Siegesfeiern mit unterschiedlich martialischen Siegesparaden feiern, so wie etwa in Moskau, wird hierzulande der 8. Mai als Gedenktag begangen, wobei mittlerweile die frühere Untergangsstimmung dem Bewusstsein gewichen ist, dass die Alliierten Deutschland von den Nazis befreit haben, und diese mit Millionen von Soldatenopfern diese Befreiung bezahlen mussten. Besonders die Russen haben immense Verluste zu beklagen, und da ist auch die Zahl von 1,5 Millionen toten russischen Kriegsgefangenen zu nennen, die systematisch in deutschen Kriegsgefangenenlagern umgebracht wurden, oder man sie dort einfach verhungern ließ. Die Schuld, die die Deutschen damals auf sich luden ist immens, wenn es auch unmittelbar nach Kriegsende angeblich keiner gewesen sein wollte und auch heute noch zu hören ist: „Dies waren allein die Nazis, damit haben wir nichts zu tun“. 

Tatsächlich waren alle Deutschen involviert, mehr oder weniger. Die Truppen, die in alle vier Himmelsrichtungen die benachbarten Staaten überfielen, die SS-und Polizei-Bataillone, die für die Ermordung der Juden, Sinti und Roma, Kommunisten und Homosexuellen überall im "Reich" und den besetzten Gebieten federführend waren, das gesamte gleichgeschaltete Gemeinwesen, das selbst den Kleinsten in der Volkschule erklärt hat, was ein "guter Deutscher" zu tun hat und welcher Herrenrasse man angehören würde. Alles gehörte zu einem schrecklichen Ganzen, das sich das "Dritte Reich" nannte. 

In diesem Zusammenhang ist ein Phänomen zu beobachten, das bis heute die Spuren dieser Vergangenheit in sich trägt. Die mittlerweile über Achtzigjährigen zeigen gerade bei nachlassender geistiger Kraft immer mehr, wenn auch meistens unbewusst, was man ihnen damals eingebläut hat. Und darin liegt auch ein Grund, warum eine gewisse Form von latentem Antisemitismus und Fremdenhass sich bis heute hartnäckig in der Bevölkerung hält. Wissenschaftliche Untersuchungen sprechen von etwa 25 bis 30% unterschwelligem, nationalsozialistischem Gedankengut bei den Deutschen. Niemals wurde untersucht, wieviel Heldengeschichten und Heilsparolen der Opa dem Enkel vom Krieg und den Nazis erzählt hat und so mancher für diese Denkrichtung empfänglich gemacht wurde. Bei den Söhnen hatten die Alten weniger Glück. Diese widerte die Verlogenheit, der Mief und die Spießigkeit dieser Zeit an. Sie haben es dann lieber mit antiautoritären Lebensformen versucht. 

Aber zurück zu den geschichtlichen Ereignissen des 8. und 9. Mai. Ohne die Befreiung durch die Alliierten hätte die deutsche Geschichte einen unvorstellbaren, menschenverachtenden Verlauf genommen, den man nur erahnen kann, wenn man sich ansieht, welches verbrecherische Ideengut die Nazis schon in den 12 Jahren ihrer Herrschaft anfingen, mit brutaler Gewalt durchzusetzen. Deshalb müssen wir den Alliierten dankbar sein für ihren militärischen Einsatz. Besonders die Sowjet-Union und all ihre Völker haben millionenfache menschliche Verluste erlitten. 

Die Gräueltaten und das Leid, das gerade die Menschen in den westlichen Teilen, wie in Weißrussland, in der Ukraine und an der Wolga erlitten, sind unvorstellbar. Allein in Weißrussland und der Ukraine wurden an die 700 Dörfer und Kleinstädte dem Erdboden gleichgemacht, Frauen, Kinder und alte Männer ermordet, weil die Männer im kampffähigen Alter vermeintlich als Partisanen tätig waren. Tatsächlich befanden sie sich aber schon längst bei den kämpfenden Truppen der Roten Armee. Immer wieder hört man im Zuge solcher Gespräche von den schlimmen Verbrechen, die die Rotarmisten beim Vormarsch an der deutschen Bevölkerung verübt haben. Dass es zu brutalen Übergriffen an der deutschen Zivilbevölkerung, besonders in den östlichen Grenzgebieten in Ostpreußen, Pommern und Schlesien immer wieder gekommen ist, bleibt eine geschichtliche Tatsache, besonders wenn die Soldaten erfahren haben, was in Weißrussland und der Ukraine dort von den deutschen Truppen verbrochen worden ist. 

Von systematischen Verwüstungen ganzer Landstriche und Ansiedlungen auf deutschem Boden durch die Rote Armee ist allerdings aber nichts bekannt. Hier etwas aufzurechnen ist auch der falsche Weg. Er mindert weder das Leid auf der einen noch auf der anderen Seite. Fakt bleibt aber, dass Hitler am 1. September 1939 in Polen einmarschiert ist und damit einen Vernichtungskrieg begonnen hat, der 80 Millionen Menschen das Leben gekostet hat und in der Menschheits-Geschichte beispielslos ist. Deshalb macht es mehr Sinn, sich mit der Versöhnung der Völker zu befassen, damit so etwas nie mehr vorkommt. Nach Beendigung des Kalten Krieges, der Auflösung der Sowjet-Union und der Wiedervereinigung Deutschlands, aber auch der Fortentwicklung zu einem Vereinigten Europa und der Annäherung zu einer russischen Föderation, die anfangs sich auf den Weg gemacht hatte, die Demokratie einzuführen, schien das Verständnis der europäischen Staaten in Ost und West auf einem guten Weg zu sein. 

