Samstagskolumne Peter J. König 14.04.2018

Was soll das Kriegsgeschrei zwischen USA und Russland im Syrien-Konflikt? 

Wenn man einigen Medien Glauben schenken darf, steht uns unmittelbar ein Krieg zwischen den USA und Russland ins Haus. Anlass soll ein Giftgas-Angriff des Assad-Militärs auf die mittlerweile geräumte Rebellen-Hochburg Ost-Ghouta sein. Hier in der unmittelbaren Nähe der syrischen Hauptstadt Damaskus hatten sich militante Regimegegner und islamistische Milizenverbände verschanzt, um im Schutz der Zivilbevölkerung Raketenangriffe auf das Zentrum von Damaskus zu eröffnen und von hier aus einen Angriff auf die Hauptstadt und den Machthaber Assad mit seiner gesamten Regierungs-und Verwaltungsmannschaft zu starten, mit dem Ziel Syrien von der Despotie zu befreien. 

Bereits seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahre 2011 wurde die Region Ost-Ghouta, nachdem Aufständische die Kontrolle über das Gebiet übernommen hatten, von der syrischen Armee und regierungstreuen Milizen eingeschlossen, um so die Versorgung abzuschneiden. Dabei waren etwa 350.000 bis 400.000 Zivilisten betroffen. Lebensmittel, Medikamente und andere Versorgungsgüter konnten nur noch durch einen sehr erschwerten Schmuggel in die eingeschlossene Zone gelangen. Ost-Ghouta wieder unter ihre Kontrolle zu bringen, war dem syrischen Militär allein nicht möglich, da in den ersten Jahren es noch keine massive russische militärische Unterstützung im Bürgerkrieg gab. So versuchte die syrische Luftwaffe bereits im August 2013 mit dem Abwurf von, mit dem Giftgas Sarin gefüllten Fassbomben, den Widerstand der Aufständischen zu brechen, was allerdings nicht gelang. Dabei wurden eine Vielzahl von Zivilisten getötet, darunter viele Kinder. 

Obama hatte bereits damals das Motto ausgegeben, dass der Einsatz von Giftgas die absolute "Rote Linie" bedeutet und dies für ihn und die westliche Welt nicht hinnehmbar sei und mit einer Entmachtung von Assad durch militärischen Einsatz bedeuten würde. Unternommen hat Obama allerdings damals nichts, zumindest nicht militärisch, weil er glaubte, mit diplomatischen Mitteln Assad von der Macht in Syrien zu entfernen. Dazu gab es Konferenzen mit den unterschiedlichsten Zusammensetzungen von Regierungsvertretern und Milizenführern, in Genf, in Wien und zuletzt mit den am Bürgerkrieg beteiligten Staaten Iran, Russland und der Türkei. Dabei galt es primär der eingeschlossenen Zivilbevölkerung Hilfen zukommen zu lassen, denn die Lebensbedingungen dieser Menschen waren elend. Kaum Lebensmittel, keine annähernd vernünftige ärztliche Versorgung, keine funktionierende Infrastruktur und ständige Angriffe durch den Abwurf explosiver Fassbomben, die jederzeit überall in die Häuser einschlagen konnten und dann die Menschen in den Kellern ihrer Häuser vergruben. 

Um noch einmal auf die erste Giftgas-Attacke auf Ost-Ghouta im August 2013 zurück zu kommen, muss deutlich gemacht werden, dass das Versäumnis Obamas danach trotz Ankündigung militärisch einzugreifen, nicht nur die Menschen Vorort weiterhin unerträglichen Qualen seitens des Assad Militärs ausgesetzt waren, mittlerweile hatte sich Putin auch entschlossen massiv in Syrien militärisch zu intervenieren, um Assad an der Macht zu halten, mit dem Ziel von Syrien aus seinen Einfluss im Vorderen Orient maßgeblich zu verstärken. Dazu hat er mehrere militärische Stützpunkte in Syrien errichtet, Luftwaffenbasen und einen Hafen als Flottenstützpunkt der russischen Mittelmeerflotte, die von hier aus bis weit in den Südatlantik patrouilliert. 

Obama hatte es verabsäumt seine strategische Präsenz in der Region zu verstärken mit der Folge, aufgrund seiner veränderten geopolitischen Doktrin, weg aus dem Nahen Osten, hin nach Südostasien, Russland einen immer stärkeren Einfluss zu überlassen. Erst die Koalition gegen den sogenannten "Islamischen Staat" und seine Ausdehnung auf weite Teile des Iraks und die Beteiligung am Bürgerkrieg in Syrien hat die Amerikaner wieder auf den Plan gebracht, ebenso die Franzosen, Briten und viele weitere Staaten, auch Deutschland mit ihren Aufklärungs-Tornados. 

