Samstagskolumne Peter J. König 21.04.2012

Piraten, ein vorübergehender Schreck oder eine nachhaltige Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse?

Je näher die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und  Nordrhein-Westfalen im Mai heranrücken, umso nervöser werden die "Altvorderen", im Politjargon auch die "Etablierten" genannt.  Genau um diesen Status geht es diesen Parteien. Immer öfter  wird in öffentlichen, politischen Diskussionen klar, dass Unsicherheit sie beschleicht, zumal der neue Mitbewerber um die Gunst der Wähler fast täglich steigende Umfragewerte erhält. Fast demütig kommentiert man die steigenden Zahlen der Piratenpartei und versucht sich irgendwie an sie zu hängen, indem man ebenfalls Kompetenz im Netz artikuliert.  Welches armselige Unterfangen, wenn man glaubt auch nur einen Wähler mehr dadurch zu gewinnen. Anstatt blind einer Entwicklung nach zu hecheln, sollten die Altparteien anfangen, fundierte Analyse zu betreiben, indem sie zuerst einen tatsächlichen  Status ihrer eigenen Situation erstellen, um anschließend daraus innovative Strategien zu entwickeln. 

Eins lässt sich aber vorweg sagen: Die Piraten sind nicht vom Himmel gefallen oder gar eine messianische Erscheinung. Sie sind die Folge einer Verkrustung und der Hilflosigkeit der herrschenden, politischen Klasse. Das Wahlvolk ist in höchstem Masse unzufrieden, was sich auch durch die schwindende Wahlbeteiligung  zeigt. Die Menschen haben keine Lust mehr, mit Parolen abgespeist zu werden, deren Inhalt  sie nicht mitbestimmen können, den sie oftmals überhaupt nicht verstehen. Die Zeiten haben sich einfach weiter entwickelt und damit auch die Kommunikationstechnik. Die herkömmliche Methode:  Friss und halt das Maul bis zur nächsten Wahl hat Jahrzehnte lang bestens funktioniert, jetzt aber ausgedient. Gerade durch das Internet ist eine Transparenz entstanden, die bisher für den Normalbürger überhaupt nicht vorhanden war. Wer von uns hatte schon die Möglichkeit gleichzeitig  täglich die FAZ, die Bild, die Süddeutsche, die Welt, die Züricher Allgemeine, die Zeit, den Spiegel, den Focus und zwecks Provokation die TAZ zu lesen, geschweige denn die unzählig ausufernden Meinungen in Fernsehdiskussionen sich ins Gehirn zu klopfen? Über alles kann man sich jetzt im  Netz einen zeitnahen und  kaum zeitraubenden Überblick verschaffen, und zum Entsetzen der Politkaste, deren Aussagen auf Wahrheitsgehalt überprüfen, um sie notfalls an ihre Wahlversprechen zu erinnern.

Dies macht ein komplettes Umdenken bei den "Alteingesessenen" erforderlich und so manches "Urgestein" wird damit einfach nicht fertig. Dies ist der wirkliche Grund, warum Verunsicherung,  ja Ratlosigkeit eingetreten ist, wie man am Beispiel "Stuttgart 21" sehr gut analysieren kann.  Natürlich sehen CDU, SPD, Grüne,  F.D.P., ja selbst die Linkspartei ihre Felle wegschwimmen. Deshalb hat Herr Wowereit, der Regierende Bürgermeister von Berlin dem Fraktionsvorsitzenden der Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus vorgestern Abend bei Illner im ZDF schon einmal ein verstecktes Koalitionsangebot gemacht, was dieser als verfrühten Bruderkuss parierte.