Speziell die Russen und Deutschen fingen an sich wieder zu vertrauen und begannen einen intensiven politischen und kulturellen Dialog, der in Europa eine sichere Zukunft zu versprechen schien. Dabei muss man wissen, dass Deutsche und Russen schon immer große Zuneigung zueinander hegten. Es gibt viele geschichtliche Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ethnien und oftmals haben die russischen Zaren mit viel Interesse und Bewunderung nach Westen gesehen, speziell nach Preußen. Die russische Bevölkerung hat in den letzten Jahren gezeigt, dass sie, nach all dem was ihr durch Hitler-Deutschland angetan worden ist, wieder große Sympathien für die Menschen im demokratischen Deutschland hegen, übrigens ähnlich wie die jungen Israelis, die Deutschland und speziell Berlin geradezu hipp finden. 

Besonders der kulturelle Austausch mit Russland hat ein Ausmaß erreicht, das man sich so niemals vorstellen konnte, auch hier gibt es Parallelen mit Israel. Erst mit dem Konflikt in der Ost-Ukraine und der Völkerrechts-widrigen Annektierung der Krim und der massiven Bewaffnung der Separatisten durch Putin gibt es eine Veränderung, zumindest auf der politischen Ebene, die beiden Völkern, sowohl den Deutschen als auch den Russen nicht recht sein kann. Gemeinsame Gesprächsrunden wurden eingefroren, deutsch-russische Konsultationen abgesagt und der freundliche, gar herzliche Ton zwischen Merkel und Putin ist eisiger Kälte gewichen. 

Einen weiteren Höhepunkt in Zuge dieser Eskalation hat es jetzt bei den Feierlichkeiten zum siebzigsten Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland gegeben. War es in den letzte Jahren doch üblich geworden, dass bei der Militär-Parade auf dem Roten Platz in Moskau der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin anwesend war, Schröder hatte als erster Kanzler daran teilgenommen, so blieb bei dem besonderen Anlass zum siebzigjährigen Erinnern diesmal Angela Merkel demonstrativ fern, ähnlich wie fast alle westlichen Regierungschefs, auch von den damaligen Alliierten. Allein um die Gefallenen und Toten zu ehren, hat sie dann einen Tag später einen Kranz am "Grab des unbekannten Soldaten" gemeinsam mit Putin niedergelegt. 

Bei der Pressekonferenz nach dem Gespräch mit dem Kreml-Herren wurde Merkel für ihre Art ungewöhnlich deutlich, als sie die Vorgänge auf der Krim und in der Ost-Ukraine als einen verbrecherischen Akt brandmarkte und Putin empfahl, alles in seiner Macht stehende zu unternehmen, um den Bruch des Völkerrechts zu beenden und zu einer Normalisierung der Verhältnisse in der östlichen Ukraine zurück zu kehren. Dass Putin die Macht dazu hat, stellt die Kanzlerin außer Frage. Putin erklärt seinerseits zwar, dass Russland und Deutschland wieder an einer Verbesserung ihrer Beziehung arbeiten sollten, dass diese allerdings zur Zeit mehr als schwierig ist, war beiden Staatslenkern offen ins Gesicht geschrieben, Eiszeit ist angesagt. Dies ist wirklich eine sehr beunruhigende Entwicklung, sodass manche schon wieder von einem neuen"Kalten Krieg" sprechen. 

In Anbetracht der Ereignisse vor mehr als siebzig Jahren sollte und darf dies uns nicht gleichgültig lassen. Ohne hier eine politische Analyse abzugeben, welches Interesse jeweils bei den beiden Staaten im Vordergrund steht, ist es jetzt besonders wichtig, dass die neuen Freundschaften zwischen den Menschen in Deutschland und Russland weiterhin gepflegt und vertieft werden. Dies gilt für jeden einzeln, aber auch für Vereine, Schulen und Universitäten und allen anderen Gruppierungen.

Speziell bei dem hier gepflegten Medium Internet ist es besonders einfach, neue Freundschaften in den sozialen Netzwerken zu knüpfen. Dabei wird man erstaunt sein, welche wunderbaren Künstler, Intellektuelle und überhaupt interessierte Menschen hier anzutreffen sind, über alle deutsch-russischen Grenzen hinweg. Wir Deutschen werden mit Freude und Erstaunen feststellen, wieviel Herzenswärme und Gefühle diese russischen Menschen mitbringen, und werden uns deshalb zu Recht immer wieder fragen, wie konnte es möglich sein, diesen vor über siebzig Jahren so viel Böses anzutun. 

Peter J. König

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