Die Lage in Syrien wurde indes immer verworrener, denn der Iran, die Türkei, aber auch die arabischen Staaten, allen voran Saudi-Arabien haben im Bürgerkrieg mit gemischt, indem sie alle möglichen Milizen mit Waffen und Geld versorgt haben. Die Kurden im Norden haben sowohl im Irak als auch in Syrien versucht ganze Landstriche zu besetzen, in der Hoffnung hier und auf türkischem Gebiet einen neuen Kurdenstaat zu errichten. Ihre Waffen haben sie dabei von den USA aber auch von Deutschland bekommen. 

Die Amerikaner selbst sind mit einem Truppenkontingent von etwa 2000 Soldaten gemeinsam mit kurdischen Kämpfern in Nord-Syrien präsent, um gegen den "IS" zu kämpfen. Damit stehen sich Russen und Amerikaner in Syrien unmittelbar gegenüber, wobei es bisher noch allein darum gehen sollte, die Kämpfer des "IS" in Syrien zu besiegen, so die offizielle Version. Daran haben sich die Russen aber nicht gehalten, sie haben alle Gegner von Assad angegriffen, auch die Milizen, denen es nicht um den islamistischen Einfluss ging wie etwa Al Nusra oder Boko Haram sondern die allein einen "Regime Change" im Auge hatten, also Assad von der Macht zu vertreiben, um eine neue, gewählte Regierung in Syrien zu ermöglichen. 

Auch nach Assad wäre dies kaum möglich, zu unterschiedlich sind die Interessen der einzelnen politischen Strömungen und zu einflussreich ist die islamistische Präsenz durch radikale Milizen, dass selbst Saudi-Arabien mittlerweile eine Bedrohung durch die brutalen, islamistischen Kräfte sieht und Russland um seinen Einfluss und seine Stationierung in Syrien bangt. Bisher sind sich Russen und Amerikaner nicht in die Quere gekommen, selbst ihre Einsätze in der Luft wurden so koordiniert, damit es zu keinem ungewollten Zusammenstoß der beiden Militärmächte kam. Nach einem weiteren Giftgas-Angriff auf die Zivilbevölkerung im April 2017 hat Trump den Angriff auf einen syrischen Luftwaffen-Stützpunkt durch 50 Tomahawk- Raketen befohlen, abgeschossen von Kriegsschiffen vor der syrischen Küste im Mittelmeer, allerdings nachdem zunächst die Russen davon in Kenntnis gesetzt wurden. 

Dabei sind einige Kampf-Jets der Syrer vernichtet worden und einige Einrichtungen auf der Luftwaffen-Basis. Der Schaden war gering und das syrische Militär hat sich gleich daran gemacht, die Folgen zu beseitigen, um wieder einsatzfähig zu sein. Die USA haben diesen Beschuss als Warnung vor weiteren Giftgas-Attacken verstanden, doch wie es vermutlich aussieht ist diese Warnung bei Assad nicht angekommen. Man sollte nicht vergessen, dass bereits unmittelbar nach dem ersten Giftgas-Abwurf im August 2013 durch eine UN-Resolution sämtliches Giftgas aus Syrien entfernt werden sollte, unter der „Aufsicht“ der Russen, was größtenteils auch unternommen worden ist. Aber schon damals schien klar zu sein, dass bestimmte Bestände von den Syrern beiseite geschafft worden sind. 

Der Einsatz des Giftes Anfang 2017 hat dies bestätigt und eine Wiederholung hat jetzt etwa ein Jahr später im April 2018 eine erneute Wahrscheinlichkeit erbracht, obwohl in beiden Fällen der Einsatz von Giftgas sowohl von syrischer als auch von russischer Seite geleugnet wurde. Unabhängige internationale Institute haben allerdings nachgewiesen, dass es sich bei der Attacke im April 2017 um den erneuten Einsatz von Sarin gehandelt hat. Dies ist zweifelsfrei belegt. 

Nicht endgültig nachgewiesen ist, wer für diesen Giftgas-Anschlag verantwortlich war. Und darüber gibt es die unterschiedlichsten Erklärungen, je nachdem wer sie abgegeben hat. Die westlichen Staaten bezichtigen Syrien, mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, basierend auf der Erfahrung früherer nachgewiesener Vorfälle. Die Syrer und Russen machen islamistische Milizen dafür verantwortlich, die angeblich schon früher Sarin aus den Depots der syrischen Armee erbeutet haben sollen, eine eher unwahrscheinliche Variante. Am abenteuerlichsten wird es mit den russischen Erklärungen nach dem neuesten Giftgas in Ost-Ghouta Anfang April 2018. Zum einen behaupten die Russen, es hätte überhaupt keinen Einsatz von Gift gegeben, dies hätten russische Spezialisten nachgewiesen. Dies steht im krassen Widerspruch zu den bildlichen Dokumenten, die per Internet zeigen, wie Frauen und Kinder tot in Treppenaufgängen liegen und andere Bilder die belegen, wie man versucht Vergifteten mit Wasser und einfachsten Hilfsmittel notdürftig zu helfen. 