Man sollte aber nicht glauben, dass durch die Piraten und mit dem Internet das goldene Zeitalter der politischen Kultur angebrochen sei. Vorab möchte ich darauf verweisen, dass das Netz ein  allein technischer Quantensprung bedeutet, ähnlich wie die Erfindung der Kunst des Buchdruckes durch Gutenberg, und beides läutet tatsächlich ein neues Zeitalter ein. Dieses basiert aber nicht auf der neuen Technik allein,  sondern in erster Linie sind es die Inhalte, die dazu beitragen, dass sich die Welt maßgeblich verändert.  Dieses war bei Gutenberg so, und so wird es durch das Internet sein. Wo die Reise hingehen wird, das können die Bürger in einem nie gekannten Maße mitbestimmen, und dieses wollen sie auch, das ist die neue Botschaft des Internet-Zeitalters.

Aber und ich will es noch einmal ausdrücklich erwähnen, entscheidend werden die Inhalte sein, die über dieses neue Medium verbreitet werden. Damit sind wir bei der Crux der Piraten angelangt, vielleicht sogar an ihrer Achillesverse.  Offensichtlich ist der beachtliche Erfolg der neuen Gruppierung  im Wesentlichen auf folgende Phänomene zurück zu führen: Zum einen sind die Praktiken der alten Parteien, mit gewählten Vertretern und ein gefrästen Politparolen nicht mehr zeitgemäß,  zumal im politischen Alltag alles ganz anders praktiziert wird, zur Bestürzung des vermeintlichen Souveräns.  Zum anderen haben die Menschen es satt, dass systematisch über ihre Köpfe hinweg entschieden wird, selbst wenn sie erkennbar mehrheitlich von einem konträren, politischen Willen überzeugt sind. Mit der Wahl der Piraten glauben die Wähler sich aus dieser Umklammerung lösen zu können, zumindest den Alten einen Denkzettel zu verpassen. Dabei fragen sie nicht nach Inhalten, den meisten reicht es schon nur anders zu wählen, vermeintlich "hipp" und irgendwie modern zu sein.  Aber was kommt danach?

Bisher lassen die Piraten noch kein umsetzbares Lösungskonzept  erkennen, das die Politideen der gegenwärtig Handelnden in den Schatten stellt, es sieht eher so aus, als seien sie noch im Findungsprozess. Des Weiteren fehlt es an erkennbaren Köpfen, mit denen man die politischen Ideen dieser Partei verbinden kann, einem unübersehbaren Merkmal der Identifikation. Auch ist nicht  zu erkennen, welche großen Neuerungen diese Politgemeinde umtreibt, allein die Kommunikation im Netz miteinander  kann es ja nicht sein, dieses ist wirklich zu dünn. Aber die Piraten stehen noch am Anfang ihrer Entwicklung. Sie wurden zwar mit einem beachtlichen Vorschuss an Wählern bedacht, und es ist zu vermuten, dass sich dieses Potential bei den nächsten Wahlen noch erheblich vergrößern wird , aber die Menschen erwarten dann auch  immer dringlicher  Lösungen ihrer drängenden Probleme, und dies oftmals ins Utopische gesteigert. Spätestens dann sind die Piraten in der Realität angekommen und wehe, wenn sie  keine überzeugenden Antworten haben.  Momentan läuft es noch bestens für sie und sie müssen die Zeit nutzen. Grundsätzlich muss ich sagen, dass neue politische Ideen unserem Land nur gut tun können, allein wegen des politischen Wettbewerbs, aber auch um die"„Etablierten" wieder auf Trab zu bringen und damit sie nicht auf die Wahnsinnsidee verfallen, dass  unser Staat vielleicht schon ihnen gehört.

Bitte  klicken sie hier zum Interview:
 Rainer Kahni, genannt "Monsieur Rainer"
Zum Schluss noch ein Blick zu unseren Freunden und Nachbarn.  Morgen am Sonntag finden die Präsidentschaftswahlen in Frankreich statt. Ein zu erwartendes Ergebnis steht bisher noch nicht fest, da weder Sarkozy noch Hollande eindeutig die Nase vorne haben. Dieses ist auch nicht mein Punkt, da ich diese Entscheidung  unkommentiert  gerne unseren französischen Freuden überlasse. Was mich umtreibt, ist die Tatsache, dass möglichst alle Deutschen sich für diesen politischen Akt unserer Nachbarn interessieren sollten, da dies auch von erheblicher Bedeutung für unser Land ist. Hierzu möchte ich einen sehr geschätzten Kollegen zu Wort kommen lassen, einen hervorragenden Journalisten deutscher Abstammung, der aber schon seit vielen Jahrzehnten in Südfrankreich zu Hause ist und ebenso lange  französischer Staatsbürger. Rainer Kahni, bekannt unter dem Namen "Monsieur Rainer" ist ein exzellenter Kenner dieses Landes  und weiß bestens die Politik dieses Landes zu erklären. Dabei nimmt er kein Blatt vor den Mund, die Wahrheit zu schönen, ist nicht sein Ding.  Hier der Link zu seiner Website, bitte klicken: http://www.monsieurrainer.com/

Als junger Student  habe ich in Kanada zwei Monate lang bei der Tabakernte meine Groschen verdient, um anschließend  sechs Wochen durch die gesamte USA zu reisen, damals für mich ein aufregendes Erlebnis.  Aber je weiter ich in das Landesinnere vorgedrungen bin, umso  unverständlicher wurde mir dieses Staatengebilde. Im mittleren Westen in Nebraska, in Wyoming oder in Utah befand ich mich offensichtlich nicht mehr in den Vereinigten Staaten, da eine kommunikative Anbindung zu dem Gesamtkonstrukt  Vereinigte Staaten nicht gegeben war, zumindest wurde es weder im Fernsehen noch in den Zeitungen  in seiner Gesamtheit unter die Lupe genommen. New York, Washington, Miami, New Orleans, Los Angeles oder Seattle waren nicht im ihrem Focus, sie lagen in einem anderen Amerika.

Heute, da ich weiß wie wichtig, und ich möchte ausdrücklich betonen, wie spannend, wie bedeutend und wie ungeheuer faszinierend ein Vereinigtes Europa, und ich denke an die Vielfalt der Menschen, an ihre kultivierten Eigenschaften, an ihre wunderbaren landestypischen Physionomien und nicht zuletzt an ihre unterschiedlichen Temperamente, also wie wichtig diese Vereinigung für uns alle ist, ist es von größter Bedeutung,  ständig mit unseren europäischen Landsleuten "online" zu  sein, heißt, sich ständig für sie zu interessieren, sie als das zu sehen, was wir eigentlich wirklich sind, eine große europäische Familie.

Dies ist keine Utopie sondern geschichtlich gelebte Wahrheit, denn unter Karl dem Großen waren wir selbstverständlich ein Reich, Untertanen eines gesamteuropäischen Systems. Der Bruderzwist der Nachkommen hat es leider nur vergeigt, ganz zum Nachteil der nachkommenden Generationen. Es wird höchste Zeit, dass wir, und ich meine unsere Generation, die schon einmal mit den geisteskranken Ideen der Nazigeneration aufgeräumt haben, leider es aber noch nicht endgültig geschafft haben, aber  unermüdlich  daran arbeiten müssen, also wir haben das außerordentliche Vergnügen und die große Freude im Sinne unserer geschichtlichen Vorfahren wieder in ein gemeinsames  Haus einzuziehen, um dort unsere Geschwister herzlich zu begrüßen.

Um noch einmal auf meine frühstudentische  Exkursion nach Kanada und den USA zurück zu kommen, möchte ich noch nachreichen, dass  ich auf die Frage, woher kommst du denn eigentlich, immer geantwortet habe, ich bin Europäer, ich komme aus Deutschland. Verstanden haben die Leute meine Antwort zwar nicht, aber ich habe mich  wahnsinnig  sicher gefühlt, so weit weg von zu Hause.

Peter J. König






 




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