Gleichzeitig behauptet der russische Außenminister Lawrow, dieser Giftgas-Angriff sei vom britischen Geheimdienst in Szene gesetzt worden, um Russland auch wegen den Skripal-Vergiftungen zu diskreditieren. In beiden Fällen sei Russland unschuldig. Glaubwürdigkeit ist anders, "hier sollten sich die russischen Offiziellen doch besser abstimmen, um eine einheitliche Aussage zu veröffentlichen!" 

Den Menschen in Ost-Ghouta hilft dies alles nichts. Sie wurden gepeinigt, trotz der Tatsache, dass dem syrischen Militär unmittelbar die Rückeroberung des Gebietes gelingen würde. Jetzt sind die feindlichen Milizen mit ihren Familien mit Bussen abtransportiert worden, nachdem sie ihre Waffen russischem Militär ausgehändigt hatten. So ist es ab sofort möglich, dringend benötigte Hilfsgüter der Vereinten Nationen der Zivilbevölkerung zukommen zu lassen. 

Und während der Verfasser dieser Zeilen den Versuch unternommen hat, die Hintergründe in dieser verworrenen, sehr komplexen und kaum durchschaubaren, politischen Tragödie einigermaßen transparent zu machen, haben die Amerikaner, Engländer und Franzosen sich entschlossen das Überschreiten von Obamas "Roter Linie", den Einsatz von Giftgas, mit Raketenangriffen auf syrische Chemie-Labors und Lagerstätten von Giftgas zu beantworten. 

Trump hat sich öffentlich dazu bekannt, dass er sich im Falle weiterer Einsätze von Giftgas erneute militärische Antworten vorbehalte, allerdings ohne Einsatz von Bodentruppen, mit weiteren "chirurgischen Eingriffen" per Raketen, die ausschließlich das syrische Militär treffen sollen.

Des Weiteren hat er drauf hingewiesen, dass dieses Mal die Russen bei dem Einsatz zwar nicht vorab informiert worden seien, man aber sehr genau darauf geachtet habe, dass weder die Zivilbevölkerung als auch Einrichtungen der russischen Streitkräfte getroffen werden. Dies scheint auch der Fall gewesen zu sein, denn auch Trump, May und Macron wissen genau, welche Eskalation ansonsten auf dem Spiel steht. Noch scheint alles im kontrollierten Bereich zu verlaufen, denn die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und ganz bestimmt auch Deutschland wollen direkte militärische Auseinandersetzungen unbedingt vermeiden, dazu ist die Gefahr eines Weltkrieges viel zu groß, größer als jemals zuvor nach dem Kalten Krieg. Die Frage ist aber doch: Wie kann die Weltgemeinschaft verhindern, dass ein Despot und Folterer wie Assad daran gehindert wird, seine eigene Bevölkerung hunderttausendfach zu ermorden, auch mit Giftgas, nur um sich an der Macht zu halten und seiner Gefolgschaft ein privilegiertes Leben auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung zu sichern? 

Unzählige Resolutionen im UN-Sicherheitsrat den Machthaber Assad wegen seiner menschenverachtenden Handlungen zu sanktionieren, sind am Veto Russlands gescheitert, obwohl der Einsatz von Giftgas seitens des Regimes gesichert nachgewiesen worden ist. Assad wäre schon lange Geschichte, und damit auch die Qualen des syrischen Volkes, aber auch die Instrumentalisierung dieses Bürgerkrieges als "Stellvertreter-Krieg" zwischen den Großmächten und speziell zwischen Iran und Saudi-Arabien, wenn die Russen sich zu einer gemeinsamen Lösung hätten durchringen können. Aber wie bereits zuvor erwähnt, Putin fürchtet in diesem Fall seinen Einfluss in Syrien zu verlieren, den Verlust seiner militärischen Basen und seine geopolitische Bedeutung im Nahen Osten, wenn westliche Präsenz und westlicher Einfluss in einem befriedeten, neuen Syrien die Oberhand gewinnt. Dann akzeptiert er lieber Giftgas und versucht alles, dessen Einsatz politisch unter den Teppich zu kehren. Dagegen sahen sich die westlichen Alliierten genötigt ein deutliches Zeichen zu setzen, die Erneuerung der „Roten Linie“, die Assad daran hindern soll, weiter mit Giftgas zu morden. 

Stellt sich zum Schluss aber noch die Frage: Warum hat der Despot noch Giftgas eingesetzt, obwohl Ost-Ghouta quasi schon wieder im Machtbereich von Assad war und welche Beweise gibt es tatsächlich, wer den letzten Giftgas-Anschlag zu verantworten hat? 

Wenn Syrien und Russland damit nichts zu tun haben, wäre jetzt die richtige Gelegenheit unter ihrer Sicherheitsgarantie eine internationale, unabhängige Untersuchung zu akzeptieren, ohne dass sie natürlich zuvor alle Spuren verwischt haben. Hier allerdings bleibt nach allem was bisher seitens Assad und Putin unternommen worden ist ein mehr als deutliches Fragezeichen. 

Peter J. König

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